Patricia Vandenberg

Praxis Dr. Norden Box 4 – Arztroman


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Abend, dass sie plötzlich fröstelte?

      »Woran denkst du?« Arndt schickte ihr einen fragenden Seitenblick. Ehe sie ihre Gedanken sortiert hatte, fuhr er fort. »Lass mich raten! Du überlegst, ob du mein Angebot annehmen und bei mir arbeiten sollst.«

      Janine lachte verlegen.

      »Dein Angebot schmeichelt mir wirklich sehr. Dummerweise würden es mir Wendy und Danny niemals verzeihen, wenn ich es annehmen würde.«

      »Damit könnte ich leben.« Er blieb stehen. Janine blieb nichts anderes übrig, als sich zu ihm umzudrehen. Ohne sie aus den Augen zu lassen, zog er ihre Hand an seine Lippen. »Du solltest nicht nur an die anderen denken. Viel wichtiger ist doch, was du selbst willst. Findest du nicht?«

      »Bevor du in mein Leben getreten bist, habe ich nie auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendet, den Arbeitsplatz zu wechseln«, erwiderte Janine. »Das ist doch Beweis genug dafür, dass ich mich wohl dort fühle, wo ich bin.«

      »Vielleicht würdest du dich in meiner Praxis auch wohl fühlen«, gab Arndt zu bedenken. »Du könntest alles so machen, wie du es für richtig hieltest, ohne dich nach irgendjemand anderem richten zu müssen. Mal abgesehen davon, dass du viel Neues lernen könntest. Ich würde dich auf Fortbildungen in Homöopathie und TCM schicken. Du könntest eine Heilpraktikerausbildung machen und meine rechte Hand werden. Deine eigenen Patienten behandeln.«

      Janines Herz schlug schneller. Gleichzeitig schmerzte ihr Kopf. Sicher, diese Vorstellung war verlockend. Vielleicht sogar mehr als das. Andererseits …

      »Gib uns ein bisschen Zeit, um uns besser kennenzulernen. Wer weiß, vielleicht entdeckst du mit der Zeit Eigenschaften an mir, die dich auf die Palme bringen.«

      »Und welche sollten das sein?«, fragte Arndt schmunzelnd.

      »Beim Telefonieren male ich gern Muster auf die Schreibtischunterlage. Ich singe beim Autofahren. Wenn ich joggen gehe, muss ich mir immer vorstellen, ein böser Mann wäre hinter mir her. Sonst hätte ich ja keinen Grund, schnell zu lau …«

      »Genug. Genug!«, unterbrach er sie lachend. Er blieb stehen und zog Janine in seine Arme. »Das sind wirklich schreckliche Eigenschaften. Und eines ist sicher: Mit Malte wirst du dich ganz ausgezeichnet verstehen. Er spricht mit dem Kühlschrank und schlägt Gummibärchen tot, bevor er sie isst, weil er sie nicht bei lebendigem Leib verspeisen will.«

      Anders als erwartet, stimmte Janine nicht in das Lachen ihres Begleiters ein. Malte! Dieses Stichwort hatte sie an ihr Versprechen erinnert. Bevor sie sich auf den Rückweg in die Praxis machten, musste sie unbedingt seine Bitte in die Tat umsetzen.

      »Apropos Malte«, begann sie und bückte sich nach einem Isarkiesel. Seine glatte Oberfläche beruhigte sie. »Er hat mir sein Geheimnis verraten.«

      Arndt blieb stehen.

      »Dir?« Seine Stimme klirrte. So abweisend hatte Janine ihn nie zuvor gesehen. »Warum dir? Ihr kennt euch kaum.«

      Diese Frage hatte sie sich auch gestellt.

      »Ich glaube, er wollte dich schonen.«

      Arndts Lachen war fast ein wenig abfällig.

      »Ich bin ein erwachsener Mann und halte schon was aus.«

      »Wenn Malte das denken würde, hätte er dir sicher gesagt, dass er Angst hat, an Morbus Crohn zu leiden. Genau wie seine Mutter.« Endlich war die Wahrheit heraus. Janines Mission war erfüllt. Was Vater und Sohn damit anfingen, war zum Glück nicht mehr ihre Sache.

      Plötzlich hatte Arndt es eilig, sie zurück in die Praxis zu bringen. Janine hatte nichts dagegen.

      *

      Malte Stein lag auf der Couch im Wohnzimmer und starrte auf das Mobiltelefon in seiner Hand.

