wahr, Winnie?«
»Das hat Leo sehr schön gesagt«, raunte Nico dann seiner Mami zu. Er fragte dann seltsamerweise auch gar nicht, warum er allein mit Sandra zurückfahren sollte. Er machte einen sehr zufriedenen Eindruck. Und müde war er auch.
»Leo und Holger werden sich bestimmt sehr gut verstehen«, murmelte er, bevor ihm die Augen zufielen, doch dies allein war nicht der Grund, warum Sandra sehr intensiv an Holger dachte. Es mochte wohl Gedankenübertragung sein, denn kurz nach neun Uhr läutete das Telefon, und sie wußte, daß er es war, bevor sie noch den Hörer aufgehoben hatte.
»Ich bin gerade heimgekommen und wollte dir nur Bescheid sagen, daß Ömchen gut untergebracht ist auf der Insel. Wir haben von dort aus versucht, euch zu erreichen, aber ihr wart wohl unterwegs.«
»Mit Winnie. Sie richtet ein Haus ein, und es fand so etwas wie eine kleine Verlobungsfeier statt. Ja, Winnie ist unter die Haube gebracht worden.«
»Das kommt aber plötzlich.«
»Sie kennen sich schon ein paar Jahre. Sie mußten sich nur erst zusammenraufen.«
Er atmete hörbar. »Na, dann brauche ich die Hoffnung wohl doch nicht zu verlieren«, sagte er leise. »Sag Nico schöne Grüße.«
»Er schläft schon. Er wollte dir sagen, daß du uns mal besuchen könntest«, sagte sie verhalten.
»Nächstes Wochenende?«
»Wenn du nichts Besseres vorhast?«
»Was sollte ich schon vorhaben. Ich fühle mich total vereinsamt.«
»Hoffentlich ist dann wieder so schönes Wetter«, sagte Sandra.
»Ich komme auch, wenn es regnet. Aber ich wünsche euch sonnige Tage.«
»Wenn etwas Wichtiges vorliegt, kannst du ja anrufen. Abends sind wir bestimmt da.«
»Und Winnie?«
»Sie richtet das Haus ein. Es wird nämlich ihr zukünftiges Heim sein.«
»Wieso das?« fragte er überrascht.
»Ja, manche Männer lassen sich etwas einfallen, um ihr Ziel zu erreichen«, erwiderte sie mit einem schelmischen Unterton.
Na warte, ich werde mir auch etwas einfallen lassen, dachte er, als er den Hörer aufgelegt hatte. Und Sandra dachte mit einem verträumten Lächeln, was wird er sich wohl jetzt einfallen lassen. Es war wohl doch eine Antenne zwischen ihnen.
An Ulrich verschwendete sie jedenfalls keinen einzigen Gedanken mehr. Sie schlief so gut, wie schon lange nicht mehr, und schöne Träume blieben ihr auch noch beim Erwachen gegenwärtig.
Für Holger begann die Woche ernüchternd. Ein Klient von ihm war wegen Betrugsverdachtes verhaftet worden, und er wurde zu ihm ins Untersuchungsgefängnis gerufen.
Wieder einmal erhielt er den Beweis, wie leicht ein gutgläubiger Mensch in ein solches Dilemma geraten konnte, wenn falsche Freunde, in diesem Fall war es eine Freundin gewesen, solche Gutgläubigkeit auszunützen verstanden. Gegen eine Kaution brachte Holger ihn in Freiheit, aber die Verzweiflung, die solcher Demütigung folgte, konnte er ihm nicht nehmen.
Erfreulicher war dann der Anruf von Annette Mosch, die ihm sagte, daß mit ihrer Ehe wieder alles in Ordnung sei. Sie war mit ihrem Mann nach München gekommen. Bettina wollte noch gern bei ihrem Opa bleiben, und das war ihren Eltern nur recht, denn sie meinten ja, daß es mit der Mutter nun zu einer klärenden Aussprache kommen würde.
Aber Helma Mosch war nicht da, und noch hatten sie keine Ahnung, warum sie das Weite gesucht hatte. Annette erfuhr es von Dr. Norden, den sie aufgesucht hatte, während sich Heiner nach dem gestohlenen Wagen erkundigen wollte.
Dr. Norden brachte Annette den Sachverhalt schonender bei als Heiner ihn von der Polizei erfuhr. Aber beide waren gleich entsetzt, und es war dann Annette, die besorgt die Vermutung äußerte, daß sich Helma etwas angetan haben könnte.
