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Bild, das ich gerade beschrieben habe, fand ich persönlich, dass spannende Impulse gleichermaßen von literarisch beziehungsweise klassisch schreibenden Autor*innen und von Kollektiven, Gruppen und Projekten ausgingen, und auch die Felder, in denen diese Arbeiten entstanden sind, also Stadt- und Staatstheater sowie die Freie Szene, sich immer mehr überschnitten und gegenseitig inspiriert hatten. Ehrlicherweise muss man wahrscheinlich sagen, dass vor allem die Staats- und Stadttheater wichtige innovative Impulse aus der Freien Szene bekommen haben. Zeitgleich hat sich auch in der Theatertreffen-Auswahl diese Entwicklung widergespiegelt: Gruppen wie Rimini Protokoll, Milo Rau (International Institute of Political Murder), She She Pop und Gob Squad wurden eingeladen, und so war dieser Umstrukturierungsprozess des Stückemarkts letztendlich einfach ein Mitgehen mit der Zeit.

      Auch wenn diese Überlegungen vielleicht zunächst nachvollziehbar klingen, war es in der konkreten Arbeit gar nicht so leicht, eine Vergleichbarkeit in der Beurteilung herzustellen. Diese Entwicklung war ein Prozess über mehrere Jahre, in denen wir immer wieder neue Kriterien und neue Modalitäten in dem Bewerbungsverfahren ausprobiert und verbessert haben. Im ersten Jahr wurde beispielsweise nur ein Konzept für eine Projektarbeit ausgewählt und in einem Projektlabor mit René Pollesch als Mentor entwickelt. In diesem ersten Jahr ging es erst einmal darum, herauszufinden, was und wie viel eingesendet wird und wie eine Jury diese Einsendungen diskutieren kann. Das hat sofort zu Diskussionen in der Jury geführt, und der Wunsch wurde formuliert, dass man keinen Unterschied zwischen klassischen Texten und Projekten in der Auswahl machen sollte, sodass alle Arbeiten gemeinsam diskutiert werden könnten. Ausgehend von diesem starken Bedürfnis haben wir uns darauf konzentriert, die Kriterien für die Einsendungen und die Auswahl neu zu definieren, sodass es möglich wurde, eine bessere Vergleichbarkeit im Auswahlprozess herzustellen. Es mussten neue Kriterien entwickelt werden, die prozesshaften, kollektiven Textentwicklungen gerecht werden. Beispielhaft kann man sagen, dass eine hohe literarische Qualität oder eine gute Nachspielbarkeit vielleicht gar nicht die wichtigste Qualität solcher Texte darstellen. Gerade mit dem Kriterium der »Nachspielbarkeit« haben wir uns intensiv auseinandergesetzt – dies wäre ja ein naheliegendes Kriterium, wenn man die Distributionsstruktur des klassischen Stückemarktes anschaut. Dass neue Autor*innen den Zugang in eine Theater- und Verlagslandschaft finden, war ein zentraler Aspekt in den vorherigen Jahren des Stückemarkts. Dabei kreiste eine wichtige Diskussion um den Uraufführungshype und um die Forderung nach häufigerem Nachspielen. Aber wir haben schnell gemerkt, dass man bei der Erweiterung des Autor*innenbegriffs vielen spannenden Arbeiten, die sehr an die Performer*innen und an den Live-Charakter der jeweiligen Arbeit gebunden sind, mit dem Kriterium »nachspielbar« nicht gerecht wird. Beispielsweise hatten bisher wenige die Idee, Stücke von She She Pop nachzuspielen, und auch die Arbeiten der ersten zum Stückemarkt eingeladenen Gruppe Markus & Markus, die sehr stark von der Energie der beiden Performer lebte, waren nicht in erster Linie auf Nachspielbarkeit angelegt. Nachdem im folgenden Jahr der Autor*innenbegriff sehr stark erweitert und auch Arbeiten aus dem Bereich des Physical Theatre und der Narrative Spaces eingeladen wurden, hatten wir wiederum den Eindruck, dass der Stückemarkt kein ausreichend scharfes Profil mehr aufwies. Wir sind dann in einem nächsten Schritt dahin gekommen, den Textbegriff beim Stückemarkt wieder weiter einzugrenzen und haben als neues Kriterium den Begriff der Sprache gefunden, d. h., damit ein Stück für den Stückemarkt zugelassen wird und vergleichbar diskutiert werden kann, sollte Sprache ein Hauptaspekt der Arbeit sein oder im Zentrum der Arbeit stehen – egal, ob die Sprache vor oder während des Probenprozesses von ein oder mehreren Menschen aufgeschrieben wird, ob sie erst in jeder Aufführung entsteht, es vielleicht sogar gar keine Sprache gibt, dabei aber stark um die Abwesenheit von Sprache geht. Zentral musste nur ein definierbarer, klarer Umgang mit oder eine Reflexion über Sprache sein. Das hat sich als sehr brauchbares Kriterium herausgestellt; es konnten Fragen entwickelt werden, die auf alle Arbeiten beziehbar waren, z. B.: Welche Aufgabe übernimmt die Sprache in einer Arbeit? Wie wird über die Möglichkeiten von Sprache nachgedacht? Was macht die Qualität der Sprache aus? Wir haben dann allerdings auch relativ schnell gemerkt, dass es trotzdem schwierig bleibt, wirkliche Vergleichbarkeit herzustellen.

