als Stücke im Bereich der Autor*innenschaft in Dialog treten. Auch aus diesem Gedanken kam die Entscheidung, die Benennung Stückemarkt beizubehalten, also zu behaupten: Das alles sind gleichermaßen neue Stücke.
Openword.doc: TogetherText und die Institution
Anne Rietschel im Gespräch mit Marc Schäfers, Gernot Grünewald, Irina Szodruch, Maria Nübling, Sonja Laaser, Bernd Isele und Pina Bergemann
2007 gewannen Rimini Protokoll mit dem Mülheimer Dramatikerpreis einen renommierten Stückepreis, 2008 gründete sich mit schaefersphilippen ein Verlag, der sich unterschiedlichster Fälle von Autor*innenschaft im Theater annahm, und 2012 öffnete sich der Berliner Stückemarkt für Projektbewerbungen. All diese Bewegungen, die ein erweitertes Verständnis von Autor*innenschaft und Textproduktion im Theaterbetrieb abbildeten, nahm ich 2012 zum Anlass, meine Masterarbeit im Fach Dramaturgie diesem Thema zu widmen. Die Notwendigkeit einer neuen beziehungsweise erweiterten Praxis im Umgang mit Theatertext – nicht nur für die Theatermacher*innen, sondern auch für die Theaterinstitutionen – beschäftigte mich auch in den folgenden Jahren in meiner Praxis als Dramaturgin an Theaterhäusern und in Projekten in Eigenproduktion. Während in der Freien Szene längst Selbstverständlichkeit im Umgang mit TogetherText und den Folgen für Produktionsprozesse herrscht, wirkt er in den Strukturen des Stadt- und Staatstheaters oft noch herausfordernd. Erweiterte Formen der Textproduktion fordern eingespielte Produktionsprozesse heraus. Wo liegen diese Herausforderungen und wie kann TogetherText auf nachhaltige und sinnvolle Weise seinen Weg ins bestehende Theatersystem finden?
In diesem Band greife ich das Thema erneut für eine Reflexion auf. Ausgehend von der Frage, wie sich die damaligen Öffnungen der Institutionen mittlerweile weiterentwickelt haben und wo noch immer Probleme, Fragestellungen, aber auch Möglichkeiten liegen, habe ich alte und neue Bekannte getroffen, um über TogetherText in deren (ganz unterschiedlichen) Arbeitsprozessen zu sprechen. Ich habe sie in Kantinen und Theatercafés in Köln, Hamburg, Berlin und Jena getroffen, wir haben immer ungefähr eine Stunde geredet: Dramaturg*innen, Festivalleiter*innen, ein Verleger, eine Schauspielerin, ein Regisseur, eine Rechtsanwältin. Ganz im Sinne des TogetherText werden hier Auszüge aus den ganz unterschiedlichen Gesprächen wiedergegeben; exemplarisch, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und natürlich in all ihrer Subjektivität: ein Spaziergang durch die Institutionen.
Marc Schäfers, Verlag schaefersphilippen, Köln
Als Erster erzählt mir Marc Schäfers im Fünfziger-Jahre-Ambiente des Kölner Café Wahlen davon, wie er und sein Kollege Tobias Philippen aus einem Interesse an der Terra incognita den Schritt zum eigenen Verlag wagten. Bereits 2008 gründeten sie den Verlag und die Agentur schaefersphilippen. Begeistert von der Kunst und von Autor*innenschaftsansätzen von Gruppen wie Rimini Protokoll oder andcompany&Co, interessierten sie sich für die Frage, wie diese damals neuen und kollektiven Ansätze für das Stadttheater fruchtbar gemacht werden könnten:
»Als wir 2008 schaefersphilippen gründeten, gab es in der Freien Szene oft eine durchaus kritische Haltung gegenüber dem Stadttheater. Wir hatten große Freude daran zu überlegen, wie man die beiden miteinander verbinden kann, denn wir haben bemerkt, dass es beidseitig – so sehr man sich auch kritisch beäugt – ein Interesse aneinander gab. Die Häuser haben gesehen, dass da was Neues passiert, und versuchten oft auch etwas unbeholfen, die Gruppen irgendwie in ihre Institution zu bekommen. Das hat selten richtig gut geklappt, auch wenn der gute Wille da war. Oft sind aber auch die freien Gruppen ein bisschen zu radikal da reingegangen. Ich verstehe die Theater, die gesagt haben, ›wenn ihr zu uns kommt, müsst ihr auch mit unseren Regeln umgehen.‹«
Wie sah und sieht die Arbeit als Verleger*in bei euch konkret aus?
