mir den Wirt und die Kellnerin rüber. Du verhörst die vier Saufbeidl – und krall dir die zwei Lederjacken aus Kolbermoor, die Schafszipfel sollen die Einvernahme protokollieren.«
Gietl zog einen Flunsch. »Die versoffenen Loder leiden doch an chronischem Gedächtnisschwund. Die waren vorher schon ganz bremsig, weil sie angeblich noch einen wichtigen Termin im Sternbräu haben.« Zeugenaussagen von Personen, die unter Alkoholeinfluss standen, galten als wenig verlässlich – ihre Validität war fraglich. Ob eine solche Aussage in einem späteren Verfahren verwertbar war, war Ansichts- und Auslegungssache.
Pföderl bestand jedoch darauf, dass sich Gietl die Fettleber-Fraktion vorknöpfte. »Ihre Zeugenaussage brauche ich so oder so – schon für den Schlussbericht. Vielleicht ist den Foamzuzlern ja doch was aufgefallen. Jedes Detail wär’ wichtig. Vielleicht kommt ihnen dieser Tiroler irgendwie bekannt vor, die kennen doch jede Schnapsnase im Umkreis von 50 Kilometern.«
Gietl stemmte sich schwerfällig hoch und grummelte: »Das Nummernschild, wenn sie sich das gemerkt hätten, die Deppengfrießer! Zumindest die Kennbuchstaben des Bezirks!« Der Drei-Sterne-Bulle trottete davon, da fiel Pföderl noch etwas ein.
»Fesl! Schau, dass du Sonnleitner erreichst. Quatsch ihm von mir aus auf die Mailbox. Der gwamperte Gschwollschädel sollte doch eigentlich wissen, dass er eine Zeugenaussage machen muss. Für was ist er Polizist! Also, sag ihm, dass er sich umgehend melden soll, sonst lass ich ihn und den anderen Kasperlkopf vorladen!« Gietl salutierte lässig und zeigte damit an, dass er verstanden hatte. »Und noch was. Die Kollegen aus Kolbermoor sollen sich die Schrottkübel unserer Stammtisch-Spezln vornehmen. Handschuhfach, Kofferraum et cetera. Trau, schau, wem! Und bestell dir noch ein Weißbier, geht auf mich.«
Gietls Miene hellte sich mit einem Schlag auf – und er machte sich mit frischem Elan an die Befragung der Zeugen. »Geht klar, Chef. Ich sammle die Autoschlüssel der Bande ein, fahrtüchtig sind die allesamt nicht mehr. Nur der Glaser ist mit dem Fahrrad da, den brauchen wir also nicht zu filzen.« Mit einem selbstzufriedenen Grinsen verschränkte Barthl die Arme. Im Interesse einer erfolgreichen Ermittlungstätigkeit musste man die Arbeit delegieren und die Mitarbeiter motivieren können. Das war die Kunst, dann lief alles wie geschmiert.
Die Ermittlungen in einem Mordfall waren für jeden beteiligten Kripobeamten eine Herausforderung. Man war gezwungen, eine Unzahl von Puzzleteilchen zu sichten, ehe sich darin ein Muster ablesen ließ und schließlich ein klares Bild ergab. Um die Tat und ihre Hintergründe aufzuklären, hieß es, methodisch und systematisch vorzugehen. Weißbier hin, Kastanienbaum her: »Wie lang soll denn das Kasperltheater noch dauern? Wegen euch Hanswursten darf ich meine Wirtschaft zusperren. Wer kommt denn bittschön für meinen Verdienstausfall auf?« Lindenwirt Sepp Reinbacher stand da, als ob er für ein Denkmal für die Helden des bayerischen Bauernaufstands anno 1705 posierte. Eine Hand entschlossen in die Hüfte gestemmt, den kühnen Blick anklagend auf den Eindringling, auf Bartholomäus Pföderl, gerichtet. »Schauen S’ doch selber! Keine Gäste, kein Geld!« Dies hier war Reinbachers Reich, und der König der Kartoffelknödel, der Herr über Pfannen, Töpfe und Tiegel, war erbost. Sein Zeigefinger schoss mit der aggressiven Angriffslust einer Viper vor und deutete auf die Absperrgitter, die die Zufahrtsstraße blockierten: »Wissen S’, was passiert? Die Leute drehen um und gehen zum ›Kirchenwirt‹ oder ins ›Il Castagno‹, und ich bleib auf meinen Schnitzeln und Hühnerschenkeln sitzen.« Der Lindenwirt zauste den gekräuselten, in zwei Spitzen auslaufenden Rübezahlbart.
