Ted Lewis

Schwere Körperverletzung


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geblieben wäre.

      Er ist ein Beispiel dafür, wie gefährlich das Schreiben tatsächlich sein kann, wenn man es richtig betreibt, und Ted Lewis’ Schreiben beweist, dass er nie vor einer Seite davongerannt ist.

      Nein – denn bei Ted Lewis war die Seite das Schlachtfeld.

      Derek Raymond, Le Peuch am 5. August 1990

      G B H

      1861. Section 18. Offences Against the Person Act:

      ‘Whosoever shall unlawfully and maliciously by any means whatsoever wound or cause any Grievous Bodily Harm to any person ... with intent ... to do some Grievous Bodily Harm to any person, or with intent to resist or prevent the lawful apprehension or detaining of any person shall be liable to “imprisonment only”... for life.’

      Amended 1967, Section 10 (2), Schedule 3

      DIE SEE

      Ein leichter, trockener Wind säuselt über die Küstenebene, raunt auf seinem Weg zu den Dünen und dem zitternden spröden Dünengras an den Ecken des Bungalows.

      Vom Bett aus starre ich durch das Fenster und beobachte ein paar Wolkenfetzen, wie sie sich leuchtend über das Antlitz des Mondes schieben. Die Wolken ziehen weiter und der Mond ist wieder allein, lässt mit seinem klaren Licht die Details des Schlafzimmers deutlich werden. Eine Meile entfernt gibt sich die See beherrscht, wenn sie auf den flachen, harten Strand trifft. Ich schaue auf meine Uhr. Es ist Viertel vor drei.

      Ich nehme die Waffe vom Nachttisch, steige aus dem Bett und gehe vom Schlafzimmer in die große, leere L-förmige Eingangshalle. Das Mondlicht wirft den Schatten der Treppe, die nach oben führt, tiefschwarz auf den glatten Linoleumboden. Unter meinen nackten Füßen fühlt sich der Fußboden unerwartet warm an. Ich gehe zur Vordertür, mein Näherkommen provoziert das Mond­licht, sich hinter dem Milchglas zu kräuseln.

      Ich ziehe den Riegel zurück, schließe die Tür auf und öffne sie leise, nur einen Spalt breit. Für einen Augenblick zögert der warme Nachtwind am Eingang, dann fährt er über meinen nackten Körper. Einen Moment lang verharre ich reglos, ziehe dann an der Tür, bis sie vollständig offen ist. Ich lausche.

      Da ist nur das sanfte Geräusch von der Küste und das nächtliche Rascheln des Stechginsters und der Gehölze, der Feuchtwiesen, die sich bis zum Horizont erstrecken. Ich mache einen Schritt nach vorn, auf die gefliesten Stufen, und schaue nach links. Drei Meilen entfernt funkeln die Lichter des Gas-Terminals in der stillen Nacht – wie das Zentrum einer Stadt ohne Vororte. Ich gehe zurück in den Bungalow, verschließe und verriegele die Tür hin­ter mir.

      In dem großen Wohnbereich bleibt es mir der nackten Fenster wegen erspart, das Licht anzuschalten. Ich steige die Stufen hinauf, gehe hinüber zu den Drinks, gieße mir einen Brandy ein und dazu Ginger Ale. Ich lege die Waffe auf den Flügel und stecke mir im Dunkeln eine Zigarette an.

      DER RAUCH

      Zu meiner Überraschung öffnete Sammy höchstpersönlich die Tür, obwohl er mich erwartet hatte. Sammy geht durchs Leben, als rechne er stets mit dem Schlimmsten. Da dem so ist, war ich davon ausgegangen, dass seine bessere Hälfte öffnen werde. Selbst nachdem er gecheckt hatte, dass tatsächlich ich es war und nicht irgendein Stadtgorilla, schielte er mit seinen flinken, kleinen Augen hierhin und dorthin, bemüht, hinter den recht großen Umrissen von Jean und mir die Dunkelheit von Hammersmith zu erforschen. Was er hinter uns vermutete, weiß ich nicht.

      Sammy trat zurück und hielt die Tür auf, und Jean und ich bewegten unsere Schatten weg von den geschmacklosen georgianischen Säulen, hinein in das gelbe Licht, das für Sammys schmucklose Eingangshalle nicht sonderlich vorteilhaft war. Auch nicht für Sammys Teint, wie sich herausstellte. »Margaret und die Kinder bin ich losgeworden«, sagte er. »Die Luft ist rein.«

      »Das ist gut so, Sammy«, sagte ich. So, als wäre das Gegenteil der Fall.

