Cate Stillman

Dein Körper - Dein Leben


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statt umgekehrt. Sie kehrte die Reihenfolge ihrer abendlichen Tätigkeiten um, um sie ihren Langzeitzielen anpassen zu können.

      Ginger wusste, dass dies eine einschneidende Veränderung bedeutete. Das Familienessen am Abend war ein altes Erziehungsmuster von Mutter und Großmutter. Muster mit solcher Erblast wirken eher hart wie Beton als formbar wie Lehm. Ich schlug Ginger vor, mit ihrer Familie über ihre Bedürfnisse und ihren Wunsch zu sprechen, etwas früher und für sich allein zu essen, sich dafür mit einer Tasse Kräutertee zu ihnen zu setzen, wenn sie später aßen. Wir wussten beide, dass dies für sie und ihre Familie ein massiver Umbruch sein würde.

      Ginger entschied sich für einen Zeit-Auslöser (von der Arbeit kommen), um das aktualisierte Verhalten einzuführen. Sie legte sich darauf fest, zu Hause als Erstes zwei bis fünfzehn Minuten mit bewusster Atemarbeit zu verbringen. Als Yoga-Schülerin wusste Ginger, dass ihr Gehirn schon nach wenigen Minuten bewusster Atemübungen aus dem reaktiven Modus in den proaktiven Modus umschalten würde – von Stress zu Gelassenheit – und das selbst dann, wenn sie mit nur zwei Minuten beginnen würde. Ein ruhigeres, zentriertes Erleben würde den Weg zu gesünderen Entscheidungen rund um das Thema Essen ebnen. Gingers neue Routine sah dann so aus:

      1.Von der Arbeit nach Hause kommen; die Tasche abstellen; Gesicht, Hände und Füße waschen; direkt zum Meditationskissen gehen.

      2.Die Audio-Anleitung für Atembewusstsein vom Smartphone abspielen.

      3.Mit klarem Geist und erfrischtem Körper sich selbst eine schnelle, schöne, leichte Mahlzeit zubereiten.

      4.Sich zu Tisch setzen und in Stille essen, die Zeit für sich allein genießend.

      5.Genährt und entspannt das Abendessen für die Familie fertig zubereiten.

      6.Sich hinsetzen, Tee trinken, der Familie während des Abendessens Gesellschaft leisten.

      Es störte Ginger nun nicht länger, zwischendurch aufzustehen, etwa um der Familie Wünsche zu erfüllen, wie sie während des Essens aufkommen können, obwohl dies sie früher aufgeregt hatte, da sie ja gleichzeitig versuchte, sich selbst zu versorgen. Störte es die Familie, dass sie ihren Tee schlürfte, während die anderen aßen? Nein. »Meine Kinder haben sich angepasst«, sagte sie. »Sicher, zuerst war es seltsam, aber wir alle haben uns nach einer Woche daran gewöhnt. Ich kenne jetzt die Konsequenzen, die mein Verhalten auf alle Lebensbereiche hat. Dadurch, wie ich mich jetzt fühle, bekomme ich alle Motivation, die ich brauche, um diesen neuen Weg mit Elan weiterzugehen.«

      Das ist die Kraft der frühen, leichten Abendmahlzeit. Mit der Zeit merkte Ginger, dass auch der Zeitplan ihrer Familie zu einem früheren, leichteren Abendessen hinschwenken könnte; doch ehe sie sie zu dieser Veränderung einlud, nahm sie die Macht über ihren Körper wieder in ihre eigenen Hände. Sie änderte ihr Verhalten und mit der Veränderung ihrer Abendroutine veränderten sich auch ihre Ergebnisse. Sehen wir uns genauer an, warum diese neue Gewohnheit für Ginger Wunder bewirkt hat.

       Auf die Reihenfolge kommt es an

      Die Reihenfolge, das Was tue ich wann, heißt krama. Es ist die Sequenz, die Bewusstsein und Energie fließen lässt und dadurch optimales Wohlergehen ermöglicht. Jeder wirkliche Yoga-Lehrer ist wochenlang in der Sequenzierung oder Anordnung von Haltungen unterrichtet worden, damit das gewünschte Ergebnis erzielt werden kann: die feinstofflichen Kanäle des Körpers dem Fluss zu öffnen und sie für mehr Leistungs- und Schwingungsvermögen und einen höheren Grad an Bewusstheit zu stärken. So, wie ein Software-Coder genau weiß, in welcher Reihenfolge er die Symbole anordnen muss, um das gewünschte Ergebnis zu bewirken.

      Kommst du nicht zu den Ergebnissen, die du in deinem Leben anstrebst, untersuche, was du tust und in welcher Reihenfolge du es tust. Ist der Input richtig, die Abfolge aber falsch, wirst du nicht erreichen, was du dir vorgenommen hast.

      Lass uns dies auf Nahrung anwenden. Wenn du nährstoffreiches Essen zur falschen Zeit zu dir nimmst, kann dein Körper die Nährstoffe nicht aufnehmen. Am Vorabend eines Tages, an dem du körperlich, geistig und seelisch superfit sein willst, iss also früher und leichter zu Abend.

