beginnen. Du kennst sie doch, oder?“, erwiderte er.
„Ja, was heißt kennen. Mehr die Inge … die war ja mit uns in Köln auf dem Karneval. Er ist zu Hause geblieben und hat auf die Kinder geschaut. Scheint eine ziemliche Spaßbremse zu sein“, antwortete Lotta. In Wahrheit hatte sie mit diesem Herrn Thiel bei ihrem Besuch im Westerwald nicht ein einziges Wort gesprochen. Dass der nicht so auf Feiern und Karneval stand, wusste sie lediglich von den Aussagen der anderen. Inge Moretti, die Mutter ihrer Freundin Nina, hingegen war eine sehr spaßige und auch kommunikative Person. Aber es hieß ja auch immer, dass Gegensätze sich anzogen. Was auch logisch war. Gar nicht auszudenken, wenn bei einem Paar beide quasselten wie ein Wasserfall. Bei ihnen war auch eher Krischan der ruhigere Part. Wobei Lotta sich jetzt auch nicht als eine Quasselstrippe sah.
„Laut der Liste bewohnen die beiden das Zimmer vierundzwanzig. Am besten, wir schauen gleich mal, ob sie da sind“, beschloss sie und machte sich ohne Onnos Antwort abzuwarten auf den Weg.
Im Flur bog sie so hastig um die Ecke, dass sie beinahe mit einem älteren Herrn zusammengestoßen wäre.
„Upps, sorry“, entschuldigte sie sich bei dem beleibten Graubärtigen und wollte schon weiterhasten, als ihr noch etwas einfiel.
„Hallo Sie …“, rief sie ihm hinterher. Der Graubärtige drehte sich zu ihr um und blickte sie fragend an.
„Sind Sie ein Gast?“, fragte sie und taxierte ihn blitzschnell von Kopf bis Fuß. Er trug eine Wollmütze mit der Aufschrift „Moin Moin“, wie man sie hier überall in den Souvenirläden kaufen konnte, dazu Jeans, Turnschuhe und ein T-Shirt mit Zebrakopf und der Aufschrift MSV Duisburg, das vor dem Bauch etwas spannte.
„Ja“, antwortete er.
Der gehörte bestimmt nicht zu dem Kegelclub, ging es Lotta durch den Kopf. Die kamen ja alle aus dem Westerwald. Warum sollte von denen einer das Shirt eines Fußballvereins aus dem Ruhrgebiet tragen?
„Dann bräuchte ich bitte Ihren Namen und die Zimmernummer“, forderte sie ihn jetzt erst einmal auf.
Der Graubärtige blickte sie verwundert an und zog dann einen Zimmerschlüssel hervor und schaute auf den Anhänger daran. Hinter dem Herrn tauchte nun endlich auch Onno auf.
„Heribert Wolf. Zimmer achtzehn“, antwortete der Gast nun und Lotta überflog schnell die Liste in ihren Händen. Sie wurde fündig.
„Dann gehören Sie auch zu diesem Westerwälder Kegelclub“, antwortete sie.
Heribert Wolf verzog genervt das Gesicht.
„Ja … leider“, erwiderte der.
Bevor sie nachfragen konnte, was es mit dem „leider“ auf sich hatte, mischte Onno sich in die Befragung ein.
„Achtzehn. Dann bewohnen Sie also das Zimmer direkt neben Frau Kolchowsky?“
Heribert Wolf nickte und schluckte. Ob der etwa schon wusste, dass diese Erna tot war?
„Ja … ich glaube, die wohnte nebenan. Schlimme Sache. Wirklich schlimm.“
„Was meinen Sie mit schlimme Sache?“, kam Onno ihr wieder zuvor.
„Na, weil … ja … ich komme gerade vom Strand. Und da haben wir sie ja gesehen … das Dirndl ist ja unverkennbar“, stammelte Wolf.
Lotta bemerkte, wie Onno die Augen zusammenkniff. Sie kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut. Der Kollege hatte die Fährte aufgenommen. Auch ihm war dieser Wolf nicht geheuer. Der Mann wusste mehr, als er wissen dürfte und verheimlichte vermutlich irgendetwas vor ihnen.
„Reisen Sie alleine oder in Begleitung?“, erkundigte Lotta sich, obwohl sie natürlich aus der Liste des Reiseleiters bereits wusste, dass Herr Heribert Wolf ein Einzelzimmer bewohnte.
