auf der vermutlich den Rest des Jahres eh nichts los war. Der Mann schob, im wahrsten Sinne des Wortes, eine ruhige Kugel … vor sich her.
„Polizeihauptmeister Federsen“, stellte der Dicke sich ihm zumindest nun vor. Hans Peter zog seine Hand zurück und ließ sie nun ebenfalls in der Jackentasche verschwinden.
„Weiß man schon Genaueres? War es ein Unfall oder liegt Fremdverschulden vor?“, wandte er sich ohne weitere Floskeln an Lotta Dönges, die ihm eindeutig sympathischer und kompetenter war als der mürrische Dicke.
„Wir gehen derzeit tatsächlich von Fremdverschulden aus. Wie es aussieht, wurde Frau Kolchowsky erwürgt“, bestätigte sie seine böse Ahnung und fing sich damit sogleich einen bösen Blick des Polizeihauptmeisters ein, der es vermutlich gar nicht gut fand, dass seine Kollegin hier Dienstinterna ausplauderte.
„Uns würde viel eher interessieren, wo Sie sich zum Tatzeitpunkt befunden haben, Herr Kriminaloberkommissar a. D.“, knurrte er.
Thiel musste lächeln. Wie der Dicke das a. D. betonte, das hatte schon etwas an sich. Doch wenn der glaubte, er würde ihn damit treffen, beleidigen oder aus der Reserve locken, dann irrte er sich. Solche Spitzfindigkeiten perlten bei ihm ab wie Wassertropfen von einem Lotusblatt. Wenn er sich in all den Jahren bei der Polizei etwas zugelegte hatte, dann war dies ein sehr, sehr dickes Fell.
„Ich war bei meiner Lebensgefährtin“ erwiderte Thiel daher vollkommen ruhig und beobachtete jede Mimik seines Gegenübers sehr aufmerksam. Dieser Federsen mochte ihn nicht. Das war überdeutlich. Vermutlich mochte der Mann niemanden, der es als Beamter weiter geschafft hatte als er selbst. Mit Mitte fünfzig das Karriereaus in einem Kaff wie Langeoog konnte nicht das Lebensziel eines strebsamen Polizisten sein.
„Wir waren hier im Hotel, als Frau Kolchowsky starb“, fügte Thiel noch einmal brav hinzu.
„Warum sind Sie sich da so sicher? Sie können doch gar nicht wissen, wann Frau Kolchowsky getötet wurde“, schoss der Dicke zurück und kam sich dabei, wie sein dummes Grinsen verriet, besonders schlau vor.
„Ich bin mir da so sicher, weil wir beide die ganze Zeit hier gemeinsam im Hotel waren. Als meine Frau und ich heute Nacht die ‚Düne 13‘ verließen und zurück in unser Quartier gingen, lebte Frau Kolchowsky noch. Heute Morgen beim Frühstück erfuhr ich dann von einer Leiche am Strand. Also gehe ich einfach einmal davon aus, dass sich die Tat irgendwann zwischen halb eins in der Nacht und etwa acht Uhr am Morgen zugetragen haben muss. In der gesamten Zeit haben wir beide“, er deutete auf Inge, „das Hotel nicht verlassen.“
„Sie haben also beim Frühstück bereits von dem Mord an Frau Kolchowsky erfahren?“, fragte der Polizeihauptmeister nach.
Thiel schüttelte lächelnd den Kopf.
„Nein.“
„Aber Sie haben doch gerade gesagt, dass …“, herrschte der Uniformierte ihn an und schnappte aufgebracht nach Luft. Thiel fuhr ihm sofort über den Mund.
„Nein, das habe ich nicht. Sie müssen mir schon genau zuhören, wenn ich etwas sage. Ich habe wortwörtlich gesagt, dass ich von einer Leiche am Strand erfahren habe. Es war weder von Frau Kolchowsky noch von einem Mord die Rede“, belehrte Thiel ihn. Der Polizist starrte ihn fragend an und Thiel glaubte ein Lächeln im Gesicht von dessen Kollegin zu erkennen. Ja, diese Lotta war ihm wirklich sympathisch. Ein sehr pfiffiges Mädchen.
