Ted Lewis

Schwere Körperverletzung


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wo sie alles, was ich gelegentlich angedeutet hätte, nicht nur vermutet, sondern begierig erwartet habe. Und als die Schranken schließlich gefallen waren, eröffnete ihr jede neue Perspektive beim Blick in meine Welt neue Einsichten auch in das eigene Selbst, zeitigte Reaktionen, die sich Horizonten zuwandten, sie berührten, die niemals auch nur Gegenstand von Erwägungen gewesen waren. Sie hatte etwas von einer schweren Alkoholikerin mit einer Dauerkarte für eine Schnapsbrennerei. Nach dem Tod ihres Mannes wurde sie buchstäb­lich eine andere Frau.

      DER RAUCH

      »Es sieht nach einem Fall von Vermessenheit aus«, sagte Jean.

      Ich stand am Fenster und zündete mir die nächste Zigarette an.

      »Ich werde weit zurückgehen müssen«, sagte sie mit einem Blick auf die Bücher. »Das hat nicht erst gestern angefangen.«

      Ich erwiderte nichts. Wenn es etwas gab, was ich hass­te, dann das. Man zahlte ihnen mehr, als sie jemals hätten erwarten können, und doch war es nicht genug.

      »Wie lange wird es dauern?«

      »Keine Ahnung«, sagte sie.

      »Es hat keinen Sinn, schon jetzt mit Mickey zu sprechen.«

      »Nein.«

      Durchs Fenster beobachtete ich ein Flugzeug, wie es träge über den Himmel zog.

      »Wie auch immer«, sagte ich, »ich schaue mal im Steering Wheel vorbei.«

      »Hältst du das für eine gute Idee?«

      »Ich halte das für eine sehr gute Idee.«

      Ich verließ das Büro, goss mir einen Drink ein, nahm ihn mit in mein Ankleidezimmer und machte mich da­ran, in einen der Anzüge zu steigen, die kürzlich aus Rom eingetroffen waren. Ich war gerade dabei, als Jean hereinkam und ich in den verspiegelten Wänden des Raumes aus achtundvierzig verschiedenen Blickwinkeln verfolgen konnte, wie sie Hose und Pullover auszog. Dann beobachtete ich, wie sie losging, auf mich zusteuerte und sich an mich schmiegte und ihre Arme um meine Taille schlang und ihre Fingernägel in meinem Bauch vergrub. Als sie zu sprechen begann, war es nicht mehr der geschäftsmäßige Ton, den sie im Büro an den Tag gelegt hatte.

      »Was ist mit Arthur passiert?«, fragte sie.

      Ich drehte mich zu ihr, um sie anzusehen. Jetzt glitten ihre Hände hinauf zu meinen Schulterblättern, und wieder gruben sich die Nägel ein, während ihre Hände langsam an meinem Rückgrat entlang nach unten fuhren.

      »Mickey hat sich um ihn gekümmert.«

      Die Nägel gruben sich tiefer ein und sie presste sich noch fester an mich. Ihre Augen glühten, wurden jedoch sogleich von den sich senkenden Lidern verhüllt – wie die Augen eines Habichts. Ich wusste, was sie mir sagen, was sie ausdrücken wollte, aber es in Worte zu fassen, hätte ihre Gefühle bloßgelegt. Ich kannte das Gefühl gut. Es ist, als hätte man den Finger am Abzug, atmete ein um abzudrücken und hielte dabei den Atem an, als woll­te man sie festhalten, die Sekunde vor dem Abdrücken, vor dem letzten Akt der Anstrengung. Jedenfalls wusste ich genau, was sie fühlte. Ihr Körper vermittelte es mir und mein Körper entschlüsselte die Signale mit Leichtigkeit, denn er reagierte exakt auf die gleiche Weise. Das Steering Wheel konnte warten.

      DIE SEE

      Ich werfe meine Zigarette in die Luke des Geschützturms und nehme noch einen Schluck aus dem Flachmann. Ich schaue auf meine Uhr. Es ist Viertel nach acht. Bin ich erst einmal zum Bungalow zurückgegangen und mit dem Marina nach Mablethorpe gefahren, wird das in der Stadt geöffnet haben, was außerhalb der Saison geöffnet hat. Ich nehme einen letzten Schluck aus dem Flachmann, stecke ihn zurück in meine Tasche, springe vom Panzer und eröffne eine neue Linie von Fußabdrücken im Sand, die den anderen Gesellschaft leistet.

      Im Gehen zünde ich mir eine weitere Zigarette an und ich sehe Mickey Brice’ Bild vor mir, nicht so, wie ich ihn in der Sekunde vor seinem Tod vor mir hatte, sondern so wie in Ling House, Courtenays Anwesen ein paar Meilen außerhalb von Newmarket. Es waren nicht allein die Pferderennen, weswegen wir dorthin fuhren.

