Natalie Saracco

Zurück aus dem Jenseits


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innerlich auf Zehenspitzen bis zum Beichtstuhl und verwandle mich bei jedem Schritt mehr an eine dicke, schwere Hundertjährige mit Bleigewichten an den Schuhen. Je mehr ich dem Beichtstuhl näher komme, desto mehr wächst meine Angst und desto mehr weiche ich innerlich zurück. Ein Priester in einer weißen Albe wartet. Er sitzt gebeugt da und vergräbt den Kopf in seinen Händen. Etwas scheint ihn zu bedrücken. Meine Güte, eben vorher hat er wohl eine schwere Beichte abgenommen, und das alles wird auf mich zurückfallen! Ich schlängele mich wie ein Aal in einem Glasgefäß, um mich von diesem Piranha Gottes verschlingen zu lassen.

      »Machen Sie die Tür zu«, flüstert er, ohne den Kopf zu heben.

      »Mist!« Ob ich da wieder lebend herauskomme? Nun war ich von diesem Gottesmann mit den Netzen der göttlichen Vorsehung gefangen worden! Ich weiß nicht, ob sich dies zu einem wunderbaren Fischfang entwickeln wird, aber eines ist sicher, er wird sehr mühsam sein! Dann spucke ich meine Sünden aus. Aber anstatt mich mit moralisierenden, vorgefertigten Sätzen aufzuspießen, lächelt der Priester mich an.

      »Sie tauchen zusammen mit den anderen in die Tiefe ein, um diese mit an die Oberfläche zu bringen. Durch Ihre Verletzungen gibt der Herr Ihnen die Gnade, sein Kreuz mit ihm zu tragen. Freuen Sie sich!«

      Das Kreuz mit ihm tragen, ich gestehe, dass mich das ein wenig erschreckt hat. Aber nachdem der Priester mir die Absolution erteilt hatte, habe ich mich nicht nur sehr leicht, sondern auch glücklich und befreit gefühlt. »Slim Fast« wurde von »Slim Beichte« übertroffen! Welch eine überwältigende Freude, sich von der Liebe Gottes in diesem unvergleichlichen Sakrament ergreifen zu lassen!

      Als Buße gab mir dieser Kronprinz des »Großen Königs« auf, jeden Tag ein Gebet zum Heiligsten Herzen Jesu zu sprechen. Sofort verwandelte sich der süße Balsam in eine Falle. Wie bei vielen armen Sündern genügt es auch bei mir, dass ich, wenn ich mich zu einer Aufgabe verpflichtet fühle, keine Lust mehr dazu habe! Ein Gebet für das ganze Leben, Angst. Fünfzehnmal täglich vergesse ich meine Schlüssel, mein Handy usw., und nun »soll« ich mich täglich an ein Gebet erinnern! Ich bin aus dem Beichtstuhl gekommen – mein Herz ist mir in die Hose gerutscht – mit einem Gebet in der Hand. Schlussendlich habe ich dieses Gebet nie gebetet, nicht aus bösem Willen, sondern weil ich es verlegt und ganz vergessen hatte.

      Ein Jahr vergeht. Es ist der Tag nach dem Unfall und nach meiner Begegnung mit Jesus. Ich bin zu Hause, wache auf und bin wie gelähmt vor Schmerzen. Ich öffne die Augen und genieße aus ganzem Herzen die Gnade, immer noch am Leben zu sein und das mit mehr »Lebenslust« denn je. Vorsichtig bewege ich meinen Kopf – es ist, als ob die Halsschlagadern platzen würden –, ein kleiner Schlag in den Nacken, wie man Hasen tötet –, beinahe wäre ich querschnittgelähmt gewesen. Rechts neben meinem Bett auf dem Nachttisch liegt das Gebet zum Heiligsten Herzen Jesu, das ich vergessen und verlegt hatte. Jetzt war es plötzlich da und lehnte an meiner Wasserflasche. Was macht dieser verrückte Zettel hier? Ordnung und Aufräumen gehören zwar nicht zu meinen Prioritäten, aber in meiner organisierten Unordnung, anders will ich sie nicht nennen, weiß ich doch, wo die Sachen sind.

      Was macht dieses Gebet hier?

      War die faule Schülerin jetzt bereit, die göttliche Algebra zu entziffern?

      Von diesem Moment an bis heute erfüllt dieses tägliche Gebet mein Leben. Jeden Morgen verkoste und genieße ich es und lasse es in der tiefsten Tiefe meines Herzens zergehen. Wenn der Herr uns nachgeht, kann man ihm nicht leicht widerstehen. Das Heiligste Herz Jesu hatte demnach schon lange vor unserer Begegnung versucht, mich zu gewinnen, nur dass ich es nicht bemerkt hatte. Ich war nicht nur eine faule Schülerin, sondern sah auch noch schlecht.

