Es war auch nett.« Ich sag’s ja: Götterkomödie.
»Nett? War? Aber wir verbringen den Sonntag miteinander.«
»Wie jetzt?«
»Na, wir sind verabredet, also verbringen wir den Sonntag zusammen. Ich hab heute nichts mehr vor.«
»Ich schon.«
Ungläubiges Glotzen.
»Du, wie gesagt: Ich muss noch arbeiten. Wir haben uns einen ersten Eindruck verschafft, und das lassen wir beide nun sacken und schreiben uns wieder.«
»Was bist du denn für eine?« Sein Blick wird richtig fies. Fehlt nur noch, dass er wieder auf den Tisch haut.
»Dein Ton gefällt mir nicht.« Jetzt tut er’s. Und ich zucke zusammen. Langsam stehe ich auf. Dass das halbe Café mittlerweile zusieht, ist mir egal. »Ich geh dann mal.«
Und nun fängt er an zu brüllen. »So eine bist du also!« Alle Gäste und das gesamte Personal starren erschrocken zu uns herüber, und ich spüre, wie ich rot werde. Hinten in der Ecke der grinsende Kellner, der sich kaum einkriegt vor Schadenfreude.
»So eine bist du! So gehst du mit Menschen um!« Mit jedem Wort wird er noch lauter.
»Das ist wohl nicht die richtige Form, um mich zum Bleiben oder zu einem zweiten Date zu bewegen.« Formechte gewaltfreie Kommunikation. Zwei Seminare hatte ich dazu.
»Ein Luder bist du! Ein dreckiges Luder«, krächzt er, und die Bierspucke rinnt ihm aus den Mundwinkeln und am Kinn hinab.
»Hör mal. Ich war echt höflich, aber wenn du nicht …«
»Drecksfotze. So springt man nicht mit Menschen um!«
Ich gehe in Habachtstellung, bevor der mich noch anfällt. Aber meine Körperhaltung provoziert ihn wahrscheinlich zusätzlich. Zugegeben: Das lernt man anders im Deeskalationsseminar. Er ist außer sich, und ich weiche vorsichtig zurück, ihn immer im Blick behaltend. Und kein Kellner eilt der Dame endlich zu Hilfe. Was ist das hier für eine verfluchte, abgekartete Komödie?
»Also, mein Lieber. Ich wünsche dir jedenfalls einen schönen Sonntag, eine traumhafte Woche und weiterhin ein bewegtes Leben.« Ich drehe mich in genügend Entfernung um und will gehen. Dann springt er doch auf mich los. Na ja. Eigentlich packt er mich nur unsanft von hinten an der Schulter. »Du kannst mich nicht einfach stehen lassen, ich …« Weiter kommt er nicht. Ihn zu überwältigen ist einfach. Obwohl er eineinhalb Köpfe größer ist als ich. Er erwartet keine Nahkampf-Ausbildung, unser Kickboxer. Und ich weiß wieder, warum ich meinen Beruf nicht preisgebe bei Tinder-Dates. Schon liegt er mit der Fresse auf dem Boden, einen Arm verdreht in die Höhe und meinen Schuh im Nacken. Und winselt wie ein Welpe.
Zugegeben: Definitiv keine gewaltfreie Kommunikation mehr.
Und endlich setzt sich auch der Grinsekellner in Bewegung, macht große Augen und fragt, ob er die Polizei rufen soll. »Ne, die ist schon da.« Den Satz wollte ich schon immer einmal sagen. Ich zeige ihm meinen Ausweis, beuge mich langsam zu dem Hündchen hinab und flüstere ihm ins Ohr: »Ich sehe von einer Anzeige ab. Aber ganz ehrlich: Du solltest an deiner Flirttechnik arbeiten.« Mit diesen Worten lasse ich ihn liegen.
Ich sag’s ja: eine einzige Götterkomödie.
Die Musik der Kurve: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Schröter lacht noch immer über die Geschichte mit meinem Tinder-Date. Mit Abstand und genügend Alkohol ist sie ja auch durchaus witzig.
»Scheiße, war der Tag bitter.« Ich bin müde und angeschlagen.
Wir sitzen im König Wilhelm. Die einzige Kneipe, die nahezu alles hat, was meine Seele für ein bisschen Entspannung benötigt: abgewetztes Mobiliar, aufrechte Drinks ohne Hipster-Schnickschnack, Raucherlaubnis. Mein persönliches Feng-Shui; zerschundene Umgebung für eine wunde Seele. Und heute ist sie besonders wund.
