war hocherfreut, als Jochen Stahl ihr sagte, daß er Toby am Wochenende in ein Heim bringen würde. Freilich war sie klug genug, diese Freude nicht zu zeigen. Sie war nicht nur sehr intelligent, sondern auch sehr attraktiv. Da sie sich bei Christoph Wellinger keine Chancen ausrechnen konnte, hatte sich ihr Interesse auf Jochen Stahl konzentriert, der für eine Frau ja auch eine erstrebenswerte Partie war. Nur da stand ihr das Kind im Wege, denn Jochen verbrachte jede freie Minute mit Toby. Nun würde sie ihn aber sechs Wochen für sich haben, und diese Zeit wollte sie nützen.
»Hoffentlich ist er dort gut untergebracht«, sagte sie.
»Ja, das hoffe ich auch«, erwiderte Jochen. Nachdenklich betrachtete er sie, als sie sich an ihren Schreibtisch setzte. Sie bot einen wahrhaft erfreulichen Anblick. Immer gepflegt, immer elegant gekleidet, aber durchaus nicht auffallend. Sie entsprach genau den Vorstellungen, die man sich von einer perfekten Sekretärin machte.
Aber sie war auch eine begehrenswerte Frau. Auch das war nicht zu übersehen. Was konnte Toby gegen sie haben? Er hatte sie bisher ja nur zweimal gesehen, und tatsächlich waren diese Zusammentreffen rein zufällige gewesen.
Alles, was recht ist, dachte Jochen Stahl, aber ganz darf ich mich von Toby doch nicht unterjochen lassen.
Doch dann mußte er wieder lächeln. Betrachtete er den Jungen nicht auch als eine Art Schutzengel, der ihn schon vor manchem unüberlegten Schritt bewahrt hatte. Zum Beispiel die Hausdame Carla, der er fast ins Netz gegangen war, wäre eben nicht Toby als rettender Engel dazwischengetreten, um mit einem Dreitagefieber mal wieder alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Übersensibel sei der Junge, hatte Dr. Norden gesagt, aber wenn man es genau betrachtete, wurde er immer dann krank, wenn irgendeine Frau sein Mißfallen erregte.
Ja, Jochen Stahl hatte allen Grund, sich Sorgen zu machen, daß Toby auch dann krank werden würde, wenn er ihn in das Heim brachte, doch seine Sorge sollte sich als überflüssig erweisen.
Toby wußte genau, was für seinen heißgeliebten Papi beruflich auf dem Spiel stand. Er äußerte nur einen Wunsch, bevor die Reise losgehen sollte. Er wollte die kleine Kathrin noch einmal besuchen.
Wie diese Kinderfreundschaft entstanden war, hätte Jochen Stahl Dr. Norden leicht erklären können, hätte er geahnt, daß ihn dies so sehr interessierte. Jochen war nämlich mit Jobst von Tammen eng befreundet, und er war der erste gewesen, der von der Romanze wußte, die sich zwischen Jobst und Martina Wellinger anspann.
Er war auch Trauzeuge bei ihnen gewesen, ohne fürchten zu müssen, sich damit den Unwillen des alten Wellinger zuzuziehen. Es war ganz offensichtlich, daß Karl Friedrich Wellinger von seinem Sohn Christoph nicht das geringste hielt und Martina seine Zuneigung auch nach der Scheidung nicht entzog.
Obwohl Martina in unbeschreiblichem Luxus aufgewachsen war, besaß sie ein liebenswertes Wesen. Daß sie sich im Alter von neunzehn Jahren in den charmanten Christoph Wellinger verliebte, war verzeihlich, denn da hatte er sich von seiner Schokoladenseite gezeigt, und der alte Wellinger hatte gehofft, daß die reizende Martina einen guten Einfluß auf ihn ausüben würde. Doch auch diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Christoph Wellinger liebte das leichte Leben, und er wollte umschwärmt und von Frauen angebetet werden. Daß Martina dieses bösen Spiels einmal überdrüssig werden könnte, hatte er nicht einkalkuliert, noch weniger, daß sie sich zu einer Scheidung entschließen würde und dieses von ihrem Schwiegervater sogar gebilligt würde.
Christoph Wellinger mußte nun sogar erleben, daß ihm der Geldhahn beträchtlich zugedreht wurde und er auf das von seiner Mutter ererbte Vermögen zurückgreifen mußte. Noch lebte er munter drauflos, aber er hielt doch schon Ausschau nach einer reichen Frau, da sein Vater sich unversöhnlich zeigte.
Als Martina dann so bald nach der Scheidung Jobst von Tammen heiratete, einen Adligen, der dazu auch noch vermögend war, erlitt seine Eitelkeit einen heftigen Schlag, und seither versuchte er immer wieder, das neue Glück Martinas zu stören, da er vom Vormundschaftsgericht zugebilligt bekam, Kathrin einmal im Monat zu sehen. Davon machte er nur Gebrauch, um Martina zu treffen, um sie stets erneut in Angst zu versetzen.
