zudrifte?« Ich haue den Gang mit Gewalt rein. Schröter verzieht das Gesicht und lacht. »Manchmal denke ich: Ich stecke schon mittendrin.«
»Ich auch.«
»Schröter. Du bist ein Kerl und 35.«
»Ich meine: Ich denke manchmal auch, dass du schon mittendrin steckst.«
»Alter! Vorsichtig!«
Diese Scheiße hat also nicht nur ein Leben gekostet, sondern zwei. Cat trug einen kleinen Menschen in sich. Ob der Mörder das wusste? Wie hat er sie dann angesehen, danach? Mir wird übel.
»Hat die Analyse ihres Notebooks eigentlich etwas ergeben?«
Schröter schüttelt den Kopf. Bisher keine Auffälligkeiten, erklärt er mir. »Ihrem Unternehmen ging es nicht besonders gut.«
»Was heißt: nicht besonders gut?«, blaffe ich ihn an.
»Schulden. 60.000.«
»Pffff.«
»Da ging ein relativ hoher Betrag vom Konto ab. Bar abgehoben. Immer am 15. des Monats. Nicht ersichtlich, was sie damit machte.«
»Und?«
»Es gab vor einigen Jahren Ermittlungen wegen Schutzgeldforderungen von Rockerbanden.«
Ich blicke ungläubig zu ihm. »Bei Copy-Shops?«
»Egal was für Läden. Sieh auf die Straße, Nina!«
Ich halte das wirklich für äußert unwahrscheinlich. Außerdem kann ich gerade eh keinen klaren Gedanken fassen. Zu präsent und hässlich ist das alles.
Wütend haue ich den Gang ins Getriebe. Der Motor heult auf. Schröter auch, aber nur innerlich. Mehr getraut er sich nicht. Zumutung. Das Ganze ist eine einzige Zumutung. Katrin, das Stadion, ihre Eltern. Alles!
Und was geschieht? Ich schlage um mich. Wie ich es eigentlich immer tue. Auch ich bin eine Zumutung. Behindert. Ich bin einfach behindert. Seit damals.
»Nachher fahre ich«, meint Schröter.
»Vergiss es.«
Böser Tonfall. Nina! Der Psycho-Onkel sagt, ich sei verletzt. Meine Seele sei »verletzt«. Und deshalb sei ich oft so verletzend. Das tröstet natürlich keinen einzigen meiner Mitmenschen.
»Warum hast du eigentlich keine Kinder?«
»Schnauze, Schröter.«
Manche haben es aber auch nicht anders verdient.
Szenekundig
Der Kaffee ist kalt. Geschmeckt hat er von Anfang an nicht.
»Wie lange wollen die uns hier noch schmoren lassen?« Wir sitzen bestimmt seit 30 Minuten in dem Besprechungsraum der Ulmer Hauptzentrale. Er ist noch schlimmer als der unsere. Kalt und kahl. Tisch, Stühle, das war’s. Eigentlich ist das gesamte Gebäude so. Kein Wunder, dass ich mich hier immer frage, ob ich im richtigen Job gelandet bin.
»Kennen die Fans eigentlich die SKBs?«
Ich grinse Schröter an. »Den Stallgeruch kriegst du nicht weg.« Die szenekundigen Beamten agieren zwar in Zivil, man braucht aber nur darauf zu achten, wer im Block bei einem Tor der Heimmannschaft nicht aufspringt.
Endlich geht die Tür auf, und die zwei Beamten kommen rein. Der erste in Uniform. Ich dachte, ihr seid in Zivil unterwegs? Der zweite nicht.
»Morgen, Kollegen. Thomas Scharf, SKB.« Der Uniformierte schüttelt Kaugummi kauend meine Hand, kräftig, dann die von Schröter.
»Guten Morgen. Frank Neupert«, stellt sich der andere vor. Sein Händedruck ist weicher. Sein Tonfall auch.
»Ich sehe, Sie haben sich bedient«, meint Scharf und grinst kauend.
Ja, danke, wir sind bedient.
»Katrin Benzeler war selbstverständlich auf unserem Radar. Kategorie B.« Scharf schüttet die schwarze Plörre in sich hinein als sei es Bier und kaut munter dabei weiter.
