Ted Lewis

Schwere Körperverletzung


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und den gesamten Samstag hindurch, wenn wie durch Zauberhand eine Handvoll Leute erscheint und umherstreift, ohne Geld auszugeben.

      Als ich mit dem Wagen zum Ende der Straße fahre, tauchen in keiner der beiden Richtungen andere Wagen auf. Ein paar wenige parken auf beiden Seiten der Stra­ße, aber nichts bewegt sich.

      Ich werde meinen Wagen auf der Promenade abstellen. Für eine Promenade – das, so denke ich, kann man schon sagen – ist sie nicht schlecht. Einziges Problem nur, man kann von dieser Promenade aus nicht das Meer sehen. Man war gezwungen gewesen, diesen ho­hen, einem Hügel nicht unähnlichen Deich zu errichten, der sich als Barriere gegen die Flut eine Meile parallel zur Promenade erstreckt. Er wurde nach den East Coast Floods im Jahre neunzehnhundertdreiundfünfzig hochgezogen. Man hat versucht, ihn ansprechend zu gestalten – ein paar Teile Beton hier und da –, aber es bleibt eine Art maritimer Hadrianswall, höher als die der See zugewandten Gebäude, der die vergnügten Urlau­ber daran hindert, den Strand zu erreichen oder einfach mal so auf die See zu blicken.

      Doch es gibt zumindest eine Lücke und die findet sich direkt gegenüber dem Ende der Straße. An diese Lücke grenzen auf der einen Seite die Toiletten an, auf der anderen schließt sich der Vergnügungspark an, sowohl das eine als auch das andere geschlossen. Ich denke, das sollten Sie wissen. Der Durchgang selbst ist ein zehn Meter breiter Betonstreifen, eine Rampe, die sich in Richtung See als bescheidene Nachahmung des schützenden Deiches erhebt, sodass man nicht einmal durch diese Lücke die See ausmachen kann, sofern man nicht zur Spitze der Rampe pilgert, an deren Ende, parallel zum Wasser, ein halbes Dutzend Poller aufgereiht stehen, die sich, von der Promenade aus betrachtet, vom unendlichen Himmel schwarz abheben. An der Spitze der Rampe gewinnt man den Eindruck, die See liege höher als der Punkt, von dem man sich soeben nach oben bewegt hat.

      An dieser Stelle ist das Meer nur eine viertel Meile entfernt.

      Ich stelle meinen Wagen am Fuße der Rampe ab, auf der weißen Tünche, die sich mit »Parken verboten« an mich wendet. Außerhalb der Saison ist mein Tun er­laubt. Zu anderen Zeiten verstieße es gegen das Gesetz.

      Da ich viel Zeit totzuschlagen habe, steige ich aus dem Wagen und gehe zur Spitze der Rampe und blicke auf diesen anderen, flachen Streifen. Das Abwasserrohr schim­mert schwarz im Sonnenlicht wie eine riesige Kack­wurst, die man hinaus aufs Meer getrieben hat.

      Ein zwei Meter fünfzig breiter Pfad, eine Minipromenade, verläuft entlang der seewärts gelegenen Grund­linie des Deiches. Zu meiner Linken, fünfzig Meter weiter, führt er vorbei an einem gedrungenen, einer Schachtel nicht unähnlichen Gebäude, das sich Dunes Theatre nennt. Es verfügt über eine Bühne und hier enden die Gemeinsamkeiten mit einem Theater. Die Front ist komplett verglast, zur See hin ausgerichtet, sodass die Säufer unter der Saison ihre Sprösslinge im Blick haben, die entlang des Abwasserrohrs vor und zurück tanzen und in die Wellen tauchen, wenn die sich auf ihrem Weg zum Strand am Rohr brechen.

      Wie gesagt, im Theater gibt es eine Bühne. Es gibt dort keine richtige Bestuhlung, nur Klappstühle aus Sperrholz. Im Sommer rennen die Kinder, die nicht am Strand spielen, in diesem Zuschauerraum umher und schmeißen die Stühle um. Die abendliche Unterhaltung für Erwachsene umfasst Wrestling, offene Bühne oder Country & Western aus der Region. Die Bar befindet sich im Zuschauerraum, was bei den Gästen zu jeder Tageszeit gut ankommt. Außerhalb der Saison ist das Dunes nie dauerhaft geschlossen. Manchmal ist es an ein paar Tagen in der Woche geöffnet, aus keinem besonderen Grund, außer um vielleicht mal durchzulüften, das aber nie an bestimmten Tagen. Eine alte Schwuchtel namens Howard, die schon bessere Tage gesehen hat – an der Garderobe bei den Sommershows in Great Yarmouth, solche Sachen eben –, kümmert sich während der unregelmäßigen Öffnungszeiten um die Bar. Der Sommer ist besser für ihn, drei Monate lang liegt es in seiner Macht, anzuheuern und zu feuern und seine Lakaien zur Sau zu machen.

      Von hier aus kann ich nicht sagen, ob es öffnen wird oder geschlossen bleibt. Die Glasfront spiegelt nur das sich sanfte Regen der See wider. Ohnehin rein akademisch, denn jetzt ist keine Öffnungszeit. Ich drehe mich um und von meiner relativ hohen Warte schaue ich hinunter auf die Straße, wie sie sich in die Unendlichkeit erstreckt, hindurch zwischen mit farbigen Anstrichen versehenen Spielhallen und den übrigen Fronten; Farben, so typisch für Badeorte, Farben, so leuchtend und doch nie reine Grundfarben. Auf der Straße ist jetzt mehr Bewegung; jemand überquert die Fahr­bahn.

