Ted Lewis

Schwere Körperverletzung


Скачать книгу

Dünen Zugang zum Strand dahinter zu ermöglichen. Automatisch lese ich wieder das Schild, womit gewarnt wird, dass, wenn die rote Flagge sich in der Luft bewegte, die Royal Air Force das Gleiche tut und die Hüllen der alten Panzer und Armeelastwagen unter Beschuss nimmt, die über die Weitläufigkeit des Strandes verstreut sind. Heute ist die Flagge nicht gehisst.

      Ich bewege mich zwischen den Dünen entlang, nehme die kleine Steigung im Betonpfad und gehe dann das sanfte Gefälle hinunter und habe jetzt die Dünen im Rücken und vor mir nur die See und den Strand.

      Etwa eine halbe Meile links von mir hockt ein von Raketen zerschossener Panzer wie eine Fliege auf der Kante eines Tisches. Über den platten Sand steuere ich auf ihn zu. Hier hinterlässt das Meer beim Zurückwei­chen keine Riffeln im Sand, sie zeigen sich erst in nicht weniger als zweihundert Meter Entfernung, in etwa dort, wo das Gerippe eines Transporters steht, das einzige Objekt, das als Maßstab herhalten kann für die flache Linie, entstanden aus dem Zusammentreffen von See und Himmel.

      Auf meinem Weg Richtung Panzer gehe ich entlang der unberührten Fußspuren meiner Tour tags zuvor und der des Tages davor, und während ich gehe, sind auch meine Gedanken Überbleibsel der Gedanken meiner vorherigen Touren, und sie werden mich weiter verfolgen.

      Mein Augenmerk konzentrierte sich auch auf die Bü­ro­ausstattung. Ich unterhielt vier Läden und ein paar Lagerhäuser. Nicht ein Jota dieser Geschäfte schien anrüchig. Kein Aktenschrank, kein Fünfzigpencestück. Wäre ein in diesem speziellen Zweig des Geschäftes Beschäftigter mit einer geklauten Packung Blaupapier hereinspaziert, man hätte ihn mit einem Tritt in den Arsch hinausbefördert und seine Papiere wären eineinhalb Sekunden später auf die Straße geschleudert worden. Ich hatte zwei oder drei solcher Firmen.

      Es war die London-Bridge-Filiale, wo ich Jean kennenlernte. Sie war eine der Angestellten. Harris war dabei, uns zu verlassen. Edmonds, zuständig für das Geschäft insgesamt, beförderte Jean und das nicht nur, weil ihre Beförderung völlig in Ordnung gewesen wäre. Es brach­te ihm jedoch nichts ein, denn zur rechten Zeit machte ich ihre Bekanntschaft und anschließend lief er mit Scheuklappen umher, damit mir niemand hätte er­zählen können, er habe sie auch nur angesehen.

      Ganz klar, es läuft nicht so, wie sie einem in der Glotze glauben machen wollen. Man geht nicht in die nächstbeste Bar, nachdem man seine erste Million gemacht hat, und erzählt der erstbesten Tusse, auf die man ein Auge geworfen hat, wie man sie gemacht hat. Noch spricht man darüber, bevor man es gemacht hat ... sonst macht man es nie. Das beweisen all diese traurigen Ge­schichten, von denen man aus den Zeitun­gen erfährt, absolute Pechvögel, die zwischen zwei Knastaufenthalten ihren Lohn nicht länger als fünf Minuten in den Händen halten.

      Als ich sie kennenlernte, wohnte Jean in Orpington. Sie besaß dort ein Haus. Die Scheidung lief und das Haus sollte Teil der Vereinbarung werden. Er war zu jener Zeit in Kalifornien, trug geblümte Hemden und wollte seine vergeudete Jugend in Singlebars wettmachen. Er wolle frei sein, hatte er gesagt. Er sei natürlich bereits zuvor diverse Male fremdgegangen, aber das sei nicht gleichbedeutend mit Freiheit. Sie hätten zu jung geheiratet, hatte er gesagt. Als wir uns verabredeten, als wir dann darauf zu sprechen kamen, sagte sie mir, dass sie nie darüber hinwegkommen werde, niemals. Sie hätten einander so sehr geliebt, unmöglich, so habe es geschienen, dass es jemals dazu kommen könne, sagte sie mir.