      Die Anordnung der Dinge, die du tagtäglich verrichtest, bestimmt, wer du wirst. Isst du regelmäßig schwere Abendmahlzeiten und versuchst, für Gymnastik oder Yoga dennoch früh aufzustehen, werden deine Übungen wenig Fortschritt zeigen. Dein Körper verhält sich eher schlapp wie der einer Katze nach dem Verspeisen einer Maus. Trittst du aber mit leerem Magen oder nach einem großen frischen grünen Smoothie auf die Matte, kann sich dein Körper über Beugen, Drehungen und Umkehrhaltungen geradezu freuen.

      Die Reihenfolge ist entscheidend. Beginne am Abend vor dem Tag, an dem du dich wie neugeboren fühlen willst. Pfuschst du abends mit dem Krama, reicht es am nächsten Tag nur für den Schlendrian. Die Ordnung nicht einzuhalten ist, als rollte man einen Felsen den Berg hinauf: Viel Energie wird aufgewandt und nichts gewonnen. Stattdessen geht etwas verloren.

      Akrama, das Angehen gegen den Rhythmus, erinnert mich an den vierten Kreis in Dantes Inferno: Männer, die Geld (oder Energie) verschwendet hatten, müssen Felsbrocken herumwälzen, für immer und ohne Ziel. Energie gesammelt, Energie verbraucht, nichts gewonnen. Isst du abends zu schwer, verursachst du mehr Arbeit für deinen Körper und missbrauchst seine Ressourcen.

      Ich weiß das aus eigener Erfahrung. In der ersten Hälfte meines Lebens habe ich abends späte, schwere Mahlzeiten gegessen. Ich bin in einem Vorort in Massachusetts aufgewachsen. Mein Vater, Gott segne ihn, pendelte an fünf Tagen in der Woche durch den Verkehr nach Cambridge. Wenn er nach Hause kam, gewöhnlich zehn oder zwölf Stunden, nachdem er das Haus verlassen hatte, schmiss er genüsslich seine Schuhe von sich und ließ sich von meiner Schwester oder mir einen starken Drink einschenken.

      Für meine Geschwister und mich war das Warten eine Qual. Wir waren Sportschüler. Wir warteten bis nach 19 Uhr auf das Abendessen, unser nährstoffreichstes Essen. Zu diesem Zeitpunkt war unser Blutzucker schon zusammengebrochen, wir waren erschöpft und jenseits des Moments, in dem wir reichhaltiges Essen noch hätten verdauen können. Unser Stoffwechsel war schon dabei, sich zur Nacht zu drosseln, und wollte nicht noch einmal hochfahren.

      Einmal in Gang gebracht, läuft so ein Muster einfach weiter. Ahnungslos habe ich selbst dieses Spätessen-Muster bis Mitte zwanzig fortgesetzt und dann fünf Jahre darauf verwendet, meine Mahlzeiten mit dem zu vereinbaren, was ich aus Ayurveda und Yoga lernte. Späte Mahlzeiten führen wegen der Verdauung zu späten Schlafenszeiten und diese zu einem lethargischen Start am Morgen. Wenn dein Zeitplan für deinen Körper ungeeignet ist, wirst du dich immer verspätet fühlen – als hätte der Tag nicht genug Stunden für all das, was du zu tun hast. Tauchen wir ein in das Warum.

       Agni und Ama

      Ayurveda ist brillant, wenn es um das Verständnis der Kraft des Verdauungsfeuers geht – die Gallenflüssigkeit und die Enzyme, die das Essen in Energie umwandeln. Die Instanz, die Stoffwechsel und Verdauung, Resorption und Assimilation steuert, heißt agni. Agnis Aufgabe ist die Umwandlung von Nahrung in Energie und Körpergewebe.

      Agni besitzt einen eigenen Krama im 24-Stunden-Tag: Anschüren am Vormittag, Lodern zu Mittag, Abkühlen mit Sonnenuntergang.

      Nach Sonnenuntergang schwere Nahrung in Energie und Gewebe umbauen zu wollen ist ein waghalsiger Anspruch an unsere Physiologie. Nicht nur das äußere, auch unser inneres Ökosystem gehorcht dem natürlichen Gesetz »Gleiches verstärkt Gleiches«. Zu leicht wird vergessen, dass die menschliche Physiologie, die Konstruktion des menschlichen Verdauungsapparates eingeschlossen, sich über Jahrtausende entwickelt hat, geformt durch die Naturgesetze, wie sie hier auf der Erde gelten.

      Anders als unsere Katzen und Hunde ist Homo sapiens eine tagaktive Spezies. In der Vergangenheit haben wir Menschen bei Tageslicht gegessen, wenn wir sehen konnten. Unsere Augen sehen strahlendere Farben als die unseres Katers, dessen Augen für Dämmerlicht und Nachtsicht konzipiert