kann dir nicht helfen, wenn du mich auch belügst, Mama«, sagte er heiser.
Sie kniff die Augen zusammen. »Wie kannst du sagen, daß ich lüge? Wie kannst du das deiner Mutter sagen? Ich war dem Tode nahe. Ich wurde überfallen und beraubt. Schau mich doch an. Hast du gar kein Mitgefühl?«
»Es tut mir leid, was dir widerfahren ist, Mama, aber wir wollen bei den Tatsachen bleiben. Ich kenne diese.«
»Was willst du behaupten?« fragte sie schrill.
»Bitte, gebrauch deinen Verstand. Ich weiß, daß du dich sehr gut erinnern kannst. Als du von mir wegfuhrst, hast du Dr. Norden die Vorfahrt genommen. Er hat dich erkannt. Und einige Minuten später geschah der Unfall, bei dem eine junge Frau beträchtlich verletzt wurde.«
»Ich habe damit nichts zu tun. Ich habe niemandem die Vorfahrt genommen. Mein Wagen wurde mir gestohlen. Dr. Norden lügt. Er steckt mit Annette unter einer Decke.«
»Laß Annette aus dem Spiel. Sie ist meine Frau und wird es bleiben. Unsere Ehe wird niemand zerstören, jetzt nicht mehr. Wir werden ein zweites Kind haben, und ich werde nicht dulden, daß sie gekränkt und beleidigt wird.«
»Sie verdreht die Tatsachen. Nun scheint es ihr endlich gelungen zu sein, den Keil zwischen uns zu treiben.«
Heiner schluckte schwer. »Du erwartest von mir Hilfe, Mama, aber du bist zu keiner Einsicht bereit.«
»Ich bin krank. Ich werde falsch verdächtigt. Und nun versagst du mir dein Verständnis. Das ist zuviel.«
»Mama, jetzt hörst du mir mal zu. Du warst an jenem Abend bei mir. Du warst außerordentlich erregt, und ich gebe zu, daß ich auch nicht gerade sanft mit dir umgesprungen bin. Du warst in einer Stimmung, der bei der Verhandlung Rechnung getragen wird. Ich bin gern bereit, diesbezüglich zu deiner Entschuldigung auszusagen.«
»Was redest du von Verhandlung, von aussagen«, fiel sie ihm ins Wort.
»Es wird dir bewiesen werden, daß du den Unfall verursacht hast. Zum Glück leben die beiden jungen Menschen, und so wirst du glimpflich davonkommen. Der Führerschein wird dir entzogen werden, und eine Geldstrafe wirst du auch bekommen. Die werde ich übernehmen, wenn du jetzt vernünftig bist und die Tatsachen nicht wegreden willst.«
»Ich kann mich an nichts erinnern«, sagte sie verstockt, »an gar nichts. Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Man kann beweisen, daß der Wagen in dieser kurzen Zeitspanne gar nicht gestohlen werden konnte«, sagte Heiner mit einem schweren Seufzer.
Sie lachte klirrend auf. Es klang fast gespenstisch. »Und ich sollte bei dem Unfall ohne Verletzungen davongekommen sein? Das ist doch geradezu lächerlich.«
Sie kann sich tatsächlich solange etwas einreden, bis sie selbst daran glaubt, dachte Heiner tief bestürzt.
»Du hast Prellungen und Blutergüsse davongetragen. Es ist häufig so, daß man dies erst am Tag danach bemerkt«, sagte er deprimiert.
»Ich wurde im Zug niedergeschlagen, daran kann ich mich jetzt erinnern«, beharrte sie.
Er erhob sich. »Du wirst dich in so viel Widersprüche verwickeln, daß es nur gegen dich spricht, und dann kann ich dir bestimmt nicht helfen«, erklärte er. »Wenn du doch nur einmal deine Fehler eingestehen würdest. Annette hat dir doch auch nichts getan. Du kannst es nur nicht ertragen, daß ich sie liebe, und ich frage mich, was deine angebliche Liebe für mich bedeuten kann, wenn du mir dieses Glück nicht gönnst. Es ist sinnlos, darüber zu diskutieren. Verschwendete Zeit. Ich werde einen Rechtsanwalt beauftragen und ihm sagen, daß du dich in einem solchen Zustand der Verwirrung befindest, daß du eine Schuld nicht einsehen kannst.«
»Du bringst es wirklich fertig, mich als unzurechnungsfähig hinzustellen«, zischte sie.
