Cate Stillman

Dein Körper - Dein Leben


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      Unser Gallenkreislauf ist auf eine gute Verdauung zwischen 10 und 14 Uhr optimiert, wenn das Sonnenlicht unsere Welt in die schönsten Farben taucht. Essen wir um diese Zeit eine reichliche Mahlzeit, dann verbleibt der restliche Tag für die Verdauung und die Nutzung der daraus gewonnenen Energie. Nehmen wir aber den Großteil unserer Nährstoffe später am Tag, dann erschweren wir Agnis Aufgabe, da wir den Verdauungstrakt zu einer Zeit mit Nahrung füllen, zu der er lieber abkühlen würde, als erneut angeheizt zu werden. Zu spät zu viel zu essen kommt für ihn einer Provokation gleich. Geschieht dies gewohnheitsmäßig, sammelt sich unverdaute Nahrung im Darm – eine energetische Belastung des gesamten physiologischen Systems durch eine degenerative Gewohnheit. Wer sein System im Alterungsprozess schweren und späten Abendmahlzeiten unterwirft, wird abbauen. Selbst für mich als Kind waren die Konsequenzen unseres üppigen, späten Essens Kopfschmerzen, verschleimte Nebenhöhlen, zu viel Körpergewicht und eine gestörte Körperintegrität (oder ein gestörtes Selbstwertgefühl bezogen auf den Körper).

      Alle Abschnitte des Verdauungstraktes sollten abwechselnd dynamische und erholsame Phasen durchlaufen können – hat etwa der Magen seine Arbeit abgeschlossen, sollte er ruhen, während der Dünndarm die seine aufnimmt. Ein gesunder, rhythmischer Verdauungsapparat nimmt die Nahrung bis in die Tiefe auf. Eine tief wirkende Ernährung aber tankt unseren Geist und unseren Energiekörper auf und regeneriert unser Körpergewebe. Ist dein Agni stark und ausbalanciert, dann fühlst du dich nach dem Essen gesättigt und entspannt, zwischen den Mahlzeiten dynamisch und strahlend, und das selbst auf langen Strecken, etwa zwischen der letzten Mahlzeit des Tages und dem Fastenbrechen am nächsten Tag. Von langen Verdauungspausen hast du vielleicht unter dem Namen intermittierendes oder Intervall-Fasten schon gehört. Verdauung liebt den Wechsel zwischen Arbeit und Ruhe. In der Chinesischen Medizin wird der Verdauungsapparat als »maskulin« beschrieben: Er arbeitet, dann ruht er. Lunge und Herz dagegen sind »feminin«: Sie verkörpern den stetig andauernden Rhythmus. Bist du im Einklang mit deinem Agni, wird mit deiner Verdauung auch deine Energie ausgeglichen und entspannt sein. Keine Blähungen, keine Verstopfung, keine verstopfte Nase am Morgen.

      Das Sanskrit-Wort für »unverdaut« ist ama. Es bezeichnet den Sand im Schmierstoff des Getriebes. Ama ist der unappetitliche Bodensatz schlecht verdauter Nahrung. Ama führt zu energetischer Unwirtschaftlichkeit, aus der Krankheit folgt. Ist dein Essverhalten asynchron (akrama), störst du den Rhythmus deines Verdauungstrakts. Werden schwere Abendmahlzeiten zur Gewohnheit, wandert Ama aus dem Darm ins Blut und in die Gelenke und lässt den Körper bis zum Morgen lethargisch und steif werden.

      Am nächsten Tag spürst du, wie träge dein Organismus ist, wie verschleimt deine Nase und wie pessimistisch dein Geist. Solcher Stress führt zu Entzündungen. Rechnen wir jetzt noch den Verstärkungseffekt hinzu, wird aus einem Verhaltensmuster eine chronische Infektion. Kein Spaß. Falls du dich wiedererkennst, solltest du wissen: Du kannst diese Gegebenheiten ändern und schon innerhalb ungefähr einer Woche am Morgen mit mehr Gelassenheit, Energie und Flexibilität aufwachen.

      Die Lösung ist simpel: Bringe deine Mahlzeiten in Einklang mit dem menschlichen Agni-Zyklus. Agni ist in der Tagesmitte am stärksten. Passe deine Tagesplanung dem an und nimm die nährstoffreichste, kräftigste Mahlzeit zu dir, wenn die Sonne hoch am Himmel steht.

      Es gab eine Zeit, da wussten wir das alle. Doch mit dem Übergang von der landwirtschaftlichen zur Fabrikarbeit wurde die (mittägliche) Hauptmahlzeit auf den Abend verschoben. Die neuerdings aufkommenden Kombinationen von Mittag- und Abendessen sind ganz offensichtlich eine epidemische Gefahr für unsere Gesundheit.