      Sammy ging rückwärts an der Wand jenseits der Trep­pe entlang und glitt bis zur ersten Tür auf der linken Seite.

      »Hier ist es«, sagte er.

      »Danke«, sagte ich zu ihm.

      Jean sah mich an, drückte ihre Meinung über Sammy mit einem eisigen Lächeln aus und ging durch die Tür. Ich war bereits dabei, ihr zu folgen, wurde jedoch in meinem Schritt aufgehalten, mehr durch den Ausdruck in Sammys Augen als durch etwas eher physischer Na­tur.

      »Mr. Fowler«, sagte Sammy, »ich muss es Ihnen sagen. Mir gefällt das alles nicht. Mir gefällt das alles ganz und gar nicht.«

      Ich sah ihn an.

      »Das wollte ich Ihnen nur sagen«, meinte er und wünschte, er würde nicht bestätigen müssen, was er be­reits gesagt hatte.

      »Warum?«, fragte ich und behielt den Blick bei, und je länger ich ihn beibehielt, desto weniger war Sammy geneigt zu antworten. Nachgiebig sagte ich zu ihm:

      »Du musst nicht hierbleiben. Du kannst dich in die Kneipe verpissen. Sag Harry, es geht auf meine Rechnung. Oder verzieh dich nach oben und sieh dir das Spiel im Fernsehen an.«

      »Oh nein. Ich könnte den Ton gar nicht laut genug einstellen.«

      »In diesem Fall«, sagte ich, »bleibt nur die Kneipe, oder?«

      Eine kurze Stille. Dann sagte Sammy:

      »Ja. So mach ich es, Mr. Fowler. Ich verschwinde und nehme Ihr freundliches Angebot an.«

      Als wäre er ganz von allein zu diesem Schluss gekommen.

      »Gut«, sagte ich ihm.

      Ich ging über die Schwelle in den Raum.

      Jean stand am Erkerfenster, zündete sich eine Zigarette an. Die geschlossenen Vorhänge waren hinter Decken verborgen, die man an den Gardinenstangen befestigt hatte. Gemäß den Anweisungen war auch der Teppich zu­sammengerollt worden, und auf den nackten Dielen, in der Mitte des Zimmers, stand ein Stuhl mit gerader Rückenlehne. Dem Stuhl gegen­über stand ein billiges Sofa; neben dem Sofa ein zusammenklappbarer Kartentisch und auf diesem Tisch befanden sich eine Flasche Scotch, eine Flasche Wodka, einige Flaschen Tonic Water, einige Flaschen Ginger Ale und mehrere Gläser. Außerdem stand eine Lampe auf diesem Tisch, die die Beleuchtung des Zimmers besorgte – die Lampenfassung der Deckenbeleuchtung war aktuell mit einer anderen Aufgabe betraut. Auf dem Boden, neben dem Klapp­tisch, stand ein mit Wasser gefüllter Aluminiumeimer. Neben dem Eimer dann die übrige Ausrü­stung.

      Ich musterte alles, und dann blickte ich zu Jean, nur um festzustellen, dass sie mich bereits ansah. Unsere Blicke, scheinbar ausdruckslos, übermittelten unsere beiderseitigen Gefühle.

      Sammy tauchte an der Tür auf, dabei, seinen Mantel anzuziehen.

      »Nun«, sagte er, »ich mach mich dann mal auf den Weg.«

      Wir sahen ihn beide an.

      »Ich denke, es ist alles so, wie Sie es wollten.«

      »Es sieht so aus, Sammy.«

      »Also, ich bin dann mal weg.«

      Er hielt kurz inne, wie ein Laienschauspieler, der auf sein Stichwort zum Verlassen der Bühne wartet. Dann verschwand er, und man hörte das Geräusch der sich schließenden Haustür.

      Nachdem er gegangen war, sagte Jean: »Meinst du, Mickey wird pünktlich sein?«

      »Davon gehe ich aus. Um Viertel vor sieben hat er sich Arthur geschnappt.«

      Jean schaute auf ihre Uhr. Die Asche löste sich von ihrer Zigarette und fiel zu Boden. »Ich denke, ich werde etwas trinken, während ich warte«, sagte sie.

      Ich wandte mich dem Klapptisch zu und goss Wodka für Jean ein und Scotch für mich. Ich brachte ihr den Drink hinüber, und als ich ihn ihr gab, läutete die Türglocke. Jean sah mich nicht an, als sie mir das Glas ab­nahm.

      Ich verließ den Raum und öffnete die Haustür. Direkt vor mir stand Arthur Philips – Alter frühe