»Das tust du selbst, Mama. So bedauerlich es auch ist, man wird an deinem Verstand zweifeln, wenn du dich weiterhin in solche Lügen und Widersprüche verstrickst. Hier glauben ja die Ärzte sogar, daß du an Gedächtnisschwund leidest. Mich kannst du allerdings nicht mehr täuschen. Ich kann nicht einmal mehr Mitleid empfinden.«
»Dann geh doch«, kreischte sie, »geh zu deiner Annette. Vergiß, daß du eine Mutter hast.«
»Dir ist wohl wirklich nicht zu helfen«, sagte er müde. »Solltest du dich doch auf dich selbst besinnen, laß es mich wissen.«
»Du mußt hierbleiben, du kannst mich nicht allein lassen«, verlangte sie.
»Ich habe auch noch einen Beruf, Mama«, erwiderte er.
Ihre Hände verkrampften sich in der Bettdecke. »Du brauchtest nur zu sagen, daß ich noch bei dir war, als dieser Unfall geschah«, sagte sie heiser.
»Nein, ich lüge nicht«, erwiderte Heiner.
»Gut, dann werde ich eben sagen, daß deine Beleidigungen mich zur Verzweiflung getrieben, mich kopflos gemacht haben.«
»Tu es«, erklärte er tonlos. »Tu das, was du tun willst, und ich tue das, was ich verantworten kann. Es ist schlimm genug, daß es soweit kommen mußte. Es wäre alles noch viel schlimmer, wenn Annette sich von mir abgewendet hätte. Lange genug habe ich ihr nämlich Unrecht getan, aber sie hatte Verständnis dafür, daß ich meiner Mutter nicht weh tun wollte. Ja, sie hat mich veranlaßt, hierher zu fahren.«
»Sie ist ein Engel«, höhnte Helma Mosch.
»Sie liebt mich trotz allem«, sagte er leise.
*
Wie soll das noch weitergehen, dachte er, als er die Heimfahrt antrat. Es war spät geworden, er fuhr in die Nacht hinein. Fast wäre ihm dann auch noch ein anderer Wagen, aus einer Seitenstraße kommend, hineingefahren, doch der bremste gerade noch, und Heiner fuhr weiter. Es war ja nichts passiert. Wie oft ging es noch gut ab, aber manchmal eben doch nicht. Dann mußte man eben dafür geradestehen.
Dachte seine Mutter denn gar nicht daran, daß es um junge Menschen gegangen war, auf die man zu Hause wohl auch gewartet hatte? Dachte sie nicht daran, daß ihm auch solches widerfahren könnte? Wie würde sie sich wohl in solchem Fall aufgeführt haben? Er konnte es sich ganz gut vorstellen, wie gnadenlos sie dann den Schuldigen verdammt hätte.
Wenn er nur die geringsten Gewissensbisse und Schuldgefühle an ihr bemerkt hätte, aber sie verschanzte sich hinter Lügen und Beschuldigungen gegen andere.
Endlich war er daheim. Verwirrt kam Annette aus dem Schlafzimmer. Geschlafen hatte sie noch nicht, aber sie hatte auch nicht damit gerechnet, daß Heiner schon so bald wieder zurückkommen würde.
Sie umarmte ihn und spürte dabei, wie er zitterte. »Du bist ja ganz erschöpft«, sagte sie besorgt.
»Ich bin froh, daß ich wieder bei dir bin«, murmelte er. »Bist du so lieb und machst mir einen Tee?«
»Freilich. Was möchtest du essen?«
Jetzt erst merkte er, daß er auch Hunger hatte. »Was da ist, Liebes. Ich verschwinde erst mal im Bad. Ich muß viel abspülen.«
Sie stellte keine Fragen. Diese Bemerkung hatte ihr viel verraten. Gut, daß sie eine Fleischbrühe gekocht hatte. Etwas Warmes würde Heiner guttun, dachte sie, als sie Schnittnudeln in die Brühe tat. Ein paar Brote richtete sie appetitlich an. Und weil ihr jetzt danach zumute war, stellte sie den Kerzenleuchter auf den Tisch.
Ein bißchen wohler sah Heiner jetzt aus. Er nahm ihre Hand und drückte sie an seine Wange. »Jetzt erst verstehe ich dich ganz«, sagte er leise. »Es war alles in allem deprimierend, Annette. Warum ist mir nur nicht früher bewußt geworden, wie egoistisch sie denkt.«
»Denk du jetzt nicht daran«, sagte Annette. »Laß die Suppe nicht kalt werden. Du schaust aus, als hättest du gar nichts gegessen.«
»Habe ich auch nicht. Es wäre mir auch nicht bekommen«, sagte er.
Sie hatte auch kaum etwas gegessen, aber nun leistete sie ihm Gesellschaft.
»Es