Ted Lewis

Schwere Körperverletzung


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die Handlung münden werde: Dieses Mal würde Mickey gewinnen, und wer auch immer die Frau sein sollte, sie würde Mickey helfen, mit dem anderen Mann das zu machen, was der zuvor mit Mickey gemacht hatte, und anschließend, völlig unerwartet, würde das Mädchen die Szene betreten, das vordem den jetzt un­terlegenen Konkurrenten unterstützt hatte, und die Teilnehmerin aus dem Publikum mit einer Zielstrebigkeit attackieren, die nur zu einem aussichtslosen Bemühen vonseiten dieser Teilnehmerin führen konnte, die stets die Besiegte war. An diesem Akt der Vorstellung beteiligte sich weder Mickey noch der andere Mann.

      Das war zugleich der Teil, den Courtenay am meisten genoss und der das Publikum am heftigsten stimulierte. Der geäußerte Wunsch nach einer Teilnehmerin aus dem Publikum war genau das: ein Wunsch. Eine Einladung. Wer würde den Mumm haben, dabei mitzuwirken? Wer würde sich vor einem namhaften Publikum dieser Form der Sexualität unterwerfen? Käme sie selbst aus dem Kreis der Namhaften? Und wer würde die un­erwar­tete, völlige Erniedrigung im letzten Akt der dargebotenen Unterhaltung durchstehen und dann für den Rest des Wochenendes wieder die gewohnt kühl-gelassene Attitüde an den Tag legen? Auch das machte die Gäste richtig an. Ich erinnere mich, bei dieser Gelegenheit Courtenay mit einem Blick eingefangen zu haben: Courtenay, voller Erwartung wie Messalina, eine Dame aus der Geschichte, der er nicht nur hinsichtlich seiner sexuellen Vorlieben glich.

      Ich erinnere mich auch, an diesem ganz bestimmten Punkt Jeans Gefühle empfangen zu haben. Es war der weibliche Teil des Trios, der, wie die Assistentin eines Zauberkünstlers, beim Publikum um eine Teilnehmerin mit anderem Status warb. Möglich, dass jede Frau im Publikum das Gleiche empfand, aber Jean drückte die kollekti­ven gemischten Gefühle aus, indem sie überhaupt nichts tat, völlig ruhig blieb, kaum atmete. Und als sich schließlich ein Mädchen von den Kissen erhob, gab es kein großes Ausatmen, weder von Jean noch von den anderen Frauen im Publikum, kein Ausdruck von Er­leichterung. Es schien – nun, da die Möglichkeit sich zu entscheiden verstrichen war –, als wären ihre Gefühle eine Mischung aus Erwartung und Bedauern.

      Später, in unserem Bett, drückte Jean es in etwa so aus: Was sie am stärksten beeindruckt habe, sei die Erkenntnis gewesen, dass ihr viele Leute dort bekannt gewesen seien.

      »Was, wären die Teilnehmer unbekannt gewesen und hätte es kein Publikum gegeben?«, fragte ich sie.

      Sie beantwortete meine Frage nicht mit Worten.

      DER RAUCH

      Als ich ins Steering Wheel kam, traf ich nur auf Johnny Shepherdson. Die restlichen vier trieben sich andernorts herum. Natürlich begegnete man mir seitens der Ge­schäftsführung mit äußerster Zuvorkommenheit, so, wie es den Shepherdsons in einem meiner Läden widerfahren wäre. Das Einzige, was sie nicht taten, bevor ich mich in den eigentlichen Klubbereich bewegte, war das Bügeln meiner Hosen.

      Johnny saß, wo sie immer saßen, in der mit dunkelroten Lederpolstern ausgestatteten Nische, sein künstliches Bein unter dem Tisch starr von sich gestreckt. Niemand sonst war im Laden. Vor ihm auf dem Tisch stand ein Krug Bucks Fizz. Er goss sich etwas davon in ein hohes Glas, als ich mich der Nische näherte. Er war der Jüngste der fünf, um etliche Jahre jünger als die anderen. Ich schätzte ihn auf sieben- oder achtundzwanzig. Wäre er nicht Familie gewesen, sie hätten ihn bereits vor Jahren einbetoniert. Für meine Begriffe trank er zu viel.

      Die Bedienung war mit dem zweiten Glas an der Ni­sche in dem Moment, als auch ich dort angelangt war.

      »George«, sagte Johnny, als ich mich setzte. Die Bedienung füllte das zweite Glas für mich und zog sich zurück.

      Ich nahm einen Schluck Bucks Fizz.

      »Cheers«, sagte ich.

      Ich sah mich im Klub um. Die Putzkolonne war so­eben fertig geworden. Von oben hörte ich das ge­dämpfte Geräusch eines Staubsaugers.

      Der Laden hatte Stil. Für mich immer wieder erstaunlich, wenn man die Shepherdsons kannte.