*
Lottas Freundin Nina hatte ihr schon viel über ihren ehemaligen Kollegen Hans Peter Thiel erzählt. Einen knurrigen alten Bullen mit dem Herz am rechten Fleck, hatte sie ihn genannt. Als Lotta im Frühjahr mit Nina und deren Freunden zum Karneval nach Köln gefahren war, hatte der ehemalige Kriminaloberkommissar derweil auf die Kinder aufgepasst. Eike nannte den alten Bullen seitdem seinen Opa Hans Peter aus dem Westerwald. Auf alle Fälle schien der kauzige Alte mit Kindern besser zu können als mit Erwachsenen. Zwischen ihm und Onno lag ein ungutes Knistern in der Luft. Dass die beiden nicht miteinander konnten, war mehr als offensichtlich. Lotta verstand nur nicht, warum es da so gefährlich knisterte. War das so ein Machoding zwischen älteren Herren? Könnte schon sein.
„Können Sie sich noch daran erinnern, wann und mit wem genau Sie das Lokal verlassen haben?“, stellte Lotta eine, wie sie fand, sinnige Frage. Sie mussten in ihren Ermittlungen weiterkommen, solange Spuren und die Erinnerungen der etwaigen Zeugen noch frisch waren. Es nützte niemandem etwas, wenn Onno und Hans Peter Thiel sich um Formulierungen stritten.
„Es war genau null Uhr und vierunddreißig Minuten, als wir aufgebrochen sind. Wir waren insgesamt zu siebt. Bei uns waren dieses Paar aus der Nähe von Frankfurt … er hieß, glaub ich, Josef … und sie …“
Thiel machte eine Pause und sah zu seiner Lebensgefährtin Inge Moretti.
„Andrea und Jupp Barschtipan“, wusste diese auch tatsächlich.
Thiel nickte.
„Genau, die Barschtipans“, bestätigte er.
Lotta notierte die Namen und die Uhrzeit in ihrem Notizbuch.
„Waren der Helmut und seine Frau Heide nicht auch mit uns zurück zum Hotel gegangen“, fragte Inge Moretti.
Thiel nickte abermals.
„Genau, Inge. Die beiden und noch diese Oberrumkugel Hubert Bitterbach.“
Lotta kritzelte weiter.
„Sie wissen nicht zufällig auch noch den Nachnamen des zweiten Paares?“, erkundigte sie sich der Ordnung halber.
„Witzka, W i t z k a“, buchstabierte Inge Moretti ihn ihr sogar noch.
„Wie kommt es, dass Sie sich so genau an die Uhrzeit erinnern können?“, mischte Onno sich mit einer Frage ein, die Lotta ebenfalls schon in den Sinn gekommen war.
„Weil ich auf die Uhr gesehen habe“, erwiderte Thiel.
„Und daran können Sie sich so genau erinnern?“, hakte Onno nach.
„Ja kann ich. Ich war nämlich in dem Moment sehr glücklich darüber, dass diese Versammlung des unsinnigen Frohsinns endlich ein Ende hatte“, knurrte der alte Polizist sichtlich genervt und fing sich sofort einen bösen Blick seiner Lebensgefährtin ein.
*
„Herr von Schlechtinger, was kann ich denn für Sie tun?“, fragte die nette Aushilfe hinter der Verkaufstheke, während er immer noch ziemlich unschlüssig vor dem Tresen der Lottoannahmestelle stand und die bunten Rubbellose in dem Plastikständer betrachtete.
„Ich interessiere mich für so ein Los“, erklärte er, kratzte sich in Gedanken mit der linken Hand am Kinn und deutete mit der rechten auf den Ständer mit den Losen. Sollte er tatsächlich sein sauer verdientes Geld in solch eine waghalsige Unternehmung investieren? Sein Verstand sagte ganz klar NEIN. Andererseits bestand ja nun aber auch die Aussicht auf einen fetten Gewinn bei einer recht niedrigen Einlage. Das teuerste Los, das Platin 7, kostete gerade einmal zehn Euro und versprach einen Gewinn von fünfhunderttausend Euro. Was man damit alles anfangen könnte!
„Welches der Lose darf es denn sein?“, fragte die hübsche Blonde, die dem Alter her seine Tochter oder gar Enkelin sein könnte. Dies allerdings nur, wenn er sehr früh angefangen hätte.
„Nä, ich wollte dat ja eigentlich nit kaufen tun … also nit gleich. Ich bräuchte da erst mal noch so ein paar Informationen. Von wegen, wie dat so ablaufen tut“, erklärte er sich.
„Das ist ganz einfach. Sie bezahlen das Los, ich händige Ihnen das Los aus, Sie rubbeln das Feld mit den Zahlen frei und haben dann entweder etwas gewonnen oder nicht“, erwiderte die junge Frau und blickte ihn erwartungsvoll an.
„Und wer gibt mir dann die Penunzen, wenn ich gewonnen habe?“, wollte er wissen.
„Na, ich“, antwortete sie.
„Sofort?“, hakte er nach.
„Klar.“
„Wie … wat … Sie