noch gute Stunden hat. Stefanie Linden ist dazu bereit.«
»Aber welchen schrecklichen seelischen Belastungen wird sie ausgesetzt«, stöhnte Ralph.
»Deshalb haben wir sie auf die Insel der Hoffnung geschickt, und deshalb haben wir auch eine Krankheit bei ihr vorgeschützt. Es ist freilich nicht einfach für sie, Peter zu täuschen, es ist noch schwieriger, ihm keine schmerzhafte Enttäuschung zu bereiten. Wir haben uns offen darüber ausgesprochen. Sie hat Peter sehr gern und tiefes Mitleid mit ihm, aber mehr ist es nicht, und sie kann sich nicht selbst verleugnen.«
Ralph senkte den Kopf, starrte blicklos auf den Boden.
»Wenn ich das doch gewußt hätte«, murmelte er.
»Nun wissen Sie es, aber Sie können und dürfen nichts tun, was Ihren Bruder in dem Glauben erschüttern könnte, daß er von Stefanie geliebt wird.«
»Und wie sie es durchsteht, danach fragt man nicht?«
»Wir tun alles, um es ihr leichter zu machen.«
»Kann ich sie nicht wenigstens besuchen?« fragte Ralph.
»Das halte ich nicht für angebracht. Nicht, solange Ihr Bruder Sie nicht um einen Besuch bittet. Vielleicht wird das bald der Fall sein. Diese Krankheit erzeugt eigenartige Reaktionen. Ich weiß, daß es für Sie nicht leicht ist abzuwarten, aber jetzt könnten Sie Stefanie nicht helfen. Sie schon gar nicht.«
»Wie meinen Sie das?«
»Denken Sie einmal nach. Sie war mit zwei Brüdern befreundet. Es hat sich herausgestellt, daß einer krank ist. Diese Freundschaft hat ihr unendlich viel bedeutet, soviel, daß sie sich für keinen von beiden entschieden hätte. Nein, ich brauche nicht mehr zu sagen. Sie wissen besser als ich, was Stefanie auch Ihnen bedeutet. Der kranke Peter will sie mit allem ihm bleibenden Willen festhalten. Es bleibt ihm nur noch kurze Zeit, Herr Reinhold. Wünschen wir ihm doch, daß ein Hauch von Glück diese Tage begleitet. Er ist nicht mehr in der Lage, etwas von einer Frau zu fordern, wenn er sie auch noch so sehr liebt. Er will an seine Genesung glauben, er will es, aber manchmal wird er daran insgeheim schon zweifeln. Es ist sehr schwer, die Psyche eines Kranken zu ergründen. Als kleinen Trost kann ich Ihnen jetzt nur sagen, daß mein Schwiegervater alles tun wird, seine Schmerzen zu lindern.«
»Und es bleibt nicht die geringste Hoffnung?« fragte Ralph leise. »Verstehen Sie mich bitte, Herr Dr. Norden. Wenn Peter gesund würde, und wenn Stefanie dann seine Frau werden würde…«, er geriet ins Stocken.
»Wir brauchen diesen Gedanken nicht zu Ende zu führen«, sagte Dr. Norden. »Die Krankheit ist sehr weit fortgeschritten.«
»Und mir bleibt nichts anderes als zu warten«, sagte Ralph deprimiert.
Ein um Jahre gealtert scheinender Mann verabschiedete sich von Daniel Norden, der ihm den Gedanken nachschickte, daß er gewiß keinen Triumph empfinden würde, am Ende doch Sieger in dem Kampf um eine geliebte Frau zu bleiben. Aber würde das auch so sein? Peters Schatten konnte für alle Zeiten zwischen ihnen stehen.
Aber das dachte Ralph auch. Er fuhr nicht nach Hause. Er konnte jetzt der guten Katinka nicht in die Augen blicken. Er fuhr hinaus in den Forst und lief ein paar Stunden durch den Wald. Ein Föhnsturm kam auf und fraß den Schnee von den Bäumen, beraubte sie dieser leuchtenden Pracht, zerzauste sein störrisches Haar noch mehr und vermochte nicht, den bohrenden Schmerz aus seinem Kopf zu vertreiben.
Stefanie, Peter, nichts anderes vermochte er zu denken, und keine Erinnerung an frohe Stunden wurde wach in ihm.
Es regnete in Strömen, als er heimkehrte, und zur gleichen Zeit sagte Dr. Norden zu seiner Frau Fee: »Eigentlich wollte ich mit euch in die Berge fahren, wenn das Wetter bis zum Wochenende gehalten hätte.«
»Petrus ist dagegen. Wer weiß, wozu es gut ist«, meinte sie. »Es passiert so schrecklich viel.«
Gefreut hätte sie sich schon, wenn sie mal wieder gemeinsam hätten wegfahren können, aber sie hatte sich längst daran gewöhnt, alles so zu nehmen wie es kam, und wenn aus einem Vorhaben mal wieder nichts wurde, hatte dies ihrer Meinung nach sicher auch seine Bedeutung. Was sollten sie auch bei schlechtem Wetter in den Bergen, da war es zu Hause viel gemütlicher. Und überhaupt war es bei diesem unbeständigen Winterwetter gefährlich auf den Straßen, noch dazu, wenn man auf drei kleine Kinder aufpassen mußte.
