Natalie Saracco

Zurück aus dem Jenseits


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auch nur, weil er authentisch oder wenigstens glaubwürdig schreiben will. Die Zusammenfassung, die Zusammenschau, die Entwicklung der Figuren, das alles ist schon zu Beginn sorgsam organisiert. Mit dem Drehbuch für La Mante Religieuse erlebte ich das genaue Gegenteil. Ich war wie in einer eigenartigen Blase versunken, völlig in ihr untergetaucht, und hatte nicht einmal genügend Abstand, um bewusst wahrzunehmen, was ich schrieb. Am Ende dieser atypisch »geschlossenen Gesellschaft« mit »Madame Schreibfeder und ihren Ablegern« las ich nochmals, was ich geschrieben hatte, und brach in Tränen aus. Ich hatte soeben die Geschichte einer modernen Maria Magdalena geschrieben. Für mich als die In-Christus-Verliebte, zu der ich geworden war, war das ziemlich abgefahren! Meine beiden Leidenschaften, Gott und das Kino, hatten sich endlich gefunden, um einen Film entstehen zu lassen, der von der unendlich großen Liebe Gottes und von seiner Barmherzigkeit für all seine Kinder handelt – einschließlich einer armen, völlig rat- und hilflosen »Maria-Magdalena-Isabel«, die aus Verzweiflung und Mangel an Liebe ihr Herz verhärtet hat. Als ich das Drehbuch beendete, war die Kraft, die mich zum Schreiben getrieben hatte, noch immer so stark, dass ich mich in der Folge auf das Schreiben eines Romans stürzte. Ich war erfüllt von einer riesigen Sehnsucht, die niemand stillen konnte. Als das Manuskript geschrieben war, legte ich es in eine Schublade. Gott wollte keinen Roman von mir, sondern einen Film. Nachdem ich dem Skript den letzten Schliff gegeben hatte, gab ich es dem Produzenten zu lesen, mit dem ich zusammenarbeitete. Es war derjenige, der meinen anderen Film vor dem Unfall produzieren sollte. Als guter Atheist mit Selbstachtung sagte er zu mir:

      »Der erste Teil, als das Mädchen sich ziemlich wild aufführt, ist sehr gut, aber man müsste noch ›dicker auftragen‹. Natürlich, ganz klar, muss sie mit dem Pfarrer schlafen. Aber danach, dein katholisches Ding mit den Gefühlsduseleien, also wirklich, das geht nicht.«

      Seltsamerweise bekam ich einen trockenen Mund und konnte kaum schlucken …

      »Du machst, was ich dir sage, und ich produziere deinen Film«, schloss er selbstsicher.

      »Adieu, ihr Kälber, Kühe, Schweine, Hühnernester!« Wenn diesem alten Routinier, der an mich glaubte, gefiel, was ich geschrieben hatte, und er so etwas sagte, dann verhieß dies nichts Gutes. Es würde auf eine pauschale Ablehnung hinauslaufen. Dieser Fachmann brachte allein zum Ausdruck, wie man in der gesamten Filmszene dachte. Ich sah schon, wie wir, mein Film La Mante Religieuse und ich, aus den Studios, den Fernsehsendern und der CNC-Steuerung wie zwei Bettlerinnen hinausgeworfen wurden: Cosette und Causette3: … Dieses Gerede über den Glauben wollen wir hier auf der Bühne nicht hören! Das ist religiöse Proselytenmacherei! Aber merkwürdig ist es doch, dass man in einem Zeitalter, in dem das Schlüsselwort »Freiheit« lautet – Redefreiheit, sexuelle Freiheit, Freiheit von der Freiheit –, so viele Hürden vorfindet, wenn man vom Einheitsdenken abweicht. Auf jeden Fall kam es für mich nicht mehr infrage, den Film zu ändern. Cosette Mante war jetzt dran. Und nun musste ich wieder bei null anfangen. Aber wie sollte ich vorgehen? »Herr, schließlich ist das deine Sache! Du hast mich dieses Drehbuch schreiben lassen, du hast mich das Szenario für diesen Film zu Papier bringen lassen, du hast in mir die Begeisterung für diesen Film entstehen lassen, also übergebe ich ihn dir. Mach damit, was dir gefällt.«

      Einige Monate später, als ich gerade betete und meine Gedanken weit oberhalb der Kinowelt schwebten, redete der Herr mich an – unter uns: Es war eine Atmosphäre wie bei Don Camillo …

       Meine Tochter, du wirst diesen Film mit der Unterstützung meiner Kirche … und christlicher Unternehmer drehen!