      Das englische Wort supper hat tatsächlich mit Suppe zu tun, einer Schlürf- und Tunkspeise, die in bäuerlichen Haushalten häufig den ganzen Tag auf dem Herd stand, um am frühen Abend gelöffelt und getrunken zu werden. Dagegen stellt das Abendessen heute das große Finale unter den drei Mahlzeiten des Tages dar. Betrachte einmal die Leute auf Fotos aus den 1970er-Jahren mit ihren starken, geschmeidigen Körpern. Das sollte Anlass genug sein, unsere neumodischen Essgewohnheiten im Zeitalter der überreichlichen Mahlzeiten genauer zu hinterfragen.

       Platz schaffen, um Schritt zu halten

      Unser Magen ist dazu konzipiert, gefüllt und geleert zu werden wie ein Tank. Doch anders als ein Tank dehnt er sich aus und zieht sich wieder zusammen. Wenn du diese Funktion nicht durch eine tägliche Fastenphase bis zur ersten Mahlzeit des Tages aktiv unterstützt, erzeugst du unabsichtlich einen endlosen Expansionsvorgang. Ein Blick in die Statistiken zum Taillenumfang bei Amerikanern zeigt: Die durchschnittliche Bundweite beträgt inzwischen ca. 102 cm bei Männern und 96 cm bei Frauen. In Deutschland liegen hier die Werte bei etwa 94–102 cm bei Männern und 80–88 cm bei Frauen.1 2015–2016 wurden fast 40 Prozent der Erwachsenen in den USA als übergewichtig eingestuft. In Deutschland sind laut einer Erhebung aus den Jahren 2008–2011 etwa zwei Drittel der Männer und etwa die Hälfte der Frauen übergewichtig.2

      Wir sind die Kultur der Vollgestopften. Wir expandieren, kontrahieren aber nicht. Wir gewähren unserem Verdauungszyklus keine Ruhephase mehr. Das ist vergleichbar mit schnellen Atemzügen bei kurzer Ausatmung. Eine lang gezogene Kontraktionsphase im Atemzyklus erlaubt Ruhe, Erneuerung und Raum, um mit dem nächsten Atemzug wieder Luft aufzunehmen. Ist die Frequenz, das Pulsieren zwischen diesen Polen, aber zu schnell, hyperventilieren wir.

      Der Verdauungszyklus funktioniert ebenso. Der lang gezogenen Ausatmung entspricht der geleerte Magen. Gewähre deinem Körper eine Fastenphase zwischen Abendmahlzeit und Frühstück. Dreizehn Stunden solltest du schon erreichen: Abendessen gegen 18 Uhr, zu Bett gegen 21.30 Uhr, Frühstück zwischen 7 und 8 Uhr, Mittagessen gegen 12 Uhr. Keine Zwischenmahlzeiten (Snacks). Tief wirkende Erholung und innere Heilung erfordern Platz im Magen. Gehst du mit einem Bleimagen zu Bett oder unbeschwert?

      Eine gute Verdauung verlangt Schwerkraft.3 Unsere zentrale Körperachse verläuft in Nord-Süd-Richtung und wenn wir mit vollem Magen ungern liegen, liegt es daran, dass die zentrale Achse nicht aufrecht ist. Hinzu kommt, dass der Atem während der gesamten Nacht nicht frei und tief fließen kann. Mit aufgeblähtem Bauch ist die Einatmung flach, was das Nervensystem unter Druck setzt, der Körper gerät in einen Stresskreislauf.4 Gehst du mit vollem Magen zu Bett, wachst du mit weniger Sauerstoff im Blut und weniger Lebenskraft (prana) in deinen Zellen auf.

       Und wenn früh essen unmöglich ist?

      Im Laufe eines Jahrzehnts klinischer Arbeit als Ayurveda-Praktikerin habe ich im Überfluss nachvollziehbare Gründe dafür gehört, warum ein früheres, leichteres Abendessen nicht möglich ist. Die meisten klingen ganz vernünftig:

      imageEin umfangreiches Mittagessen macht mich müde.

      imageMeine Kinder sind vor 19 Uhr nicht vom Sport zurück.

      imageEin schönes Abendessen vorzubereiten braucht Zeit, also essen wir um 20 Uhr.

      imageIch gehe zum (oder gebe einen) Yoga- oder Fitness-Kurs nach 19 Uhr.

      imageMein Mann und ich essen lieber nach dem Work-out. Das ist unsere einzige gemeinsame Zeit am Tag.

      Viele von uns essen späte, schwere Mahlzeiten aus sozialer Gewohnheit. Wir sind damit aufgewachsen, dass das gemeinsame Abendessen der Inbegriff von Familienzeit ist. Und doch hat unsere Kultur Probleme in epidemischem Ausmaß mit Gemütslagen (Angst und Depression), unzureichendem Schlaf und übermäßigem Körpergewicht. Unser kulturelles Verhalten missachtet unsere grundlegendsten körperlichen Bedürfnisse. Biologisch betrachtet ist spätes, schweres Essen ein frühes, langsames,