Don Joseph Goewey

Das stressfreie Gehirn


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zuvor gestresst hatten, machten mir nun nichts mehr aus. Mein Herz öffnete sich für Menschen, die ich für meine Feinde gehalten hatte und die ich noch eine Woche zuvor für meinen Untergang verantwortlich gemacht hatte. Mir wurde jetzt klar, dass ich die meisten meiner Wahrnehmungen tatsächlich in meinem Kopf produziert hatte, und ich wollte meinem Kopf die Chance zu Heilung geben. Ich arbeitete bis wenige Tage vor meiner Operation und wenn ich mich recht erinnere, hatte ich während der ganzen Zeit keinen einzigen negativen Gedanken.

      Eines Tages, kurz vor meiner Operation, suchte mich der Geschäftsleiter der Psychiatrischen Abteilung auf. Sein Name war Karl, und er sollte einen neuen Posten im Büro des Dekans erhalten und der Personalabteilung vorstehen. Dies bedeutete, dass seine Stelle vakant wurde. Karl hatte den Eindruck, dass man mir in der Medizinischen Abteilung übel mitgespielt hatte, und er glaubte, ich wäre in der Psychiatrischen Abteilung besser aufgehoben. Ich war offen für seinen Vorschlag und Karl arrangierte ein Vorstellungsgespräch beim Leiter der Psychiatrischen Abteilung für mich. Karl und ich kannten einander kaum, und es gab eigentlich keinen anderen Grund für ihn, sich einzumischen, außer um etwas richtigzustellen, was er als unfair empfunden hatte. Ich ging zu dem Vorstellungsgespräch, und als ich gerade dabei war, meinen Koffer für das Krankenhaus zu packen, rief der Leiter der Psychiatrischen Abteilung mich an und bot mir die Stelle an. Natürlich nahm ich ohne zu zögern an. Alles wird gut sein, und was auch immer geschieht, wird gut sein, dachte ich für mich, als ich den Hörer auflegte. Dann nickte ich voller Dankbarkeit für das gute Herz von Karl. Ich fühlte mich gesegnet, so als kümmere sich eine Legion von Engeln um mich.

      Als ich im Krankenhaus eincheckte, war ich voller Zuversicht, wie Michael Jordan vor einem Meisterschaftsspiel. Die Operation war ein voller Erfolg, was den guten Ruf meines Chirurgen noch beträchtlich erhöhte. Die einzige Beeinträchtigung, die ich davontrug, war ein zwanzigprozentiger Verlust meines Hörvermögens, und das einzige Problem, das nicht gelöst wurde, war meine Ehe. Ein Jahr später ließen meine Frau und ich uns scheiden. Es war schmerzlich, aber Mitgefühl ließ uns die Sache schließlich gut durchstehen.

      In der Psychiatrischen Abteilung war ich tatsächlich besser aufgehoben. In meiner Jugend hatte ich das große Privileg gehabt, mit dem herausragenden amerikanischen Psychologen Carl R. Rogers zu arbeiten, und so fühlte ich mich hier in meinem Element. Es war aufregend, in der Psychiatrischen Abteilung zu arbeiten, zumal sich gerade zu jener Zeit die Theorie der Geist-Körper-Verbindung entwickelte. Es fiel mir schwer, mich nicht von meinen Verwaltungsaufgaben ablenken zu lassen. Wie hätte es anders sein können? Als Insider der Abteilung konnte ich die Arbeit einiger Giganten auf ihrem jeweiligen Fachgebiet beobachten. Dazu gehörten William Dement, der Vater der Schlafmedizin, Karl Pribram, der das holografische Gehirnmodell der kognitiven Funktionen entwickelte; David Spiegel, einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Psychosomatik; und Irvin Yalom, der das Standardwerk über Gruppenpsychotherapie geschrieben hat. Als ich einmal einen vollgestopften Wandschrank ausräumte, förderte ich sogar zwei verschollene Tonbandspulen von Jane Goodall zutage, die darauf mit ihren Forschungskollegen über Primatologie diskutiert.

      So gern ich auch in dieser Abteilung arbeitete, hatte ich doch das Gefühl, dass diese Stelle nur eine vorübergehende sein würde. Der Gedanke, die Universität hinter mir zu lassen, machte sich in mir zunehmend breit. Sie war für mich nur so etwas wie eine Zwischenstation zwischen dem Ort, an dem ich nicht mehr zuhause war, und dem Ort, den ich erreichen wollte. Der Friede, den ich an jenem Tag jenseits des Schreckens auf der Terrasse erfahren hatte, hatte mich verwandelt. Ich musste immer wieder daran denken, wie gern ich in einer Organisation arbeiten würde, die Menschen hilft, solchen Schmerz, wie ich ihn an jenem Tag erfahren hatte, zu transformieren. Ich wusste nicht, ob es überhaupt solch eine Institution gab, nur, dass es mich dazu trieb, sie zu finden.