»Warum B?«, frage ich. »Sie war doch keine Randaliererin?« Unsere Fußball-Beobachter teilen die Fans intern in die Kategorien A, B und C ein. A ist der »Normalo« oder der brave Kuttenfan, der einfach nur für seine Mannschaft schwärmt, aber friedlich ist. Kategorie B der Fan, der sich in bestimmten Situationen gewaltbereit zeigt, und C ein Hooligan: Ihm geht es nicht um den Sport, sondern ums Prügeln. »Gewaltsuchend«. Nach der offiziellen Einteilung umspannen die Ultras alle drei Kategorien. Ansichtssache.
»Benzeler neigte zu Provokationen«, meint Scharf. »Gegen die gegnerischen Fans wie gegen die Einsatzkräfte. Die Kleine war kaum zu bändigen.«
Ein Gefühl durchfährt mich, das ich nicht einordnen kann. Ich muss innerlich schmunzeln.
»Sie hat sich oft genug auch mit der BFE angelegt.«
»Mit den Schwarzen Gespenstern?«
»Ja.«
Schwarze Gespenster sind Leute der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten, kurz BFE, also spezialisierte Kräfte der Landespolizei, die die örtliche Polizei beim Vorgehen gegen gewalttätige Störer unterstützen. Die Dienstvorschrift spricht von »beweissichernden Festnahmen an Brennpunkten unfriedlichen Geschehens«, Großveranstaltungen also, bei denen Auseinandersetzungen zu erwarten sind; Unruhen, Demonstrationen oder Fußballspiele.
»Sich mit der BFE anzulegen ist keine gute Idee«, meint Schröter.
Gespenster nennen wir sie vor allem deshalb, weil die in ihrer ganz eigenen Dimension leben. Zumindest hat man manchmal das Gefühl, dass sie in ihren Kasernen wenig von der realen Welt hier draußen mitkriegen. Und werden sie dann einmal zum Einsatz rausgelassen, dann tragen sie meist noch eine schwarze Sturmhaube unterm Helm. Gesichtslose Geister.
»Da bist du schnell weg vom Fenster«, stimme ich ihm zu.
Mir jedenfalls ist keiner bekannt, der privaten Kontakt zu einem Gespenst hat. Keine Ahnung, wie die eigentlich ticken. Ich weiß nur: Die Gespenster sind besonders ausgebildet, gut ausgestattet und gelten in Polizeikreisen als extrem leistungsfähig. Was auch immer das heißt. Bei Kundgebungen besteht ihre Strategie neben der massiven Präsenz in voller Montur zumeist darin, gezielt einzelne Straftäter und Aufwiegler aus Versammlungen heraus festzunehmen.
»Schwanger?«, wiederholt Neupert ein wenig später mit großen Augen. »Das ist hart.«
Scharf pfeift nur durch die Zähne.
»Und in welche Richtungen gehen Ihre Überlegungen bislang?« fragt sein Kollege weiter.
Schröter und ich sehen uns an.
»Der Zustand der Leiche lässt viele Motive zu«, erklärt ihm mein junges Nordlicht. »Mord aus Leidenschaft, sei es wegen des Spiels, einer Provokation oder was auch immer. Auch eine Sexualstraftat haben wir noch nicht völlig ausgeschlossen. Wir warten auf den abschließenden Bericht der Gerichtsmedizin.«
»Ein heißer Käfer war sie ja«, meint Scharf. Da haben wir sie wieder, die professionelle Pietätlosigkeit. Und damit kann ich aktuell gar nicht umgehen. Wäre es irgendein Opfer, könnte ich mich davon distanzieren. Es ist aber Katrin … und ich bin dünnhäutig wie sonst was.
»Und von uns möchten Sie nun Näheres über die Szene erfahren?«, fängt mich Neupert zum Glück aber ein. Er scheint cleverer zu sein als sein Vorgesetzter.
»Ganz genau«, übernimmt Schröter, und es ist mir mehr als recht. »Wie schätzen Sie Benzelers Position ein?«
Neupert erzählt: Cat sei angesehen gewesen in der Kurve, beliebt und geschätzt von nahezu allen im eigenen Stall, gehasst oder gar gefürchtet von anderen Lagern. Stand auch unter spezieller Beobachtung der SKBs. »Gerade weil sie so schwer einzuschätzen war, sich immer Neues einfallen ließ.«
»Und weil der blonde Giftzwerg immer Ärger machte«, meint sein kauender Kollege Scharf. »Sie hat mehrmals versucht, Kollegen der BFE