*
Katinka, die nicht wußte, was Ralphs Herz beschwerte, schimpfte auf das Sauwetter. »Zwei Tage Winter, dann regnet es schon wieder. So was hat’s früher nicht gegeben. Daran sind bloß diese Astronauten schuld, die das ganze Weltall durcheinanderbringen.«
Ralph ließ sie schimpfen. Er verschwand für eine ganze Weile im Bad. Als er dann herauskam, schon in den Bademantel gehüllt, fragte Katinka vorwurfsvoll, ob er heute wieder nichts essen wolle.
»Höchstens ein Schinkenbrot. Ich habe keinen Hunger«, erwiderte er, und um sie nicht noch tiefer zu kränken, fügte er hinzu, daß er schon mit Geschäftsfreunden gegessen hatte.
»Jetzt bin ich schon beinahe arbeitslos«, brummte Katinka. »Schmutzig gemacht wird auch nichts mehr, gegessen wird kaum noch zu Hause.«
»Aber was sollte ich denn ohne Sie machen, Katinka«, sagte Ralph.
»Auch mal ans Heiraten denken«, sagte sie. »Das Haus ist viel zu groß für einen.«
»Wir sind doch zwei.« Zu ihrer Überraschung stellte er dann den Fernsehapparat an. Ihm ging es nur darum, daß es nicht gar so still war im Hause. Der Sendung selbst schenkte er keine Beachtung.
Katinka brachte ihm eine appetitlich angerichtete kalte Platte, natürlich viel zu reichlich, aber nach dem langen Marsch durch Regen und Wind verspürte er nun doch Hunger. Dazu trank er eine ganze Flasche Wein aus. Er konnte schon etwas vertragen, und ein kleines bißchen entspannter fühlte er sich nun doch. Er war müde, als er sich zu Bett legte, aber der Schlaf wollte dann doch nicht kommen.
Es mußte Stefanie wohl genauso hart getroffen haben wie ihn, als sie diese schreckliche Wahrheit erfuhr. Wie aber hätte sie sich verhalten, wenn sie es nicht gewußt hätte? Hatte sie es auch an jenem Mittag schon gewußt, als er sich mit ihr getroffen hatte und Gitta dann dazwischenkam? Hatte sie es ihm sagen wollen?
Diese Gitta! Er verwünschte sie jetzt noch mehr. Dauernd hatte sie ihn während der vergangenen Tage mit ihren Anrufen belästigt, immer und immer wieder mit einer Hartnäckigkeit ohnegleichen.
Wie ganz anders war doch Stefanie. Wie froh waren sie immer gewesen, wenn sie beisammensaßen. Er sehnte sich nach ihr, wünschte, sie in den Armen zu halten, ihr zu sagen, daß er nun alles verstünde. Sollte er tatsächlich nur warten?
*
Die ersten Tage auf der Insel der Hoffnung zeigten bei Peter eine scheinbare Besserung. Es überraschte Dr. Cornelius nicht. Die Luftveränderung, die völlige Umstellung in der Ernährung rief bei solchen Erkrankungen oftmals positive Reaktionen hervor.
Ein Grund zur Freude war damit nicht gegeben, obgleich Peter so verblüffend gut aussah, daß Stefanie nur staunen konnte. Gleichzeitig aber war ihr wieder bange, daß sein stürmisches Liebeswerben erneut einsetzen könnte. Doch diese Sorge erwies sich als überflüssig. In seinem Wesen war auch eine Veränderung eingetreten. Er wirkte ausgeglichen, besinnlich und verinnerlicht, so als würde er in sich hineinlauschen.
Sie hatten Christopher und Vanessa Bentham kennengelernt und erfahren, weshalb Christopher hier weilte.
Peter äußerte sich bedauernd und mitfühlend über ihn, als er dann mit Stefanie über die Insel wanderte.
»Es muß schlimm sein, wenn man seine ganze Existenz gefährdet sieht«, sagte er nachdenklich. »Da bin ich doch besser dran. Bei uns geht alles weiter, auch wenn ich mal ein paar Wochen ausfalle. Ralph wird sehr gut ohne mich fertig, ich würde ohne ihn nichts zustande bringen. Das ist der Unterschied. Ich habe Ralph immer bewundert. Er war mir immer so weit voraus, daß ich mich wundern muß, daß du nicht ihm den Vorzug gegeben hast.«
Ahnte er etwas? Konnte er fühlen,