Ted Lewis

Schwere Körperverletzung


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der nach Osten ausgerichteten Seite des Hauses, die der buckeligen Eintönigkeit des Stechginsters zugewandt ist, dem sanften Auf und Ab der Dünen dahinter und dem nicht sichtbaren Anlanden einer See, auf Distanz gehalten von der enormen Weite unberührten Sandes, der sich eine Viertelmeile vor den Dünen erstreckt, bevor er vom ersten Anschlagen des Wassers gestört wird. All das Sichtbare und Unsichtbare ereignet sich hinter einem Fenster, ähnlich dimensioniert wie das im Londoner Penthouse. Nur der Anblick ist ein anderer.

      Betritt man den Wohnbereich, so liegt dieses Fenster zur Linken, der Sims jedoch, sofern man von durchschnittlicher Größe ist, befindet sich etwa dreißig Zentimeter über Augenhöhe. Aber wenn man die untere Ebene durchquert und die breite, offene Treppe zur zwei­ten, großzügiger gestalteten Ebene erklommen hat, dann befindet sich der untere Rand des Fensters in Höhe der Schuhe, vorausgesetzt, man trägt welche. Rein theoretisch. Nachdem die Handwerker gegangen waren, haben außer mir nur der Mittelsmann und sein Mitarbeiter einen Fuß in dieses Haus gesetzt.

      Von dieser neuen Höhe aus böte sich einem nun die Möglichkeit, die See unter dem erhabenen Ostlicht auszumachen, einen nunmehr schmalen Streifen, geschuldet der Weitläufigkeit der Ebene aus Stechginster und Strand davor. Und hat man die höhere Ebene des Raumes er­reicht, sieht man an dessen anderem Ende Mauerwerk, von Wand zu Wand, von der Decke bis hinunter zum Boden, und in dieser Wand einen kleinen offenen Kamin, aluminiumumrandet. Die beiden einzigen anderen Brüche mit der beabsichtigten Monotonie dieser Wand sind das ein Meter zwanzig mal ein Meter große Gemälde von Allen Jones sowie eine schmale Schranktür, dahinter ein Rollwagen mit zwei Filmprojektoren, sechzehn und acht Millimeter. Nah bei dieser Wand platziert, beinahe rund um den Kamin kauernd mit Rücksicht auf das Gefühl von Kälte, hervorgerufen durch die längliche Optik des Raumes, dann der Großteil seines sparsamen Mobiliars, in seinem Charakter niedrig und komfortabel.

      Die rechte Wand des Raumes wird von einem Regal verdeckt, das von der Backsteinwand bis zum Rand der Treppe reicht, die zur unteren Ebene führt. Neben ein paar Hundert Büchern, die, von der Zentralheizung ab­gesehen, dem Raum als Einziges eine Anmutung von Wärme verleihen, beherbergt dieses Regal die Hausbar, den Fernseher und die Stereoanlage samt Schallplatten und Bändern. Unmittelbar vor dem Regal, fast am Rand der Treppe nach unten, steht ein schwarzer Konzertflügel, und direkt unter der höheren Ebene des Raumes befindet sich die Garage, aktuell der Platz für einen unauffälligen Marina.

      In die Backsteinwand eingelassen, nahe der Stelle, wo sie mit dem Regal zusammentrifft, befindet sich eine schmale Schalttafel. Einer der Schalter steuert die Leinwand, die von der Decke herabgleitet, wenn man es möchte.

      Im Augenblick möchte ich es nicht.

      Ich steige die offene Treppe hinauf, gehe zu den Drinks, gieße mir einen Scotch ein und betrachte Jeans Foto, das aus meiner Brieftasche zu ziehen und auf den Flügel zu stellen, ich mich vor ein paar Tagen habe zwingen müssen. Bis jetzt habe ich es vermieden, es zu be­trachten, so, wie es ich vermieden hatte, es aus meiner Brieftasche zu ziehen.

      Eine Aufnahme, die ich vor einigen Jahren gemacht hatte, auf unserer Hochzeitsreise, als Jean die Villa auf Menorca zum ersten Mal gesehen hatte. Jean hatte am Rand des Pools gestanden, nackt und im Begriff hineinzuhechten, und ich hatte ihren Namen gerufen, woraufhin sie sich umdrehte, aber bereits mit zu viel Schwung für den Sprung, und ich betätigte den Auslöser in dem Moment, als es für sie zwischen der Kante des Pools und dem Wasser kein Zurück mehr gab. Ihr Lachen ist eingefroren in der Wärme des spanischen Sonnenlichts.

      Ich nehme einen Schluck von meinem Scotch und be­trachte nun das Foto nicht länger und gehe hinüber zum Fenster und sehe mir eine andere Art Sonnenlicht an, während der Märzwind über die Weite des Himmels braust und über die See darunter.