      Ich schlage die Richtung zum verlassenen Vergnügungspark ein und steige die breiten Betonstufen hinauf.

      Das meiste der beweglichen Ausrüstung hat man ab­transportiert, bis der Sommer es wieder zurückruft. Das Fundament des Riesenrades ist noch da, aber kein Rad. Der Aufbau eines Fahrgeschäfts ist noch da, aber die Bahn selbst samt ihren bunten Aufstellern ist verschwunden. Die Helter-Skelter-Rutsche ist nirgendwo zu sehen. Der Lastwagen, der als Unterbau des Crazy House fungiert, steht unverhüllt als das da, was er ist. Die Dauerfahrgeschäfte und Buden sind verrammelt und bilden drei nichtssagende Seiten des Vierecks des Vergnügungsparks. Die vierte Begrenzung stellen die Betonstufen dar, die ich gerade erklimme.

      Oben angekommen, spaziere ich über diese Kleineinöde, bis ich beim Aufbau des Fahrgeschäftes angelangt bin, und setze mich auf eine der Holzstufen, schaue in die Richtung, aus der ich soeben gekommen bin. Die Deichkrone liegt in etwa auf gleicher Höhe mit der Stufe, auf der ich hocke, und genau in meinem Blickfeld. Auf der Ostseite des Deiches kann ich das Rechteck des Dunes ausmachen und auf der anderen Seite die endlose Promenade, die sich entlang der immer kleiner werdenden Gebäude ihren Weg bis hin zum Wohnwagenplatz bahnt. Das ungeheure Ausmaß des Himmels lässt alles schrumpfen. Das vierecki­ge Gerippe des Autoscooters hat vor der Weite des Himmels etwas von der Hülle einer Streichholzschachtel.

      Jemand im pensionsfähigen Alter bewegt sich die für mich nicht einsehbaren Stu­fen hinauf, begleitet von einem Hund, altersmäßig selbst scharf an der Grenze staatlicher Rentenleistung. Er schnüffelt nicht sonderlich auf dem Boden herum; vielmehr scheint er zu faul, den Kopf höher zu heben. Als die alte Schachtel es zur Ebene des Vergnügungsparks geschafft hat, bleibt sie stehen, um Luft zu holen. Ich nehme sie in Augenschein. Wie alt sie wohl sein mag, siebzig, fünfundsiebzig? Ich könnte es vermutlich nicht einmal dann sagen, stünde ich näher bei ihr. Hat sie ihr ganzes Leben hier zugebracht? Gibt es einen inkontinenten alten Mann, der auf einer der Bänke an der Rampe auf sie wartet? Oder ist sie allein, wartet darauf, ihrem Partner im Grab Gesellschaft zu leisten?

      Ich hole meinen Flachmann raus und bemühe mich, nicht daran zu den­ken, wie Jean ausgesehen hat, als ich sie das letzte Mal gesehen habe.

      DER RAUCH

      Nach meinem Besuch im Steering Wheel fuhr ich zurück ins West End. Ich hatte keinen Hunger, also ging ich auf ein paar Drinks ins Lulu’s. Kaum hatte ich meinen Fuß hineingesetzt, wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Versammelt war die übliche Mi­schung aus Journalisten politischer Wochenmagazine, Fernsehgrößen, Ver­legern, Idioten und Werbeleuten in Levi’s Action Suits. Ich hatte gedacht, Toby könne vielleicht dort sein, aber dem war nicht so. Ein Mädchen aus einer Nachrichtensendung tat so, als wüsste sie nicht, wer ich sei, und produzierte sich in der Hoffnung, Gott weiß was bei mir zu bewirken, aber ich verhielt mich ihr gegenüber höflich und ließ mir ihre Telefonnummer geben und versprach, sie anzurufen, eventuell am Donnerstag. Ihr war klar, dass ich es nicht ernst meinte, und als ich ging, bemerkte ich, dass ihr ursprünglicher Begleiter, ein Moderator, sich ihres Versuches wegen über sie lustig machte. Sie sagte ihm, er solle sich verpissen, was ihn jedoch nur noch mehr amüsierte.

      Vom Lulu’s schlenderte ich zum Leicester Square und ging in einen Film im Cinecenta. Statt um Sex und Gewalt – schließlich handelte es sich um eine britische Produktion – drehte sich der Film um Sex und Klamauk. Typisch für die englische Einstellung gegenüber Sex. Wenn Sex mit Humor einherging, konnte sich der Zu­schauer von Schuld freisprechen, indem er sich einredete, er sei in eine Komödie gegangen.

      Der Film war so scharf wie Salad Days und so lustig wie ein Sonntagnachmittag in Scunthorpe. Proportional zum eingesetzten Kapital jedoch würde er ein bescheidenes Vermögen einspielen. Da ich selbst etwas Geld in diese Produktion investiert hatte, berief ich mich hinterher dem Manager gegenüber nicht auf das Warenkennzeichnungsgesetz.

      Als