      Einige Zeit nach der »wunderbaren Fischfang-Beichte« auf dem Montmartre – immer noch vor dem Unfall – fuhr ich in die Haute-Savoie. Ich mag die Berge und die endlosen Weiten. Die Natur bringt uns dem Wesentlichen näher. Ich war mit Lucy, meiner »Lieblingsatheistin«, unterwegs. Wir hatten eine Berghütte in der Pampa gemietet, weit oben mit Blick auf die Gipfel, der perfekte Rückzugsort, den ich dringend brauchte. Es war ein Samstagabend. Auf keinen Fall wollte ich die Vorabendmesse zum Sonntag verpassen, diese fand in der Abenddämmerung statt … Wie eine verlorene Seele irrte ich durch die Straßen von Thonon und hofften darauf, einen frommen Menschen zu treffen, der mir Auskunft geben könnte, wann und wo eine Messe gefeiert würde. Dieses Luder von Lucy schaute mich amüsiert an. Dieser Eurasierin kam ich plötzlich »chinesisch« vor: »Wem renne ich hinterher und vor allem warum? Gott existiert nicht, das ist klar!« Arme Lucy, »süße Meerjungfrau des Atheismus«, du wirst nichts verpassen, wenn du einfach nur wartest. Auch dich hat er erwählt. Die Läden machten nacheinander zu, die Cafés leerten sich. Nichts und niemand war da, um mir Auskunft zu geben, in welcher Kirche an diesem Samstagabend die Messe gefeiert würde.

      Loslassen, sich ihm überlassen, ihm vertrauen.

      Wie ein Zombie, der den unsichtbaren Gott sucht und sich dabei auf eine übernatürliche Auferstehung gefasst macht, bin ich losgegangen, immer der Nase nach, und wurde von einem sonderbaren sechsten Sinn geführt.

      Lucy folgte mir wie ein böser Schatten, der nur darauf wartete, sich an meinem Misserfolg zu ergötzen. Geführt vom GPS der göttlichen Liebe stand ich plötzlich vor der Kirchentür! Ich drehte mich um, nicht ohne eine gewisse Genugtuung, warf meiner asiatischen Freundin mit der ganz anderen Einstellung ein breites Lächeln zu.

      »Kommst du mit?«, schleuderte ich ihr entgegen. Mein Sieg stand mir ins Gesicht geschrieben.

      »Nein danke«, gab sie etwas verärgert zurück.

      »Ich gehe in das Café dort drüben«, fügte sie hinzu.

      »Wenn du wieder herauskommst, findest du mich dort.«

      Und dann verschluckte mich das Gotteshaus zur einzigen »Friedensparty«, der einzigen Messe in der ganzen Gegend. Es war brechend voll. Am Eingang stürzte sich ein junger Priester mit ausgestreckter Hand auf mich:

      »Willkommen in der Kirche zum Heiligsten Herzen Jesu«! Welch ein Zufall.

      »Danke, Herr Pfarrer.«

      Ich schaute ihn genauer an und bemerkte, dass er wie ein Greis aussah. In Wirklichkeit ähnelte er den Menschen hier, dieser ungewöhnlichen Versammlung, die die Kirche füllte. Das Kirchenschiff war brechend voll mit älteren Leuten. Je weiter ich auf der Suche nach einem Platz nach vorn ging, desto mehr solcher Menschen, die zur Herde gehörten und bereits am Lebensende angekommen waren, entdeckte ich. Gott hat kein Alter und sein Haus ist für alle da. Aber ich war überrascht, dass junge Leute aus dieser merkwürdigen Gemeinde verbannt zu sein schienen. Ich flüchtete mich auf den letzten freien Platz vorn vor dem Altar. An diesem Tag reichte es mir, ich war völlig am Ende. Ich kniete nieder, betete und vergrub dabei mein Gesicht in beiden Händen. Die Älteste von allen war in Wirklichkeit ich selbst.

      Ich sah diese Kirche voller Omas und Opas, und bald trat mein persönlicher Schmerz in den Hintergrund: »Herr … Mein armer Herr, was wird denn geschehen, wenn diese Leute einmal sterben? Wird deine Kirche dann leer sein? Vielleicht wird sie sogar zerstört oder in eine topmoderne Diskothek umgebaut werden. Wie traurig! Du, der du dein Leben aus Liebe für uns hingegeben hast, um uns zu retten.« Und ich fing an, bitterlich zu weinen. Plötzlich spürte ich, wie jemand mich eindringlich anschaute. Wie durch einen Magneten angezogen, blieb mir keine andere Wahl, als den Kopf zu heben und die Augen zu öffnen. Über mir prangte ein riesiges Fresko, auf dem Christus mit geöffneten Armen und seinem Heiligsten Herzen, umschlungen von einem Dornenkranz, abgebildet war.

      Jesus wandte sich an mein müdes Herz:

      Wenn dich dein Leben nicht mehr interessiert, dann gib es mir. Dein Leben gehört mir, aber ich möchte, dass du es mir aus freien Stücken übergibst.

      Er wartete, er, der große Gott, auf meine Antwort. Ich war völlig gelähmt, aber mein Herz war es nicht.

      »Aber ja, mein Herr, natürlich übergebe ich es dir!«

      Und ich löste mich in Tränen auf.

      Du liebst mich, ich weiß es, fuhr er fort, deshalb rechne ich mit dir, dass du dafür sorgst, dass sich meine Kirche wieder füllt.