      »Der Teilnehmer ist leider nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt wieder«, schnarrte der Lautsprecher. Noch nicht einmal die Mailbox, damit er sich für seine Flucht aus dem ›Schöne Aussichten‹ entschuldigen konnte. Zu allem Überfluss drehte sich jetzt auch noch der Schlüssel im Schloss. Was um alles in der Welt wollte sein Vater um diese Uhrzeit hier?

      »Hallo, Sportsfreund!« Arndt Steins Stimme hallte durch die Wohnung. »Bist du zu Hause?«

      »Schrei nicht so! Ich bin doch nicht taub.«

      »Tut mir leid, ich habe dich gar nicht gesehen.«

      »Ich bin ja auch noch so klein.« Malte rollte sich auf die Seite und schnitt eine Grimasse. »Da kann das schon mal passieren.«

      Im Normalfall war sein Vater immer für einen Spaß zu haben. Doch diesmal lachte er nicht. Nicht das kleinste Lächeln zog seine Mundwinkel hoch. Arndt setzte sich auf den Hocker, der im gleichen Stoff wie die Wohnlandschaft bezogen war. Eine Weile sagte keiner der beiden ein Wort. Unwillkürlich musste Malte an einen Western denken. An diese Szenen, wenn sich zwei Cowboys gegenüberstanden. Wer von ihnen würde als erster die Waffe ziehen?

      Es war Arndt.

      »Ich habe mit Janine gesprochen.«

      Also doch! So schnell hatte Malte nicht damit gerechnet.

      Er suchte noch nach einer Antwort, als sein Vater fortfuhr.

      »Warum hast du mir nichts von deinen Sorgen erzählt?«

      Malte starrte auf die Landschaftsaufnahme an der Wand neben der Terrassentür. Ein undurchdringlicher Wald. Als Kind hatte er sich immer vorgestellt, sich darin zu verstecken. Für die Augen der anderen unsichtbar zu sein, während er alles beobachten konnte.

      »Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«

      Arndt stand auf. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und begann, vor der Couch auf und ab zu laufen.

      »Und deshalb erzählst du lieber einer wildfremden Frau von deinem Verdacht, statt zu mir zu kommen?«

      »Janine ist vom Fach. Ich dachte, sie kennt sich aus. Außerdem ist sie nett. Und deine Freundin.«

      »Trotzdem verstehe ich dich nicht.« Arndt blieb vor seinem Sohn stehen. »Habe ich nicht immer alles für dich getan? Mein Privatleben für dich zurückgestellt? War ich neben meiner Arbeit nicht ganz für dich da?«

      Malte hievte das verletzte Bein von der Couch. Er setzte sich kerzengerade hin.

      »Vielleicht wäre weniger manchmal mehr gewesen.«

      Arndt schnappte nach Luft.

      »Was soll das denn schon wieder heißen?«

      »Dass du mich mit deiner Liebe und Fürsorge, mit diesem Beste-Freunde-Gedöns erdrückt hast. Weißt du eigentlich, wie schrecklich es ist, keine Geheimnisse haben zu dürfen? Kein eigenes Leben?«

      »Aber … aber … ich habe es doch nur gut gemeint. Ich dachte, du würdest unsäglich unter dem Verlust deiner Mutter leiden.«

      »Daran ändert sich nichts, wenn du mir die Luft zum Atmen nimmst«, fauchte Malte. »Wenn du mit Mama genauso umgegangen bist, wundert es mich nicht, dass sie gegangen ist.« Er stemmte sich vom Sofa hoch und humpelte an seinem Vater vorbei aus dem Zimmer. »Weißt du, wie froh ich bin, dass du endlich eine Freundin hast? Jetzt hast du hoffentlich nicht mehr so viel Zeit, die Glucke zu spielen. Jetzt habe ich hoffentlich endlich die Gelegenheit, mein eigenes Leben zu leben.« Gleich darauf hallten seine Schritte auf der Treppe.

      Arndt stand im Wohnzimmer und sah ihm nach. Die Ohren klingelten ihm wie nach einem Satz Ohrfeigen. Heute war offenbar nicht sein Tag.

      *

      Wendy drehte sich, dass selbst ihre kurzen Haare durch die Luft flogen. ?hre Wangen leuchteten mit den Rosen in der Vase um die Wette. Auf ihrer Stirn glänzten feine Schweißperlen.

      »Olé!« Sie stieß den rechten Arm in die Luft, stemmte die linke Hand in die Hüfte und warf den Kopf in den Nacken.

      Dr. Daniel Norden spendete seiner ehemaligen Assistentin Applaus.

      »Da