      »Ups, was ist das schon wieder, Herr? Was is’n das: Christliche Unternehmer?«

      Davon hatte ich noch nie gehört. Ich bin alles, nur nicht mondän, ich lebe auf dem Land, und meine Extravaganzen beschränken sich auf die Verhaltenskodizes von Madame Natur, von Hunden, Hirschkühen und Hasen. Der Herr ist wirklich gut für Überraschungen und er offenbart sich gerade dort, wo man ihn am wenigsten erwartet. Es wäre sehr viel logischer gewesen, wenn er »jemanden aus diesem Milieu« gewählt hätte, eine gut vernetzte Person oder eine nette Ehefrau mit den notwendigen Beziehungen. Aber nein, gerade ich musste diese Aufgabe erfüllen wie ein kleiner König David, jedoch mit Rock und ohne irgendwelche Verbindungen. Eine Randfigur Gottes. Tatsächlich bringt unser Herr seine Herrlichkeit immer inmitten unserer Armseligkeit zum Ausdruck.

      Der Rest ergab sich sehr schnell. Einige Tage später fiel mir »zufällig« ein Buch in die Hand, das nach der Bibel meine Lieblingslektüre wurde, »der Eckpfeiler«, der mein ganzes Leben verändern sollte: Das katholische Netzwerk von Marc Baudriller. Dieses Buch servierte mir eine Liste der einflussreichsten katholischen Unternehmer auf dem Präsentierteller. Da waren die bekanntesten Namen zu finden. Leider waren ihre Handynummern nicht aufgeführt, jedoch war das schon ein guter Anfang. Dieses Buch in Form von Interviews zeichnete sich dadurch aus, dass es Zeugnisse von Unternehmern mit einem großen Herzen und einer großen Brieftasche enthielt, die ihr Geld für einen guten Zweck einsetzen wollten.

      Das Zeugnis eines jungen Computerfreaks und Autors sprach mich besonders an, nicht wegen seines Bankkontos, sondern wegen seines gläubigen Herzens. Jean-Baptiste Maillard ist sein »Codename«. In den Dreißigern, mit eindringlichen Augen, die einen schon beim ersten Blick abtasten, mit einem verchromten Roller, das Ganze gekrönt von einem Filzhut, nach dem alle Revolverhelden auf diesem Planeten gelechzt hätten! JB war wirklich ein ungewöhnlicher Mensch, eine Art Mischung aus James Bond und Professor Tournesol4. Um es auf einen Punkt zu bringen, kann man sagen, dass auch er Christus so sehr liebt wie ich. Ich schrieb ihm auf Facebook:

      »Lieber Monsieur, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Glaubenszeugnis! Beten Sie für mich. Ich bin eine junge Filmemacherin und würde gerne einen Film über eine moderne Maria Magdalena drehen.«

      Das war am Montag in der Karwoche. Am nächsten Tag gingen wir zusammen essen. Und da fing alles an! Nach seiner Liebe zu Gott war das Kino die große Leidenschaft von Jean-Baptiste. Er war der gleichen Überzeugung wie ich, dass es nichts Wirksameres gäbe als einen abgedunkelten Kinosaal, um das göttliche Licht aufscheinen zu lassen. Die Kraft der Bilder. Nach kurzer Zeit erzählte er mir von einem seiner Freunde, der sich für Kunst interessierte und der ein Adressbuch mit mehr als sensiblen Adressen besaß: S. E. Msgr. Rey, Bischof von Toulon.

      Achtundvierzig Stunden später, am Gründonnerstag, als ich aus dem Haus ging und den Arm voller Blumen hatte, die ich am Altar niederlegen wollte, klingelt mein Handy. Die Nummer ist unterdrückt. Ich zögere, schließlich hebe ich ab.

      »Guten Tag, ich möchte mit Natalie Saracco sprechen«, sagt ein Mann mit einer tiefen Stimme.

      War es wegen seiner tiefen Stimme und seinem ernsten Tonfall, auf jeden Fall haben mich seine Worte in einen Zustand voll kindlicher Schuldgefühle versetzt. Ich fühlte mich gerade einmal sechs Jahre alt und machte mich darauf gefasst, von dieser »schullehrerhaften« Stimme ausgeschimpft zu werden.

      »Ja«, stammle ich beunruhigt.

      »Bischof Rey!«, sagte die furchterregende Stimme. »Also, Sie wollen einen Film über eine moderne Maria Magdalena drehen?«

      »Ja«, murmelt die kleine Natalie.

      »Das finde ich sehr gut!«

      »Ich auch«, wage ich zu antworten.

      »Was machen Sie an Ostern?«

      Die kleine Natalie antwortet naiv:

      »Äh, ich gehe zur Messe.«

      »Ich auch«, antwortet Bischof Rey amüsiert. »Wir könnten vielleicht zusammen gehen? Ich lade Sie ein, das Osterwochenende bei mir in Toulon zu verbringen!«

      »Hm … hm … ja, ja …«, murmelt die Kleine, »das ist eine gute Idee! Aber ich muss noch meine Eltern fragen. Wir haben geplant, das Osterfest zusammen zu verbringen. Sie sind allein und alt und ich möchte sie nicht im letzten Moment sitzen lassen und ihnen Kummer bereiten.«

      »Sehr gut! Halten Sie mich auf dem Laufenden«, sagt er, bevor er auflegt.

      Am nächsten Tag, Karfreitag, der Kreuzweg ist gerade beendet – das Gleiche nochmals –