Und selbstverständlich gab er auch nicht die Einwilligung dazu, daß Kathrin von Jobst von Tammen adoptiert werden konnte. Selbst mit einer beträchtlichen Summe, die Martina ihm bot, war er dazu nicht zu bewegen.
Als Jochen nun mit Tobias den Abschiedsbesuch bei der kleinen Kathrin machte, sollte er eine Überraschung erleben.
»Warum hast du es uns nicht vorher gesagt, daß du Toby in ein Heim bringst?« fragte Martina.
»Es hat sich alles so schnell ergeben. Ich kann den Jungen doch nicht mitnehmen nach Ägypten«, erwiderte er.
»Wir hätten Kathrin dann auch dorthin bringen können«, sagte sie leise. »Sie beginnt schon zu zittern, wenn der Tag naht, an dem Christoph sie holt. Und er tut es, obgleich er doch nichts für das Kind übrig hat. Wenn Kathrin mit Toby beisammen sein kann, würde sie gewiß kein Heimweh bekommen.«
»Warum sollte es nicht möglich zu machen sein, daß sie auch im Tannenhof aufgenommen wird«, meinte Jochen. »Ich kann mich erkundigen, und dann bringst du das Kind hin, Martina. Sprich doch auch mal mit Dr. Norden. Wenn er Kathrin aus gesundheitlichen Gründen eine Kur verordnet, kann dieser Filou gar nichts unternehmen.«
»Ich hatte nie gedacht, daß er so unfair sein würde, nach allem, was er mir zugemutet hat«, sagte sie leise. »Ich fürchte, daß Jobst bald überkocht und es zu einer schweren Auseinandersetzung kommt.«
»Eine Tracht Prügel würde dem Kerl nicht schaden«, sagte Jochen. »Er treibt es noch soweit, daß der Boß einen Herzinfarkt bekommt, und was dann passiert, können wir uns ausrechnen.«
»Ich wünsche Papa ein langes Leben«, sagte Martina leise, »aber ich weiß, daß er in jeder Hinsicht vorgesorgt hat. Christoph wird nicht die Möglichkeit haben, das Unternehmen zu zerstören. Wenn es aber so weitergeht, wird er uns seelisch zermürben.« Sie lachte bitter auf. »Von wegen Scheidung im beiderseitigen Einvernehmen.«
Währenddessen unterhielten sich Toby und Kathrin, und auch die Kleine hatte gesagt, wie gern sie mit ihm in das Heim gehen würde.
»Schön wär es schon«, meinte Toby. »Ich würde auf dich aufpassen, da brauchte sich deine Mami keine Sorgen zu machen.«
Wenn man die beiden nebeneinander sah, konnte man sogar eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen feststellen. Beide hatten lockiges blondes Haar und blaugraue Augen, beide waren feinknochig und zart zu nennen. Zu keinem anderen Kind hatte der zehnjährige Toby einen so innigen Kontakt gefunden, wie zu der um vier Jahre jüngeren Kathrin und für einen Jungen, der in wenigen Monaten schon auf das Gymnasium gehen würde, war das recht ungewöhnlich.
Sie ahnten nicht, daß nur für sie schon eine Vorentscheidung getroffen wurde.
»Ich fahre mit Kathrin jetzt gleich zu Dr. Norden«, erklärte Martina. »Vielleicht ist es zu ermöglichen, daß wir die Kinder morgen gemeinsam zum Tannenhof bringen können. Jobst ist heute auf dem Gericht, um zu erwirken, daß Christoph das Kind nicht mehr abholen darf. Wir können doch nicht zulassen, daß es seelischen Schaden nimmt. Man muß doch auch Kindern das Recht zubilligen, selbst zu entscheiden, bei wem sie sein wollen. Man kann doch nicht nach Paragraphen gehen.«
»Sein Lebenswandel sollte eigentlich auch dem Gericht bekannt sein«, sagt Jochen. »Als ob er nicht genug mit seinen Weibern zu tun hat. Wenn er doch nur mal an eine geraten würde, an der er sich die Zähne ausbeißt.«
»Wenn sogar eine Georgia Stafford auf ihn hereinfällt, kann man drauf kaum hoffen«, sagte Martina leise. »Und er ist eben nicht irgendwer. Er ist ein Wellinger!«
*
So lernte Dr. Daniel Norden an diesem Tag Martina von Tammen, geschiedene Wellinger, geborene Frantzen auch persönlich kennen, und er konnte nur angenehm überrascht sein.
Man konnte sie nicht schön nennen, aber sie war von einer fast madonnenhaften Anmut, und man konnte sie sich schlecht an der Seite eines Mannes vorstellen, der als Playboy stadtbekannt war. Nun, mit ihrem zweiten Ehemann