Dinesh Bauer

Bayerische Hinterhand


Скачать книгу

Pföderl ließ sie vorläufig gewähren. »Schauen Sie sich doch in der Gastronomie um. Die meisten Pächter wollen bloß den schnellen Reibach machen – und sparen überall, bei den Angestellten und an der Qualität der Ware.«

      Pföderl legte abrupt den Schalter um und kam zur Sache: dem Mordfall Ehgartner. »Gut, helfen Sie mir. An was können Sie sich erinnern? Ist Ihnen etwas merkwürdig vorgekommen, war etwas anders als sonst?« Standardfragen – aber altbewährt.

      Irmgard Zech sah sich an ihrem vertrauten Arbeitsplatz um – alles war wie immer, und doch war etwas anders als sonst. Der Schatten des Todes wich nur langsam von diesem Ort der Geselligkeit und des fröhlichen Zusammenseins. Die Leiche Ehgartners war vor gut eineinhalb Stunden von einem Leichenwagen des Bestattungsinstituts »Frohberger & Sohn« abtransportiert worden – und lag inzwischen still und starr in einer Kühlkammer, bereit zur Obduktion. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Die vier sind da drüben am runden Tisch gesessen – Schafkopf eben. Es war noch früh am Abend, aber der Ehgartner hat schon einen sitzen gehabt. Die anderen drei haben es ruhiger angehen lassen, hatten aber auch schon einige Halbe intus. Nix Auffälliges, gute Kundschaft!« Irmi holte tief Luft. Ihre drallen, vom großzügig bemessenen Ausschnitt ihrer Dirndl-Bluse zur Geltung gebrachten Brüste hoben sich: »Das meiste Geschäft hab ich am Stammtisch drüben gemacht. Die zahnluckerten Salferer lassen sich beim Trinkgeld nicht lumpen.« Das Dekolleté der Dame gewährte tiefe Einblicke, sodass es Pföderl schwerfiel, sich auf das Wesentliche, die Befragung, zu konzentrieren.

      »Als die Schüsse gefallen sind – wo waren Sie da?«

      »Ich war auf dem Weg zum Stammtisch drüben – mit einem Tablett Bier aufm Arm. Da hat’s plötzlich einen Kracherer getan, nicht allzu laut, aber nicht zum Überhören. Es hat einige Sekunden gedauert, bis ich realisiert habe, dass da in nächster Nähe geschossen wird.«

      »Sie haben nur einen Schuss gehört?«, hakte der Kommissar verwundert nach.

      »Denk schon. Ich bin dann ziemlich panisch zurück ins Wirtshaus gerannt. Meine größte Sorge war, dass den Bierglasln nix passiert und ich nix verschütte – seltsam, oder?«

      »Und dann?«, fasste Pföderl sachte nach.

      »Nach zwei oder drei Minuten hab ich meine Nase ins Freie gesteckt. Aber da war alles ruhig. Erst als ich den Ehgartner kopfüber auf dem Tisch hab liegen sehen, war mir klar, dass etwas Schlimmes passiert ist. Herzinfarkt – hab ich gemeint. Also bin ich ins Büro gerannt und hab den Notruf gewählt – 110!«

      »Haben Sie denn draußen im Garten nichts bemerkt? Ein ungewöhnliches Geräusch? Ein wegfahrendes Auto zum Beispiel.«

      Die Bedienung sah ihn verdattert an – und stammelte nur: »Na, mir ist nix aufgefallen.«

      »Wo waren denn die anderen Gäste. Haben die denn niemand gesehen?«

      Irmi schüttelte ratlos den Kopf. »Nein, da war niemand.« Barthl ließ es fürs Erste dabei bewenden. Um es vornehm auszudrücken, war die Zeugenaussage bislang nicht sonderlich ergiebig.

      »Da, geht aufs Haus! Die Würstel kommen gleich.« Reinbacher stellte das Weißbier und ein Schnapserl vor ihm hin und verschwand grußlos. Eine liebreizende Person – zweifelsohne.

      Pföderl markierte den einfühlsamen Good Cop. Seine Stimme klang so einschmeichelnd, als hätte er drei Tage lang Kreide gefressen. »Sie haben meinem Kollegen gegenüber erwähnt, dass Ihnen einer der Kartler aufgefallen ist, weil der noch nie hier war, ist das korrekt?«

      Die Kellnerin knabberte an ihrer Unterlippe. »Noch etwas jünger, so Anfang 30, leger, aber durchaus stilvoll gekleidet. Eine rechte Angeberfotze. Er hat ziemlich blöd dahergeredet, in seinem Tiroler Dialekt – ich mag den ned. Das Bayerische klingt viel weicher, wohliger.«

      Kurz entschlossen kippte er den aus heimischem Fallobst gebrannten hochprozentigen Obstler auf einen Sitz hinunter. Dann nahm er den roten Faden wieder auf. »Wo waren wir stehen geblieben – ah ja, dieser Tiroler, war der zufällig hier oder war er mit Ehgartner und den anderen beiden Hallodri verabredet?«