      Überraschend war in diesem Prozess für uns, dass wir wenig wissenschaftliches Handwerkszeug für die Analyse und Beschreibung eines Sprachbegriffs finden konnten, das für neue Stücke, ob kollektiv-prozesshaft oder klassisch entwickelt, anwendbar wäre. Ein wichtiger Grund für das Fehlen der wissenschaftlichen Literatur ist, vermute ich, dass die Veröffentlichung und Analyse der Transkription beziehungsweise Fixierung der Sprache in eher performativen Entwicklungsbereichen bisher nicht so eine große Rolle gespielt hat.

      Ich denke, die Schwierigkeit der vergleichenden Besprechung der unterschiedlichen Entwicklungspraxen hat nicht nur mit dem überschaubaren analytischen Handwerkszeug zu tun, sondern auch mit der klassischen Distribution von Theaterstücken. Dass sich z. B. die meisten Verlage bis heute an den Bedürfnissen literarischer, individueller Formen von Autor*innenschaft ausrichten, ist dabei ein zentraler Punkt. Bei den meisten Verlagen werden Stücke in ein Programm aufgenommen, es werden Werkaufträge verhandelt, Nachspielmöglichkeiten gesucht etc. (Es gibt einige wenige Verlage, die verschiedene Künstler*innen vertreten und sich stärker als Agentur aufgestellt haben.) Theaterverlage arbeiten in erster Linie mit dieser Form der Distribution mit Staats- und Stadttheater zusammen und tragen so auch deren Repertoirebetrieb und Abonnent*innenstrukturen Rechnung. Auf der anderen Seite gibt es die Freien Spielstätten, die mit diesem literaturbasierten Theaterbegriff kaum mehr umgehen, in denen klassische neue Dramatik also kaum noch vorkommt. Viele Autor*innen hingegen bewegen sich selbstverständlich in beiden Bereichen, schreiben individuell und im Rahmen von kollektiven Entwicklungen, wie z. B. Olivia Wenzel, Laura Naumann, Leif Randt.

      Ich persönlich finde das sehr spannend, diesen sprachlichen beziehungsweise literarischen Aspekt von kollektiver, prozesshafter Sprachentwicklung zu untersuchen und diese damit als Form von Texterzeugung und Autor*innenschaft stärker sichtbar zu machen. Unser Autor*innenbegriff hat sich stark gewandelt. Das bedeutet für mich aber nicht nur, dass ich alle Elemente einer Aufführung als Text betrachte, also alles Text beziehungsweise Autor*innenschaft darstellt, sondern gerade auch: Das, was ich klassischerweise als Text bezeichne, findet sich auch in Arbeiten mit mehreren Autor*innen, die nicht vor Probenbeginn den kompletten Text notiert haben. Die Kollektivierung der Arbeitsprozesse im Theater betrifft eben auch das Schreiben. Die Vorstellung, dass jede*r seinen beziehungsweise ihren eigenen, unantastbaren Geniebereich im Theater hat, empfinden viele, auch ich, als nicht mehr zeitgemäß.

      Was wäre nun also das utopische Moment, wenn sich diese Textgenerierungen gegenseitig anregen? Wenn sie also in einer wissenschaftlichen Beschreibung besser in eine Verständigung miteinander kämen?

      Ich glaube, dass sich vor allem diese Frage stellt: Was soll Theater sein und leisten? Was ist die neue Aufgabe in einer sich stark verändernden Gesellschaft? Das ist eine große Frage, an der man gemeinsam arbeiten muss, und nicht jede Berufsgruppe im Theater für sich. Gerade von den Autor*innen wird oft erwartet, dass sie diese Relevanzfrage lösen, dass sie mit ihren Stoffen und neuen Formen die Antwort darauf liefern sollen: Womit sollen wir uns beschäftigen? Warum ist Theater noch wichtig? Und das können die Autor*innen meines Erachtens nicht alleine leisten, weil Theater einfach kein ausschließlich literaturbasiertes Medium mehr ist (oder jemals war). Ich glaube, für die neue Standortbestimmung von Theater ist wichtig, dass dies wahrscheinlich besser unter den Bedingungen kollektiver künstlerischer Prozesse beantwortet werden kann. Und dabei muss eine Vielfalt von Stimmen abgebildet werden. Interessant ist bei allen Diversifizierungsprozessen im Theater für mich die Frage nach dem Kanon. Damit Neues in unsere Vorstellung vom Kanon hineinkommen kann, müssen wir neue Kriterien entwickeln und neue Möglichkeiten der Beschreibung haben. Das bedeutet nicht, dass ein Text, der individuell zu Hause geschrieben wurde, weniger spannend ist, sondern einzig, dass starre Vorstellungen davon, wie künstlerische Arbeiten entstehen, sehr viel Innovatives ausschließen und dass der Dialog zwischen allen Beteiligten genauso zum künstlerischen Prozess dazugehören kann und vielleicht vermehrt dazugehören sollte.

      Letztendlich sind wir beim Stückemarkt wieder bei einer tendenziellen internen Quotierung gelandet und haben festgelegt, dass von den fünf ausgewählten Stücken immer mindestens zwei aus jedem Bereich (individuelle Autor*innenschaft beziehungsweise Projektentwicklung) kommen sollen, weil das den Juror*innen die Arbeit erleichterte. Unser Ausgangspunkt