Ich kann das jetzt nicht. Aber der Doktor kennt keine Gnade. Er ist der Jüngste im Raum. Warum darf der das eigentlich?
»Und, meine Herren und Damen? Was haben wir? Triebmord, Vergewaltigung? Eifersucht? Oder hat’s etwas mit Fußball zu tun?«
Die Art, wie der Fatzke das Wort »Fußball« betont, ist derart herablassend, dass ich ihm am liebsten seine hässliche Krawatte in den Rachen stopfen möchte. Aber Fatzke nimmt das nicht wahr. Ist auch besser so.
»Herr Heinzel, was hat die KTU ergeben?«, fragt er Berti. Ich kann seinen Tonfall schlecht ertragen. Sein extraförmliches Anwaltsgesülze.
»Leider nichts Konkretes«, erklärt Berti. »Keine Mordwaffe. Ihr Handy ist schwer beschädigt. Die Technik arbeitet daran, die Daten zu rekonstruieren.«
»Was sagt die Gerichtsmedizin?«, erkundigt Doktor Föhnbeißer sich weiter und glotzt in die Runde. Das Einzige, was mich oft rettet in solchen Gesprächen, ist das Erfinden von Spitznamen für ihn.
Schröter antwortet ihm: »Todesursache: drei Stiche ins Herz. Ein Fan-Emblem wurde ihr vermutlich post mortem in den Mund gesteckt. Die Male am Körper entstanden wahrscheinlich als Nebeneffekt. Keine Vergewaltigung.«
Berti sieht mich an. »Keine Spermaspuren. Aber Fremd-DNA an der Kleidung. Männliche DNA.«
Das erfahre ich erst in diesem Moment.
»Für mich ist der Fall eindeutig: ein wütender Fan-Rivale aus Aalen«, lege ich mich fest. »Zumindest ist das die naheliegende Schlussfolgerung.«
»Nach Cats Provokation während des Spiels am wahrscheinlichsten«, stimmt mir mein SpuSi Berti zu. »Die waren extrem angefressen, weil sie verloren haben. Und Cat hat sie zusätzlich gedemütigt.«
»Und das Emblem in ihrem Mund passt für mich dazu: Die wollten ihr oft genug das Maul stopfen«, ergänze ich für das Staatsanwaltsjungchen, sehe dann zu Schröter, um zu überprüfen, ob mein Tatortphilosoph mir beipflichtet. Tut er nicht.
»Die Leiche wurde in eine quasi schlafende Position gebracht, nachträglich«, wendet er ein. »Und das Gesicht abgedeckt. Mit jemandem, den ich hasse, mache ich mir diese Mühe nicht. Den will ich erniedrigen und möchte, dass ihn, in diesem Fall sie, alle so sehen.« Ich schüttle sofort den Kopf, aber er redet weiter: »Ich glaube an Eifersucht. Jemand mochte sie, wurde enttäuscht und ist wütend geworden. Und danach wurde ihm bewusst, dass er das eigentlich nicht wollte, und hat sie symbolisch zur Ruhe gebettet, sozusagen.«
»Dazu passt das Emblem im Mund nicht«, widerspricht ihm Berti, und ich sehe es genauso.
Schröter zieht die Schultern hoch. »Oder es war jemand aus den eigenen Reihen, der sich Hoffnungen machte und enttäuscht wurde. Sie war eine attraktive Frau.«
Berti und ich schütteln nun beide den Kopf. »Von den eigenen Fans?«, frage ich. »Weißt du, was für eine eingeschworene Clique die sind? Mach dich nicht lächerlich.«
»Klar«, antwortet Schröter. »Die Rivalen sind der erste Gedanke. Und das Emblem im Mund deutet darauf hin. Aber das ist mir ein viel zu respektvoller Umgang mit jemandem, der sie so runtergeputzt hat.«
Das versteht er nicht. »Nein, Schröter. Die Ultras sehen das anders. Für die stellen die Provokationen im Stadion keine persönliche Angelegenheit dar. Das ist ein Wettstreit darum, wer das Duell der Kurven gewinnt. Provokationen gehören dazu. Und wenn es eine gute ist, dann respektiert man das.«
Schröter sieht mich skeptisch an. »Eine gute Provokation?«
»Ja, Schröter. Eine kreative.« Mein Partner scheint nicht überzeugt. Ich lege nach: »Für mich ist das ein völlig homogener Gedanke: Du bist wütend, es kommt zum Streit, die Emotionen kochen hoch, und dann geschieht es. Aber aus Respekt vor dem, was Cat als Heldin der Osttribüne und als Ultra geleistet, wie engagiert sie ihren Verein supportet hat, legst du sie hin wie schlafend. So hast du es doch ausgedrückt.«
Ich blicke zu Berti, und der sieht es offensichtlich genauso.