»Klassischerweise kommt man als freie Gruppe häufig, wenn man nicht mit einem Verlag arbeitet, zu einem eher unterdimensionierten Gesamtkurs in ein Theater und macht dafür sämtliche Arbeiten, von der Recherche über die Texterstellung bis zur Performance. Wir haben das Gesamte wieder in die Einzelteile zerlegt, um zu schauen: Was ist das eigentlich? Was davon kann über eine Produktion hinaus Bestand haben? Aus unserer Sicht als Verleger war es erst mal der Text, der weitergereicht und auch anderweitig genutzt werden könnte, z. B. im Bereich Hörspiel. Die Möglichkeit, auch mit einer freieren und kollektiven Textentwicklung traditionellere Verwertungswege einzuschlagen, war für uns und die Künstler*innen sehr spannend, weil so Institutionen wie der Bayerische Rundfunk oder der WDR solche Formate für sich entdeckt haben. Es war wichtig, die Stadttheater darauf hinzuweisen, dass es sich auch bei der Arbeit von freien Gruppen um eine Autor*innenschaft handelt. Aber auch das muss im Einzelfall offen diskutiert werden, denn in der Sekunde, wo jede*r Autor*in ist, bricht natürlich ein Konstrukt weg, welches in der schwierigen Gagenstruktur am Stadttheater den originären Autor*innen überhaupt ihr oft nur minimales Einkommen sichert.«
Es scheint ja längst angekommen, dass viele Häuser prozessuales Arbeiten für sich entdecken. Was sind Problematiken, die ihr beobachten könnt?
»Es gibt natürlich einen riesigen Unterschied zwischen einer gewachsenen Gruppe wie z. B. Rimini Protokoll und einer Gruppe, die über die Dramaturgie eher zufällig zusammenkommt. Die gewachsene Gruppe hat eine gemeinsame Herkunft und Ausbildung, hat viele Jahre intensiv zusammengearbeitet und eine ganz klare Form entwickelt. Das kann man nicht pauschalisieren, aber ich glaube, es fehlt bei den sicher richtigen Themen dann doch oft der ganz klare künstlerische Zugriff, der über die Tagespolitik hinausführt. Natürlich haben Autor*innen wie Maxi Obexer, die seit über 15 Jahren über den Themenkomplex ›Festung Europa‹ schreibt und recherchiert, oder Björn Bicker, der schon sehr lange an den Nahtstellen der Gesellschaft im Umgang mit Marginalisierten arbeitet, eine Form und eine unvergleichliche Expertise entwickelt. Oft aber sehe ich wohlgemeinte Produktionen, denen dann doch ein Unterbau – und ganz konkret: eine tatsächliche Autor*innenschaft – fehlt.«
Gibt es Erfahrungen und Hinweise im Umgang mit teils sehr persönlichen Texten von Akteur*innen? Die Frage ist ja, wer alles als Ko-Autor*in beteiligt wird.
»Ich kann nur empfehlen, von Anfang an ganz klar die Bedingungen zu besprechen. Ich finde schon, dass es ein gewisses Anrecht der Initiator*innen gibt, zu sagen: ›Das ist meine Ästhetik, ich mach das so oder so, ist das in Ordnung für euch?‹ Mein Erweckungserlebnis war Rimini Protokolls Wallenstein1, da hatte ich das Gefühl, alle Personen auf der Bühne sind wahnsinnig interessante Menschen. Das Besondere fällt dann aber ohne die Theatermaschinerie auch wieder ab, sie stellt das ja erst her. Das war ein Triumph des Castings, der richtigen Zusammenführung und der hochkomplexen Überlegung: Wie kann man mit Hobbyschiedsrichtern usw. den Wallenstein erzählen? Ich finde schon, dass das eine ganze Menge ist. Mich interessieren Dinge, die über den Tag hinausgehen. Das funktioniert erst durch das vergrößernde Glas der Kunst und die Form des Zugriffs.
Und dann geht es um rein vertragliche Fragen. Geht offen damit um und klärt das am Anfang. Es gibt ja nichts Blöderes, als sich hinterher zu ärgern. Man kann immer sagen: ›Mach ich oder mach ich eben nicht.‹«
Gernot Grünewald, Regisseur
Wir treffen uns während einer Probenpause im Hamburger Thalia in der Gaußstraße. Gernot Grünewald (*1978) arbeitet als Regisseur an zahlreichen deutschsprachigen Theatern, häufig an dokumentarischen Projektentwicklungen. Er studierte Schauspiel an der HfS Ernst Busch und ab 2007 Theaterregie an der Theaterakademie Hamburg. Mit seiner auf Interviews mit Sterbenden basierenden Diplominszenierung Dreileben2 gewann er 2011 den Preis des Körber Studio Junge Regie. Exemplarisch beschreibt er mir einige seiner Arbeiten, zunächst Dreileben. Die Schauspieler*innen hatten in einem Hospiz mit Sterbenden gesprochen, und so entwickelte die Gruppe eine Art dreifache Autor*innenschaft:
»Die Sterbenden erzählten das, was sie erzählen wollten, sie waren der/die erste Autor*in der eigenen biografischen Narration. Die Schauspieler*innen erzählten mir daraufhin, was sie aus dem Gespräch mitgetragen haben, und