Pföderl war Hobby-Historiker, er nannte eine kleine, aber feine Bibliothek sein eigen, hielt Kurse an der VHS und den einen oder anderen Vortrag im Kreise gleichgesinnter Stammtisch-Gelehrter. Die verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem Wirt und dem Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer war ihm sofort ins Auge gestochen. Der Wirt hätte sich jederzeit als Hofer-Double verdingen können. In einer beschwichtigenden Geste hob Pföderl die Hände. »Sie haben den Toten gut gekannt, habe ich gehört.«
Der Hopfen-Hofer beteuerte, dass der Tod Ehgartners einen herben Einkommensverlust für ihn bedeutete. »Freilich! Mit dem Erwin habe ich einen treuen Stammgast verloren, ein fideler, lebenslustiger Bursch, das geht mir durchaus nahe, wissen S’. Aber das Leben geht weiter.«
Pföderl hatte erst vor drei Wochen ein Seminar mit dem schönen Titel »Strategien der Deeskalation im Polizeivollzugsdienst Teil II« besucht, doch er würde zu einer probateren Methode greifen, um Reinbacher den Giftzahn zu ziehen. Mord ging schließlich vor Schlachtschüssel und Surhaxe: »Schön haben Sie es hier – ein Biergarten wie im Bilderbuch.« Die fünf Kastanien sowie die altehrwürdige Dorflinde machten als Bierkrügel-Begleitgrün zweifelsohne eine gute Figur. »Ein idyllisches Plätzchen, keine Frage.«
Reinbacher mandelte sich auf wie ein halbstarker Moped-Mafioso: »Der erste schöne Tag im Jahr und irgendein schießwütiger Trottel spuckt mir in die Rinderbrühe!«
Pföderl wechselte abrupt den Tonfall und zückte sein Smartphone. »Jetzt mal halblang, es handelt sich hier um Mordermittlungen. Wenn du Spaßvogel nicht sofort spurst, ruf ich einen mir wohl bekannten leitenden Beamten im Gewerbeaufsichtsamt an. Der schickt dir demnächst unangemeldet einen Betriebsprüfer und einen Hygienekontrolleur von der Lebensmittelaufsicht vorbei, die nehmen sich dann ausgiebig Zeit für dich und deine Bude auseinander. Die wühlen sich durch sämtliche Gefriertruhen, zerlegen deine Einbauschränke und prüfen deine Bücher, zwei-, drei- und viermal, wenn es sein muss. Haben wir uns verstanden?«
Der Wirt warf sich in die von einem breiten, ledernen Hosenträger umspannte Brust, schnaubte wie ein dampfiges Ross – und schwieg. Er winkte die wartende Kellnerin heran und bedeutete ihr, sich kooperativ zu verhalten. »Ich war hinten in der Küche. Die Irmi hat draußen im Garten bedient. Mögen S’ vielleicht noch ein Weißbier und ein Schnapserl?«, gab sich der Wirt plötzlich versöhnlich.
Pföderl wischte demonstrativ auf dem Display seines Galaxy S7 edge herum. »Gern, wenn es Ihnen keine Umstände macht, bringen Sie mir dazu eine Portion Rostbratwürste mit Sauerkraut.« In Reinbachers Augen blitzte es gefährlich auf, doch er trollte sich leise grummelnd in Richtung Kombüse. Bartholomäus Pföderl richtete seine Aufmerksamkeit auf die, zugegebenermaßen nicht ganz unansehnliche, Schweinsbratenschubse. Ehe er sich nach ihren Personalien erkundigen konnte, kam ihm die fesche Malz-Maid zuvor – und zwitscherte mit kokettem Augenaufschlag: »Irmgard Zech, aber nennen Sie mich doch bittschön Irmi.« Zech – Pföderl schmunzelte. Das passte wie der Schlegel zum Bierfass. Allem Anschein nach war diese Irmi ein ganz ausgekochtes Luder – und was er sah, gefiel ihm auf Anhieb.
Die Einvernahme eines Zeugen war Routine – und glich doch jedes Mal einem Drahtseilakt, der sein ganzes Geschick erforderte. Es gab diverse Befragungstechniken, rhetorische Kniffe und Psycho-Tricks, um möglichst viele und detaillierte Informationen aus seinem Gegenüber herauszukitzeln. Um einen Zeugen gesprächig zu machen, musste man ihn erst ein wenig zappeln und im Unklaren lassen, worauf man hinauswollte. Pföderl schickte seine Blicke erst einmal auf Wanderschaft: Eine Buchsbaumhecke begrenzte den Biergarten zu einem kleinen Dorfsträßchen hin. Hinter dem schmalen Streifen Asphalt erhob sich der von wild wucherndem Gestrüpp bedeckte Kirchbichl. Am Fuß des Hangs trat eine Lage Tuffstein zutage. Ein Tor mit schmiedeeisernen Beschlägen ließ ahnen, dass sich dahinter ein ins Gestein gehauener Felsenkeller verbarg. In diesen Kellern hatte man früher die Bierfässer und andere leicht verderbliche Ware gelagert, schließlich sollte das Bier im Sommer schön kühl bleiben – und das Futter für Mensch und Tier nicht schimmelig werden. Eine Bogenlampe reckte ihren Giraffenhals über das schmale Sträßchen – sinnigerweise hing dort ein Wahlplakat der NP, der Nationalen Patrioten. Darauf war das Konterfei Erwin Ehgartners zu sehen, das auch post mortem noch ungebrochene Zuversicht ausstrahlte. Irmgard Zech hatte seinen Blick bemerkt. »Es ist eine wahre Tragödie, nicht? Er hätt’ beim Bier bleiben und die Finger von der Politik lassen sollen. Der Erwin war kein einfacher Mensch, aber irgendwie ein feiner Kerl. Wenn er sein hinterfotziges Lausbubenlächeln aufgesetzt hat, hat man ihm einfach nicht böse sein können.« Ihr Tonfall, erst noch ein wenig kratzig, war nun weich und warm. »Ich bedien gern hier. Der Wirt ist ein jähzorniger Sauteufel, aber er zahlt seine Leute anständig und versteht sein Metier. Wissen S’, der Betrieb ist seit anno 1864 in Familienbesitz. Eine echte Traditionswirtschaft. Der Sepp ist gelernter Koch und hält