»Versteh ich nicht«, meint Schröter. »Für mich wäre das nur so denkbar: Katrin Benzeler behandelt die gegnerischen Fans respektlos und erhält dafür die Quittung. Dann wirfst du den Leichnam aber in den Dreck und bist mit ihr fertig.«
Wir starren uns alle an. Ach ja. Ich liebe meinen Job.
Aber mein Philosoph ist nicht durch damit. Ich sehe schon, gleich kommt noch was. Na. Wann? Jetzt.
»Wage es, hinter das Offensichtliche zu blicken«, meint er. Da haben wir’s ja. »Vielleicht ist das Emblem im Mund auch nur eine Finte. Inszeniert für uns, um von dem persönlichen Motiv abzulenken. Jemand mochte sie dafür, was sie war, aber hasste es dagegen, wie sie war. Dann wäre es jedoch ebenfalls ein Beziehungsdelikt.«
Gut. Auch nicht unplausibel.
»Okay. Das sind alles schöne Theorien«, meint der Fatzke nun. »Aber halten wir uns an die Fakten. Wie wollen Sie vorgehen?«
»Zunächst das nähere Umfeld abstecken. Rausfinden, ob sie aktuell mit jemandem zusammen war. Damit haben wir bereits begonnen.« Ich sehe zu Schröter. »Eine Beziehungstat ausschließen. Parallel dazu die Fans aus Aalen ins Visier nehmen.«
»Das Emblem, post mortem in den Mund gesteckt. Haben wir einen Psychopathen?«, fragt sich Flöhnrieser laut. »Müssen wir die vom Sexualdelikt dazuholen?«
Bevor ich aufspringen und abwehren kann, klingelt Schröters Handy. »Die Gerichtsmedizin.« Er geht ran. »Aha. Okay. Wirklich!?«
Schröters Augen werden größer. Was ist?
»Verdammt.«
Was?
»Übersehen?«
Was denn? Was ist los?
»Danke.« Schröter blickt betroffen in die Runde. »Katrin Benzeler war schwanger.«
Menopause
»Das werde ich den Benzelers nie und nimmer sagen!«, blaffe ich und lasse den Motor aufheulen. Im Leben nicht! Kann machen, wer will. Ich nicht!
»Verändert die Sachlage nochmals«, bemerkt Schröter auf dem Beifahrersitz.
Als ob ich das nicht selbst wüsste. Schwanger verändert einfach alles!
Der Kopf dreht sich. Too much information. Meine Welt wankt. Nicht, dass ich das nicht kenne. Sie geriet die letzten Jahre bei der Kripo des Öfteren aus dem Gleichgewicht, aber nicht so grundsätzlich. Diesmal schwankt mehr, viel mehr. Mein komplettes, eh schon fragiles Seelengefängnis wird in Gänze durchgeschüttelt.
»Zumindest macht es meine Theorie wahrscheinlicher«, meint mein Partner.
»Ja, ja. Eine Beziehungstat. Geschenkt.« Bin trotzdem nicht davon überzeugt.
Wir sind auf dem Weg in die Ulmer Hauptzentrale, um dort zwei SKB-Beamte zu treffen. »Szenekundige Zivil-Beamte«, die verdeckt im Fußballbereich agieren. Der Fatzke bestand darauf, dass wir mit ihnen sprechen. Ob das Erkenntnisse bringt, kann ich nicht einschätzen. Als ich noch bei den Schwestern war, gab es die ebenso wenig wie das Fanprojekt oder die Sozialpädagogen. Aber ich muss dem Fatzke beipflichten: Die Beamten könnten zumindest eine Ahnung davon haben, was abläuft. Vermutlich schmeckt es mir nur nicht, weil es von ihm kommt und eine dienstliche Anordnung war.
»Schnittig.«
»Was?«
»Du hast einen schnittigen Fahrstil heute.«
»Passt dir was nicht?«
»Ich sag’s nur.«
»So fahr ich immer.«
»Nina. Manchmal bist du echt anstrengend.«
Absurd. Es macht mich wütend, dass ich immer so wütend werde. Bin. Eigentlich bin ich es, permanent. Zumindest fühlt es sich so an. Und das macht mich dann oft zusätzlich wütend, wenn ich mir das klarmache.
»Sie