»Ach was, sie bringt sich nicht um«, erklärte Heiner da sehr entschieden. »Nicht klammheimlich. Dazu ist sie zu feige. Sie meint vielleicht, mir mit ihrem Verschwinden einen Schrecken eingejagt zu haben, aber vor allem wird sie wohl hoffen, daß ich ihr ein Alibi verschaffe. Wahrscheinlich hat sie schon versucht, mich anzurufen. Daß sie zu so etwas fähig ist, hätte ich niemals für möglich gehalten. Vielleicht ist sie ja wirklich nicht zurechnungsfähig.«
Aber als an diesem und auch am nächsten Tag kein Lebenszeichen von seiner Mutter kam, begann er doch, sich andere Gedanken zu machen. Er konnte ja nicht ahnen, was inzwischen geschehen war.
*
Als Helma Mosch von einem Zugbegleiter bewußtlos in ihrem Abteil aufgefunden worden war, fehlte ihre Handtasche, in der sich Geld, Papiere und die Fahrkarte befunden hatten. Sie war ganz offensichtlich beraubt worden, und da der herbeigerufene Notarzt dann Blutergüsse an ihrem Körper feststellte, nahm man sogar an, daß diese von einem Kampf herrührten. Fern von München, als ein namenloses Opfer eines Überfalls, war sie in ein Krankenhaus eingeliefert worden, und erst dort wurde festgestellt, daß die Prellungen und Blutergüsse eine andere Ursache haben mußten.
Ein Fahrkartenkontrolleur, der auf halber Strecke abgelöst worden war, konnte sich dann erinnern, daß sie in München eingestiegen sei und auf ihn einen verwirrten, abgehetzten Eindruck gemacht hätte. Aber das passierte ja häufig, wenn Fahrgäste den Zug erst auf den letzten Drücker erreichten.
Helma Mosch gelangte erst am Dienstagabend wieder zu Bewußtsein. Als sie dann erfuhr, daß sie ihrer Handtasche beraubt worden war, bekam sie einen Weinkrampf. Als man sie dann aber nach ihrem Namen und ihren Wohnsitz fragte, hüllte sie sich in Schweigen. Sie könne sich an gar nichts erinnern, erklärte sie dann. Das wurde ihr sogar geglaubt, zumindest zu dieser Zeit.
Sie konnte jedoch nicht wissen, daß nun eine Meldung nach München gegangen war mit dem Ersuchen, ob eine weibliche Person der beigefügten Beschreibung eigentlich irgendwo vermißt würde. Und so erschien am nächsten Morgen eine Zeitungsmeldung, daß eine bewußtlose Frau im Zug nach Frankfurt gefunden worden sei. Annette stieß einen leisen Schrei aus, als sie diese Meldung las.
»Die Beschreibung paßt auf Mutter«, flüsterte sie, alles vergessend, was ihr selbst Kummer bereitet hatte. »Du mußt dich darum kümmern, Heiner.«
Seine Miene und seine Gedanken waren düster. Sie verbreitet Unheil, so oder so, dachte er. Aber schließlich handelte es sich um seine Mutter.
Er nahm Annette in die Arme. »Zwischen uns darf es nicht wieder zu Differenzen kommen, Annette«, sagte er gequält. »Wer weiß, was sie sich jetzt ausgedacht hat, um uns auseinander zu bringen.«
»Sie ist krank und hilflos, Heiner«, sagte Annette vernünftig. »Und es mag ja tatsächlich so sein, daß sie durch die Wechseljahre in eine Psychose geraten ist, wie Dr. Norden vermutet hat.«
»Du mußt an dich denken und an das Baby, Liebes, und daran, daß ich dich liebe. Es darf nicht wieder soweit kommen, daß sie uns tyrannisiert.«
Er befand sich in einem tiefen Zwiespalt, als er zu dem Krankenhaus fuhr. Vier Stunden war er unterwegs, und am Ziel hatte er dann nur noch die Hoffnung, daß er am Bett einer fremden Frau stehen würde.
Fremd sah sie allerdings aus. Ihre Wangen waren eingefallen, ihre Augen waren matt und glanzlos.
»Mein Heiner«, schluchzte sie auf, »hilf mir.«
Ein Frösteln kroch durch seinen Körper, als sich ihre Fingernägel in seine Hände drückten.
»Ja, es handelt sich um meine Mutter«, sagte er zu dem Arzt. »Ihr Name ist Helma Mosch. Vielleicht ist es besser, wenn ich allein mit ihr spreche.«
Verständnisvoll zog sich der Arzt zurück, nicht ahnend, daß der Sohn bedauernswerter war als die Mutter.
»Du darfst mich nicht im Stich lassen, Heinerle«, jammerte sie. »Ich bin so verzweifelt. Sie wollen mir den Unfall anhängen, dabei ist mir doch der Wagen gestohlen worden.«
Sie