      Nun, das war in Ordnung. Ich stand unter keinem besonderen Druck. Sie war dreiunddreißig und die Zeit auf meiner Seite, nicht auf ihrer. Ich führte sie aus, so wie Chefs ihre Angestellten ausführen, musste in ihrem Falle nichts überstürzen. Andere meiner Angestellten, besser bezahlte, konnten meine zeitweiligen Bedürfnisse befriedigen und das während der Geschäftszeiten. Als es dann passierte, dauerte es noch drei Monate, bis ich herausfand, dass ihr Haar nicht seine natürliche Farbe hatte, und es dauer­te zwei Jahre, bis sie herausfand, wer ich war. Das war eine Woche vor unserer Hochzeit und spielte zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr. Allerdings hatte es andere Probleme gegeben.

      DER RAUCH

      Zwei Stunden später kam Collins vorbei, und er war nicht begeistert. Doch hatte er eine Wahl?

      Er setzte sich auf das Sofa, sein fetter Hintern sorgte für Falten der Verdrängung auf dem Lederbezug. Ich goss ihm etwas von dem restlichen Champagner ein, setzte mich dann auf das Sofa ihm gegenüber und sah ihn an. Er war gepflegt und gut gekleidet wie immer.

      »Wie geht’s Jean?«, fragte Collins.

      »Komm zur Sache«, erwiderte ich.

      Collins trank noch etwas Champagner.

      »Warum hast du keinen Kontakt aufgenommen?«, fragte ich. »Bevor die ganze Scheiße bei euch losging?«

      »Es war schwierig. Ich konnte nichts tun, ohne die Aufmerksamkeit auf unsere Beziehung zu lenken.«

      »Komm mir nicht mit der Nummer, Dennis. Jeder bei euch weiß, welche Beziehung wir haben. Deshalb bist du ja dort.«

      »Genau. Nachdem Arthur mit Farlow gesprochen hat­te, haben sie nur noch rumgestanden und gewartet, was ich tun würde. Terry festnehmen oder dich anrufen? Sie haben quasi Wetten auf mich abgeschlossen. Was immer sie auch wissen, ich musste Terry festnehmen, damit es so aussah, als werde dem Recht Genüge getan. Andernfalls hätte es Farlow die Gelegenheit gegeben, mit dem Commissioner zu sprechen.«

      Ich dachte über Farlow nach.

      »Schon mal erwogen, Farlow für uns einzunehmen?«

      Collins schüttelte den Kopf.

      »Ich trau ihm nicht.«

      »Wir könnten ihm mehr bieten als die Shepherdsons.«

      »Er würde nicht drauf eingehen. Eine Prinzipienfrage. Außerdem ...«

      »Außerdem?«

      »Sollte er für dich arbeiten, könntest du, könnte er oder könntet ihr beide möglicherweise zu dem Schluss kommen, dass ich entbehrlich bin.«

      »Wie könnte ich jemals zu diesem Schluss gelangen, Dennis? Sollte ich dir irgendwann den Laufpass geben, würdest du mich nur der guten alten Zeiten wegen wohl kaum in deinen Memoiren vergessen.«

      Ich goss noch etwas Champagner ein.

      »Wann hat Farlow davon ausgehen können, dass Arthur alles zu Papier bringen und in Saffianleder binden lassen würde?«

      »Keine Ahnung. Gut für uns, dass ich Terry herbeischaffen musste, bevor Farlow die Aussagen von Arthur und den beiden anderen präsentiert bekam. Er war derart aus dem Häuschen, dass ihm fast einer abging, bevor er die Hosen runter hatte.«

      Ich trank ein wenig Champagner.

      »Wie geht’s Arthur?«, fragte Collins.

      »Nun, es scheint nicht notwendig, sich länger dabei aufzuhalten.«

      »Und die anderen zwei?«

      Ich sah auf meine Uhr.

      »Die sollten mittlerweile verschwunden sein.«

      »Mickey?«

      Ich nickte.

      »Dann ist das also auch geregelt.«

      Er nahm einen Schluck Champagner und beäugte das Essen.

      »Da du mich von meinem weggerissen hast, wie wär’s mit etwas von deinem?«

      »Bedien dich.«

      Collins nahm einen sauberen Teller und machte sich daran, ihn mit Rindfleisch zu bestücken.

      »Trotzdem, Dennis«, sagte ich. »Über den Zeitpunkt bin ich nicht glücklich.«

      »Ich hab dir ja gesagt«, erwiderte er und schaufelte dabei etwas von dem Zeug aus der Salatschüssel auf seinen Teller, »ich konnte nicht das Geringste dagegen un­ter­nehmen.«

      DIE SEE

      Wie in einem Traum scheint der Panzer nicht näher kom­men zu wollen. Je weiter der Morgen vorangeschritten ist, desto mehr hat sich der Wind gelegt und seine Abwe­senheit