Das erste Bier habe ich beinahe in einem Zug geleert. Ich habe mich wieder einigermaßen im Griff. Auch deshalb, weil ich gedanklich ein wenig weg war von unserem »Fall«. Ich will Cats Tod eigentlich nicht so nennen.
»Du warst also mal FCH-Fan.«
»Bin. Nur nicht mehr aktiv.«
»Aha.«
Schröter nippt an seinem Bier. Ja, er nippt. Sonst ist er in Ordnung. Aber saufen kann man nicht mit ihm. Und von Fußball hat er keinen blassen Schimmer.
»Warum verbringst du deine Sonntage dann nicht mehr im Stadion, sondern zu Hause auf der Couch und chattest mit fremden Männern?«
»Was ich mit fremden Typen tue, geht dich gar nichts an, Schröter. Du hattest deine Chance in der vierten Arbeitswoche. Und ins Stadion gehe ich nicht mehr, weil ich mit dem Thema durch bin.«
»Aha.«
»Weil ich es nicht mehr will.«
»Aha.«
Der geht mir auf die Nerven! »Herrgott. Ist ’ne längere Geschichte.«
Er nippt wieder. Meine Güte!
»Ich war in jungen Jahren bei den Societas.«
»Du warst mal jung?«
»Haha. Vorderste Front. Unser Banner hängt am Zaun auf der Ost direkt neben dem der Fanatico Boys.«
»Das ist vermutlich das männliche Pendant der Ultras.«
»Genau. Pendant. Du bist ein Kombinationsgenie, Alter. Wirst es noch weit bringen bei der Kripo.« Ich trinke mit einem kräftigen Zug mein Bier aus und bestelle zwei neue. Auch wenn Schröters noch nicht einmal halb leer ist. Die nächste Kippe.
Ja, gut. Ich habe Schröter in seiner vierten Arbeitswoche angegraben. Ich finde ihn durchaus attraktiv. Und im großen Ganzen ist er auch so weit okay. Und wer kann schon wirklich wissen, wie es bei den Leuten zu Hause gerade läuft.
»Und was tut man da so? Als Ultra?«
»Was Fans eben so tun. Sich treffen, gemeinsam zum Spiel gehen, anfeuern, zu Auswärtsspielen fahren, die Mannschaft unterstützen, eskalieren. Die spielten damals noch in der dritten Liga; aber schon richtig gut. Und wir haben sie angepeitscht und gebrüllt, bis das Rachenzäpfchen wund war.«
»Was ist das Fanprojekt, von dem die Mutter des Opfers sprach?«
»So etwas gibt es in mehreren Städten, fast überall, wo große Vereine sind. Fanprojekte funktionieren als Netzwerke unter den Anhängern, vermitteln zwischen Vereinen und Fangruppen. Das Ganze wird unabhängig von den Clubs unterstützt: vom DFB, vom Land und von sozialen Einrichtungen. Hier in Heidenheim sind zwei Sozialpädagogen beim Fanprojekt angestellt. Damals gab es solche Einrichtungen noch nicht. Vielleicht sollten wir uns mal mit denen unterhalten. Die fahren bei den Spielen mit, nehmen sogar an den Sicherheitsbesprechungen davor teil, weil sie nah an den Fans dran sind und einschätzen können, wie die Stimmungslage ist.«
»Okay.«
»Seit die Fans da eine Plattform und ein Forum finden, trifft sich die Szene dort vor dem Spiel, und dann geht es geschlossen hoch zum Albstadion. Nach dem Spiel ist dort meistens noch Halligalli.«
»Diesen Rummel kann ich ja nicht nachvollziehen.«
Ist mir klar.
»Die Emotionen. Warum diese Aufregung wegen eines Spiels?«
»Da geht’s nicht um ein Spiel, Schröter. Da geht’s um Identität. Die Bande, die Societas, das war wie eine Familie. Die ganze Fantribüne. Du hast doch Kinder. Wenn die in der Schule gut sind oder im Sport irgendwas reißen, macht dich das stolz. Weil sie zu dir gehören.«
»Natürlich bin ich dann stolz.«
»Mein Vater war aus der Wunder-von-Bern-Generation. Einer derjenigen, die das Glück hatten, zu jung zu sein für den Nazikrieg. Zu Hause mit Muttern, nichts zu futtern. Und danach Besatzung, wieder nix