      Solange jemand wie ich erfolgreich ist und umsichtig genug, um als respektabel durchzugehen wie ein Filmstar oder Sänger oder Fußballer, wird es immer Menschen wie Courtenay geben. Ihm gefiel der Umgang mit Leuten, die sich auf dem Höhepunkt ihrer jeweiligen beruflichen Laufbahn befanden. Selbst ohne Beruf, nur im Besitz eines Titels und einiger tausend Morgen Land, mit Häusern innerhalb und außerhalb Londons und einem Vermögen, bei dessen Verschwendung er Unterstützung benötigte, schätzte Courtenay Zusammenkünfte in seinen verschiedenen Domizilen, Zusammenkünfte von Leuten, die für ihre glitzernden Prämien arbeiten mussten. Natürlich wählte er seine Gäste mit Bedacht. Selbst mit all seinem Geld meinte er, Indiskretion könne zu Kosten führen, die weit über rein Finanzielles hinausgingen.

      Bei alledem genossen die Vergnügungen, die Courtenay für seine Gäste bereithielt, insgeheim ein Renommee unter den Auserwählten. Zu einem Courtenay-Wochenende eingeladen zu werden war eine Ehre und zugleich eine Herausforderung für die Sexualität der Menschen hinter der offiziellen Persönlichkeit.

      Was mich betraf, ich nahm nicht oft daran teil. Das wäre einer Lieferung Sand in die Wüste gleichgekommen. Aber Mickey war so etwas wie ein Stammgast. Er und Courtenay konnten extrem gut miteinander, so, wie sie gestrickt waren. Mich interessierte das nicht; was immer Mickey in seiner Freizeit trieb, ging nur ihn etwas an.

      Als ich die Einladung für ebenjenes Wochenende er­hielt, sagte ich zu. Ich kannte Jean etwas länger als ein Jahr. Es schien mir ein geeigneter Anlass zu sein, aufzuzeigen, dass das, dem sich Menschen im Privaten hingaben, nichts Einzigartiges war und häufig in den besten Kreisen öffentlich vorexerziert wurde. Und da Mickey ebenfalls hinging, würden seine Anwesenheit und Mitwirkung ihr den Schritt in eine andere Welt möglicherweise erleichtern.

      An besagtem Wochenende hatte Courtenay eine große quadratische Kokos­matte auf den Boden des Raumes gelegt, den er lächelnd als sein Spiel­zimmer bezeichnete. Seidenkissen, groß genug, um gleichzeitig drei oder vier Personen Platz zu bieten, waren rings um die Matte gruppiert worden, boten so ein weiteres, wesentlich kom­fortableres Viereck. Gegen elf Uhr nachts vereinten sich alle auf den Kissen zu einem Publikum. Courtenays Personal sorgte für beständigen Nachschub an den be­vor­zugten Getränken oder versorgte mit dem, was man sonst so nahm. Von der offiziellen Gästeliste war allein Mickey dem auf den Kissen lagernden Publikum ferngeblieben, wenn auch nur vorläufig. Das Licht war bereits gedimmt. Als das Hauptereignis begann, verlosch es ganz und nur ein auf die Mitte gerichteter Spot be­sorgte die Beleuchtung.

      Dann erschien Mickey, in Begleitung eines zweiten gut gebauten Mannes und eines sehr schönen dreiundzwanzigjährigen Mädchens. Ich kann deshalb so präzise sein, weil es eines meiner Mädchen war. Alle drei waren nahe­zu nackt. Der zweite Mann trug kurze, dünne Ny­lonstricke in der Hand. Als er auf die Matte trat, ließ er sie auf eine Ecke fallen.

      Die Idee hinter dem Ganzen – Mickey sollte gegen die beiden anderen in einer Art Ringkampf antreten, und obwohl mit allem Drum und Dran, keiner von der Sorte, die an Samstagnachmittagen gesendet wird. So kam der Niederlage in dieser kleinen Farce eine andere Bedeutung zu. Sollte Mickey als der Überlegene hervorgehen, so diktierte er die Art der Unterwerfung, der sich die beiden anderen zu unterziehen hätten. Zuvor jedoch musste es ihm gelingen, die zwei zu fesseln, um fortfahren zu können; und vice versa, sollte Mickey der Unterlegene sein. Für viele im Publikum war natürlich die Reise ge­nauso aufregend wie die Ankunft. Ganz gewiss galt das für Jean. Neben ihr auf dem Kissen, spürte ich die von ihrem Körper ausgehende Hitze, erzeugt vom Wettkampf des Trios, das auf der Matte miteinander rang, der zwei, die den einen zu überwältigen suchten und umgekehrt, und alle drei dabei sehr überzeugend in ihrer Darstellung, bis Mickey entschied, dass er derjenige sein werde, der sich unterwerfen würde; er musste es nicht, sofern er es nicht wollte. Die Stricke, die seine Hände hinter seinem Rücken fixieren sollten, waren schließlich verknotet und die beiden anderen begannen damit, ihn zu bearbeiten.

      Dann, nachdem es vorbei war, wurde Mickey erlöst, und das Trio stärkte sich mit Champagner für den nächsten Wettkampf. Hierfür würde