      »Einen Moment, auf den Schreck hinauf brauch ich ein Stamperl. So ein grausiges Erlebnis muss man doch erst einmal verarbeiten, oder?« Praktischerweise stand die Obstler-Flasche auf der Anrichte – und Irmi schenkte sich großzügig ein. »Erst neulich hab ich gelesen, dass sich der enorme psychische Druck in Symptomen wie Schwindelgefühl, Konzentrationsstörungen und Reizbarkeit äußern kann. Mia gangst!« Die Kellnerin befühlte ihre Stirn und kippte sich zur Trauma-Prophylaxe gleich noch einen Obstler hinter die Rüschenbluse. »Warten S’, der Ehgartner hat ein paarmal erwähnt, dass er neue Absatzmärkte für seine Brauerei erschließen möchte. Wahrscheinlich sollte der Typ den Vertrieb vor Ort organisieren und die Getränkemärkte abklappern. Das Bräuberger ist ja ein gutes Bier, allemal besser als die Ösi-Plärre, das Huber oder das Zipfer.«

      Pföderl kritzelte auf seinem Verhörblock herum. »Und das Mordopfer, dieser Ehgartner, war hier Stammgast? Was wissen S’ sonst noch über den?« Barthl zog alle Register der Verhörtechnik und legte einen suggestiven Unterton in seine heiser und drängend klingende Stimme.

      Irmgard Zech zupfte an ihrer spitzenbesetzten Bluse herum. »Ein rotgesichtiger Quartalssäufer, aber nicht unrecht. Hat sich gern aufgeplustert wie ein Gockel am Mist – und eitel obendrein. Aber mei so sind s’, die Mannsbilder. Wenn s’ kein Weiberts mehr finden, fangen s’ zum Spinnen an!« Barthl schaute von seinem Block auf – ihren Unterlagen nach war das Mordopfer 58 Jahre alt und lebte seit fast 10 Jahren von seiner Exfrau getrennt. Er war Geschäftsführer der Bräuberger Brauerei und Spitzenkandidat der Nationalen Patrioten im Stimmkreis 127 Rosenheim-West. »Und die anderen beiden Kartler«, fragte er pro forma, auch wenn er eh wusste, mit welch illustren Persönlichkeiten sie es zu tun hatten.

      »Die sind von Audorf drüben. Die finden S’ im Schützenheim oder beim Schmiedwirt.« Irmi plapperte munter weiter. »Kompakt gebaut, die Schultern breit wie Bauernschränke. Eher der grob gestrickte Typ, Marke ›gschlamperter Bauernrammel‹. Nicht grad’ meine Kragenweite, aber nicht unwirsch.« Der Redefluss der Bedienung stockte – es war an ihm, eine neue Frage zu stellen. Doch welche? Von irgendwoher wehte das nun gar nicht mehr so laue Abendlüftchen einen Schnulzen-Song im Country-und-Western-Style heran, der vor Herz, Schmerz und Kentucky Bourbon triefte. »Some broken hearts never mend …« So wie in Ehgartners Fall, dachte Barthl in einem Anflug von Sarkasmus. Der brauchte keinen Herzchirurgen mehr.

      Herz Acht

      Die Metzgerei Rauch war nicht unbedingt das, was ein Asket oder Eremit als transzendenten Ort göttlicher Eingebungen und wundersamer Erscheinungen bezeichnet hätte. Ein Visionär war hier ebenso fehl am Platz wie ein Vegetarier. Hier ging es ums Wesentliche, es ging um die Wurst – und man pilgerte aus Bad Aibling, Litzl­dorf, Grainbach oder Steinertsöd hierher, um den diesseitigen, fleischlichen Genüssen zu frönen. Der Wurstkessel war für die hiesigen Ureinwohner so etwas wie der Heilige Gral, die Fleischtheke das Paradies auf Erden. Die reichhaltige Auswahl an Wurstwaren jeder Art ließ jedem Gourmet, der Geselchtes und Geräuchertes zu goutieren wusste, das Wasser im Munde zusammenlaufen. Milzwurst, Wollwurst, Weißwurst, Bauerngeräuchertes, Cervelat, Pariser Jagdwurst, Vespermett, Prinzensülze, dazu Cabanossi, Landjäger, Debrecziner, Regensburger, Lyoner – und obendrein die obligatorischen örtlichen Spezialitäten der vielfach prämierten Leib-und-Magen–Manufaktur: Schwarzrauchschinken, Bratensülze und altbayerischer Leberkäs. Beim »Rauch« gab es alles, was das Herz eines echten Bayern begehrte, insbesondere wenn es sich um ein solch verfressenes Mannsbild wie Kriminaloberkommissar Bartholomäus Pföderl handelte.

      Barthl Pföderl war indes nicht nur wegen Presssack und Prosecco hier. Er war hier, um zwei wichtige Zeugen im Mordfall Erwin Ehgartner zu vernehmen – und er hatte aus ermittlungstaktischen Gründen beschlossen, die informelle Befragung der beiden eigensinnigen Querulanten hierher zu verlegen. Zumal sich beim »Rauch« das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden ließ. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen in Form von Brüh-, Brat- oder Extrawürsten. Ein prüfender Blick auf die Digitalanzeige am Armaturenbrett bestätigte ihm, dass er gut in der Zeit lag: 9 Uhr 33. Nach der Sonderschicht in der »Linde« und zwei