      DER RAUCH

      Im Aufzug zum Penthouse war Jean still und angespannt. Sie hielt sich an mir fest, als sei ich eine Art rettender Anker, als könne ich sie bei einem Anfall von Schwindel stützen. Wenn es auch nicht mehr notwendig war, das zu erörtern, was Arthur uns erzählt hatte – das weitere Vorgehen stand fest und harrte nur noch der Durchführung –, fußte dieses Schweigen keineswegs auf einem Mangel an Gesprächsstoff. Das Gegenteil war der Fall. Vielleicht war ein vollständiger Gedankenaustausch zwischen uns allein mit einem Gespräch nicht zu ermöglichen.

      Der Aufzug hielt, die Türen glitten leise zur Seite und wir traten hinaus auf unsere ganz private Etage. Von unten, sehr gedämpft, drangen die Geräusche aus dem Club herauf, wie die Geräusche einer gut geölten, präzis konstruierten Maschine. Jean klammerte sich weiter an meinen Arm, während wir über den Flur gingen.

      Gerry Hatch erhob sich vom einzigen Möbelstück im Flur, einem sandfarbenen Ledersessel. Die Ausgabe des Magazins The Ring ließ er auf dem eingedrückten Sitz zurück.

      »Mr. Fowler«, sagte er. »Mrs. Fowler.«

      Er holte sein Schlüsselbund hervor und schloss die Doppeltür auf, die sich direkt zum Wohnbereich des Penthouse öffnete. Er schloss sie hinter uns und ging zurück, um auf Ernie Hildreth zu warten, die Nachtschicht.

      Ich blieb unmittelbar an der Tür stehen und zog meinen Mantel aus. Jean war an den Stufen stehen geblieben, die hinunterführten in den abgesenkten Hauptbereich des Raumes, den Mantel noch über den Schultern, ein Schattenriss im Negativ vor der Schwärze des Panoramafensters, das die gesamte Wand ihr gegenüber einnahm; ein Fenster, das stets eine Parkplatzlänge entfernt zu sein schien. Lichter gestalteten das mit Regen be­fleckte Glas wie Farbflecken ein ab­straktes Gemälde. Ich ging zu ihr ans obere Ende der Stufen und legte meinen Mantel über das Geländer. Auf dem niedrigen Glastisch in der Mitte des abgesenkten Bereiches hatte Harold Salat und eine Auswahl an halb ro­hem Rindfleisch und Huhn bereitgestellt, dazu Champagner.

      »Alles in Ordnung?«, fragte ich.

      Jean antwortete nicht.

      Stattdessen ging sie die Stufen hinunter und setzte sich auf eines der tiefen, langen Le­dersofas, die mit den Seiten des Bereiches abschlossen. Sie kauerte dort nach vorn gebeugt, fast so, als hätte sie Magenschmerzen oder als fröstele sie. Noch immer hing der Mantel um ihre Schultern und sie starrte auf das Essen vor sich auf dem Tisch.

      Ich ging die Stufen hinunter, nahm den Champagner aus dem Kühler, entfernte den Korken mit einem Ruck und füllte die Gläser.

      »Auf deine Gesundheit«, sagte ich.

      Keine Antwort.

      »Oder sollte ich in Anbetracht der Informationen besser sagen ›auf unsere eiserne Gesundheit‹?«

      Statt nach ihrem Glas zu greifen und zu trinken, riss Jean eine Hähnchen­keule ab, betrachtete sie einen Mo­ment, bevor sie zu essen begann.

      Ich trank meinen Champagner und schenkte mir nach. Ging dann zum Telefon und hob den Hörer ab.

      »Was machst du?«, fragte Jean.

      »Telefonieren. Collins. Warum?«

      »Später.«

      »Wie?«

      Jean legte die Hähnchenkeule auf den Tisch, stand auf und kam zu mir herüber. Ihr Mantel hing immer noch über ihren Schultern und ihre Lippen glänzten vom Fett des Hähnchens. Ich fühlte ihre Hand zwischen meinen Beinen.

      »Jetzt«, sagte sie.

      »Ich will Collins nicht verpassen.«

      Ihr Griff wurde fester.

      »Nein. Besorg es mir jetzt.«

      Sie war noch immer am Kauen und ein Stück vom Hähnchen rutschte aus ihrem Mundwinkel, was sie nicht hinderte, mich zu küssen, ihre Arme um meinen Nacken zu legen und mich mit den Beinen zu umschlingen, sodass mich ihr Gewicht aus dem Gleichgewicht brachte und auf den Boden zog. Ich fiel auf sie und ihre Beine umschlossen mich fest und begannen, in erwartungsvoller Ekstase wild an mir entlangzureiben. Ihre Hände rissen meinen Reißverschluss fast auseinander.

      »Besorg’s mir«, sagte sie, »jetzt, Herrgott noch mal.«

      DIE SEE

      Ich