„Alleine … weshalb?“, antwortete Wolf brav, schien aber den Braten auch bereits zu riechen. Seine Stimme hatte etwas Vorsichtiges, Lauerndes. Der merkte genau, dass sie ihn gerade quasi in die Mangel nahmen und passte dementsprechend auf, was er sagte. Außerdem hatte er gerade bereits gestanden, am Strand gewesen zu sein. Das war typisch. Ein Täter kehrte angeblich immer noch einmal an den Ort seiner Tat zurück. Zumindest hieß es doch schon immer so. Warum dem so war, wusste Lotta nicht, aber wenn es immer alle behaupteten, musste ja etwas dran sein.
„Wo waren Sie denn heute Nacht zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens?“, stellte Onno eine der entscheidenden Fragen.
Wolf blickte sie abwechselnd und ziemlich feindselig an.
„Sagt mal … spinnt ihr jetzt alle. Wo soll ich denn bitte schön gewesen sein? Ich hab’ geschlafen, nachdem wir aus diesem Lokal zurückgekommen sind“, schimpfte er.
„Wann genau haben Sie welches Lokal verlassen und mit wem“, hakte Onno nach.
Wolf schnaufte.
„Genau weiß ich es nicht mehr. Das Lokal hieß … irgendwas mit einer Düne …“ „Düne 13“, half Lotta ihm und erntete einen bösen Blick von Onno. Was der schon wieder hatte? Da war doch nichts dabei. Sie legte dem potenziellen Täter mit solch einer Hilfestellung keine Worte in den Mund.
„Ja, ich glaube so hieß das. Düne 13“, bestätigte Wolf und fuhr dann fort.
„Um Mitternacht haben wir die Erna ja noch hochleben lassen – die wird ja heute sechzig. Irgendwann hab’ ich gezahlt, mir eine Zigarette gedreht, bin mit einigen der anderen raus aus dem Lokal und alleine noch ein paar Meter in Richtung Strand gegangen“, berichtete er.
„Sie waren also nach Mitternacht noch am Strand?“, nahm Onno die Steilvorlage auf.
„Nein, war ich nicht“, erwiderte Wolf patzig.
„Aber Sie sagten doch gerade …“, mischte Lotta sich ein.
„Ich sagte, ich bin in Richtung Strand gegangen. Keine fünfzig Meter vom Lokal hab’ ich oben auf der Düne gestanden und eine geraucht. In den Kneipen darf man ja heutzutage nicht mehr“, stellte Wolf klar. Lotta konnte sich die Szenerie gut vorstellen. Sie kannte die „Düne 13“, von dort waren es tatsächlich nur wenige Meter bis zu der Stelle, wo der Holzbohlenpfad begann, der hinunter zum Strand führte. Sie konnte sich vorstellen, wie Wolf dort gestanden hatte, auf das Meer geblickt und geraucht hatte.
„Sie haben also oben auf der Düne geraucht. Was ist dann passiert?“, forschte Onno in strengem Ton weiter.
„Ich hab’ die Zigarette am Pfahl eines Schildes ausgedrückt, die Kippe ordnungsgemäß entsorgt und bin dann zum Hotel gegangen“, behauptete Wolf.
„War jemand bei Ihnen oder waren Sie allein“, ließ Onno nicht locker.
„Ich war alleine und das war auch gut so“, reagierte Heribert Wolf nun wieder etwas ruppiger.
„Warum war das gut so?“, musste Lotta nun wissen.
Heribert Wolf lächelte gequält.
„Weil es irgendwann auch mal gut ist. Diese Rumkugeln kann man auf Dauer nämlich nur sehr schwer ertragen“, gestand er. Lotta nickte. Heriberts Aussage von vorhin fiel ihr wieder ein. Er hatte „leider“ gesagt, als sie ihn fragte, ob er zu dem Kegelclub gehöre.
Kapitel 5
Montag, 21. September 2020, 12:30 Uhr
ANNE II / Hafen Langeoog
Krischan Dönges lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und verschränkte zufrieden die Hände vor der Brust.
Er könnte jetzt nach getaner Arbeit noch Stunden auf der Bank vor dem Steuerhaus an Deck des ehemaligen Krabbenkutters sitzen und sein Werk betrachten. Alles auf dem alten Schiff glänzte und blinkte, als wäre es gestern erst vom Stapel gelaufen. Na ja … nun gut … man sah der ANNE II ihr Alter schon noch an. Aber sie war dennoch top in Schuss. In den letzten Monaten hatte er eine Menge Arbeit in das Schiff gesteckt, das ihm seine Tante Annemarie Hansen erst im letzten Jahr nach der bestandenen Kapitänsprüfung offiziell überschrieben hatte. Seitdem hatte