      Eines Tages nahm ich gerade an einer Besprechung mit dem Vorstandsvorsitzenden und den Abteilungsleitern teil, als etwas Seltsames geschah. Ich hatte gerade einen Sachverhalt, der mir wichtig war, verteidigt, als mein Geist abzuschweifen begann. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich zwanzig Jahre später immer noch an demselben Tisch sitzen und gelangweilt über den Streitpunkt des Tages diskutieren. Schlimmer noch: Ich fühlte, wie ich voller Bedauern war darüber, dass ich mein Leben einfach hatte an mir vorbeiziehen lassen. Das Ganze war mehr als nur ein Tagtraum. Ich war vollkommen klar dabei, so sehr, dass ich regelrecht erschüttert war, als ich zu der augenblicklichen Besprechung zurückkehrte. Ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas mir sagte, ich solle jetzt sofort aufstehen, in mein Büro gehen und meine Kündigung schreiben. Irgendwie war mir klar, dass ich nicht darüber schlafen dürfte – wenn ich dann wieder aufwachte, würden zwanzig Jahre vergangen sein. Es hieß: jetzt oder nie! Mit klopfendem Herz stand ich auf, entschuldigte mich, ging zurück in mein Büro und tat dort das Mutigste, das ich je getan habe. In Momenten wie diesem sind Mut und Verrücktheit oft nicht voneinander zu unterscheiden. Es lief alles auf einen vertrauensvollen Sprung in einen Abgrund hinaus – und ich tat diesen Sprung. Ich schrieb meine Kündigung, formulierte zuerst eine fristlose Kündigung und machte dann eine Kündigung nach einer Frist von drei Monaten daraus – das beruhigte mein schreckliches Herzklopfen ein wenig. Drei Monate später ließ ich die Sicherheit einer festen Anstellung hinter mir und ging mit nur wenigen Ersparnissen allein hinaus in eine kalte, unfreundliche Welt. Mein einziger Kompass war meine innere Vision. Ein Jahr lang suchte ich nach der Institution, die mir vorschwebte. Als mir das Geld ausging, nahm ich einen Teilzeitjob in einer Fabrik an und lieh mir etwas von meinem besten Freund. Ich fand einfach nichts, was meinen Vorstellungen entsprach. Es war entmutigend, aber dann, als ich die Suche gerade aufgeben wollte, fand ich das, was ich gesucht hatte. Es war eine gemeinnützige Organisation, die sich zur Aufgabe gemacht hatte, Schwerkranken und Sterbenden zu helfen, mit der enormen psychologischen und spirituellen Herausforderung ihrer Situation umzugehen. Das Institut in Marin County, gleich jenseits der Golden-Gate-Brücke, war international bekannt für seinen Ansatz. Ich hatte bisher noch nicht davon gehört, obwohl es damals bereits seit fünfzehn Jahren bestand.

      Das Center for Attitudinal Healing (Zentrum für Heilung durch Geisteshaltung) oder „das Zentrum“, wie es von seinen Klienten und den freiwilligen Helfern genannt wurde, war 1975 von dem anerkannten Psychiater und Bestsellerautor Dr. med. Gerald Jampolsky gegründet worden – gemeinsam mit Patsy Robinson, einer Frau, die in der Lage war, eine Vision zu nehmen und sie in der Welt zu verwirklichen. Die Klienten des Zentrums kamen aus allen Lebensbereichen und Altersgruppen. Das Spektrum reichte von Eltern, die ein Kind verloren hatten, bis zu Menschen, bei denen eine lebensbedrohliche Krankheit diagnostiziert worden war. Viele von ihnen hatten mit einer Stressbelastung umzugehen, die sich die meisten von uns kaum vorstellen können. Eine Zeit lang arbeitete das Zentrum auch mit Kriegsflüchtlingen, die alles verloren hatten. Die zentralen Prinzipien des Zentrums entsprachen der mein Leben verändernden Erfahrung auf der Terrasse: Die Leute dort definierten Gesundheit als inneren Frieden und verstanden Heilung als das Loslassen von Angst. Das Zentrum hatte zudem ein Modell entwickelt, das auf der Unterstützung durch eine Gruppe basierte und den Aufbau einer Gemeinschaft betonte; es ähnelte dem Modell, das ich aus meiner Arbeit mit Dr. Carl Rogers kannte. Das Programm basierte vollständig auf einer Körperschaft von zweihundert Freiwilligen, die den Klienten ihre Dienste kostenlos anboten und von einem Stab von Mitarbeitern des Instituts ausgebildet und begleitet wurden.

      In der Organisation herrschte eine Atmosphäre der Bescheidenheit. Sie war in einem alten Lagerhaus in Tiburon untergebracht, gelegen in den Hafenanlagen am nördlichen Ende der Bucht von San Francisco. Die Möbel waren alt, das Gebäude ebenso, und die Wände waren von Kinderzeichnungen geschmückt. Doch das Institut war sauber und ordentlich und es lag dort eine lebendige und freundliche Energie in der Luft. Hier fand man eine dem Dienen verpflichtete Gemeinschaft, in der jedermann bedingungsloser Respekt entgegengebracht wurde. Hier wurde jedermann, jung oder alt, gleichermaßen als Lernender und als Lehrer betrachtet. Der Lehrplan war einfach und direkt: Es ging darum zu lernen, wie man Angst in jeglicher Erscheinungsform loslassen kann. Menschen aus aller Welt suchten das Zentrum auf. Professoren, Ärzte und Therapeuten kamen, um sich weiterzubilden, gewöhnliche Bürger aus allen Lebensbereichen kamen, um zu helfen, Arme ebenso wie Reiche spendeten Geld, und es tauchten sogar einige Suchende auf, die sich auf einer Pilgerschaft der Suche nach dem Sinn des Lebens befanden. Für alle wurde rasch eine Arbeit gefunden. Mehr als einhundert dieser Menschen gründeten nach der Rückkehr in ihre gewohnte Umgebung ein eigenes