      »Wohl mit den Hühnern aufgestanden«, sagte Johnny.

      »Ja«, meinte ich. »Mein Tagespensum ist bereits ge­schafft.«

      »Sauber.«

      Ich zündete mir eine Zigarette an.

      »Sind deine Brüder da?«

      »Nein«, erwiderte er.

      Ich sagte nichts.

      »Was bedeutet, dass sie weg sind, oder?«, sagte er.

      Ich nickte.

      Dann packte ich ihn mit der rechten Hand vorn am Hemd und zog so kräftig, dass sein Kopf seitlich auf die Tischplatte knallte. Ich zielte mit der geballten Faust auf die andere Seite seines Kopfes wie jemand, der einen Brief abstempeln will. Im Verlaufe dessen stieß Johnnys Kopf den Krug mit Bucks Fizz um. Nachdem ich Johnny ein weiteres Mal getroffen hatte, riss ich ihn hoch und drückte ihn nach hinten in die roten Lederpolster. Ich sah ihn eine ganze Weile an, bis er überzeugt davon war, dass ein Gegenschlag keine gute Sache wäre. Dann ließ ich von ihm ab.

      Zwei drittklassige Schwergewichte setzten an, in unsere Richtung zu stürmen, doch Johnny warf ihnen einen Blick zu, der sie zur Umkehr bewog. Eigentlich hätten sie sich gar nicht erst in Bewegung zu setzen brau­chen.

      »Nun«, erklärte ich ihm, »da deine Brüder weg sind und nicht hier, möchte ich, dass du ihnen Folgendes ausrichtest: Wie selbst sie schon vermutet haben dürften, weilen Arthur Philips, Wally Carpenter und Michael Butcher nicht mehr unter uns. Sag deinen Brüdern nur, dass sie, und das betrifft auch dich, allein deshalb zwischen den mehr oder weniger Lebenden umherwandern können, weil ich derzeit nicht die Absicht habe, Neunzehnhundertdreiundsiebzig wiederzubeleben. Was na­türlich nicht heißen soll, dass ich nicht gewinnen wür­de. Aber wenn alles von vorn beginnt, könnte Farlow ohne jeden Zweifel mit hineingezogen und sogar zu Fall gebracht werden und er würde nicht lange überlegen, was er zu erzählen hätte, nicht wahr? Und dann würde niemand gewinnen, oder? Würde jemand gewinnen, Johnny? Hä?«

      Johnny sagte nichts.

      »Nein«, sagte ich zu ihm.

      Ich nahm einen Schluck aus meinem Glas. Bucks Fizz tropfte aus dem Krug und auf den Teppich.

      »Weißt du, was ich an dir und deinen großen Brüdern wirklich has­se?«, fragte ich.

      Er reagierte nicht.

      »Ihr seid vulgär«, sagte ich zu ihm. »Ihr seid alle so verdammt vulgär. Das ist es, was ich am meisten an euch hasse.«

      Ich leerte mein Glas und stand auf.

      Dann packte ich den Henkel des tropfenden Kruges und stellte den Krug verkehrt herum auf den Tisch.

      »Für einen Jungen deines Alters«, sagte ich zu Johnny, »trinkst du viel zu viel von diesem Zeug.«

      Dann ließ ich ihn allein und ging über den dicken Teppich hinaus aus dem Klub.

      DIE SEE

      Mablethorpe ist eine Straße, die zu einer Promenade führt und zu einem Vergnügungspark. Der Ort wird durch einen Gasometer charakterisiert und in der Saison noch dazu durch ein Riesenrad. Hat man die Ortsgrenze passiert und fährt auf dieser Straße, kann man am Ende dieser flachen, geraden Strecke die Promenade und das Riesenrad sehen. Der Gasometer befindet sich rechts der Straße, fährt man in den Ort hinein. Das größ­te Ge­bäude hier ist ein neuer Supermarkt, errichtet, um im Sommer bei den sich selbst versorgenden Campern abzusahnen. Das ist Mablethorpe. Die Leute verbringen hier ihren Urlaub.

      Doch im Augenblick gleicht es eher einer Goldgräberstadt nach Aus­beutung der Goldader. Es gibt ein halbes Dutzend Pubs. Vier davon öffnen ihre Tore nicht im Win­ter. Sämtliche Souvenirläden, die Spielhallen, die Fisch­buden und Bingohallen sind zurzeit geschlossen. Könnte man sich hier einen Pier leisten, wäre der ebenfalls außer Betrieb. Anstelle eines Piers haben sie ein riesiges Abwasserrohr, das gut sichtbar zur See hinausragt, darum be­müht, sich hinter einem der Wellenbrecher zu verstecken. Ob es im Winter ebenfalls außer Betrieb ist, weiß ich nicht.

      Oh