Ted Lewis

Schwere Körperverletzung


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Er schneidet einem Tier die Kehle durch, zerlegt es und wäscht sich das Blut von der Haut, geht nach Hause und mit seiner Frau ins Bett und lässt sie vor Lust schreien. Der Mann, der den Wieder­aufbau Hiroshimas zu verantworten hatte, liebte und wurde geliebt, womit ich nicht zwingend den Piloten meine oder den Mann, der die Bom­benklappen öffnete. Wer auch immer die Bombe in den Räumlichkeiten des Abercorns zurückließ, er würde sein Kind trösten, wenn es mit einer Schürfwunde am Knie nach Haus käme. Jeder liebt. Jeder denkt über Angelegenheiten nach, denkt über sich nach. Und ich denke darüber nach, was dazu geführt hatte, dass es anstelle einer anderen ausgerechnet Jean hatte sein sollen. Und wie jeder andere auch könnte ich eine Liste mit Dingen zusammenstellen, die sich zu meiner Obsession addieren ließen und die, wie bei jedem anderen, nur eine Liste bliebe; die Endsumme widersetzt sich dem simplen Prozess der Addition.

      Der Ehemann hätte sich keinen besseren Zeitpunkt für seine Rückkehr aus Kalifornien aussuchen können. Nur wenige Tage, nachdem wir uns zum ersten Mal geliebt hatten. Eine Woche lang sah ich sie nicht. Ich wartete darauf, dass sie sich bei mir melden würde. Als sie es tat, schlug sie vor, gemeinsam zu Mittag zu essen; es sollte eine dieser Verabredungen werden.

      Wir trafen uns im Al Caninos. Aus irgendeinem Grund mochte sie dieses Restaurant.

      Sie erklärte mir, es werde sich nun alles einrenken. Was ich verstehen müsse, sei, dass er habe tun müssen, was er getan habe. Es sei falsch gewesen, und er habe es bereut, kaum dass er gegangen sei. Jetzt sei er zurück und bei seiner alten Firma gewesen. Die könnten noch immer Vertreter seines Kalibers gebrauchen. Es gebe keinen Grund mehr, die Scheidung voranzutreiben. Es werde keine Affären mehr geben, kein Wiederaufleben des Freiheitsdranges. Zu Hause sei jetzt dort, wo sein Herz sei.

      »Tja«, erwiderte ich, »was soll ich sagen? So ist der Lauf der Dinge. Da kann ich nichts machen. Außer dir all das zu wünschen, was du dir selbst wünschst.« Sie bedankte sich für mein Verständnis. Nur wenige Männer besäßen dieses Feingefühl, meinte sie.

      DER RAUCH

      Mickey suchte mich nicht vor zehn am Vormittag auf. Niemals. Nicht einmal in einer Situation wie dieser, wo er doch einen Erfolg zu vermelden hatte oder, besser gesagt, das Aufspüren von Wally Carpenter und Michael Butcher und das Entsorgen ihrer Leichen zusammen mit dem, was einst Arthur Philips gewesen war. Mickey hatte keine Veranlassung, mich mitten in der Nacht an­zurufen. So sehr vertraute ich ihm, und er wusste das. Alles eine Frage des Delegierens.

      Als Mickey eintraf, hatten sowohl Jean als auch ich bereits ein Bad genommen und gefrühstückt, und sie war hinüber ins Büro gegangen, um die wöchentliche Kontrolle verschiedener Umsätze vorzunehmen. Ich saß an dem schwedischen Schreibtisch mit der Glasplatte, das Fenster im Rücken, trank Kaffee und las im Express den Bericht über das Spiel zwischen den Queens Park Rangers und den Spurs. Es bestand kein großer Zweifel, die Spurs würden absteigen, aus welchem Blickwinkel man es auch betrachtete.

      Während des Frühstücks hatten Jean und ich nur we­nig miteinander gesprochen. Die Themen wurden eingeschränkt, um Toast und Kaffee den Vorzug geben zu können. Aber wir würden Zeit zum Reden haben, nachdem das Tagesgeschäft erledigt worden war.

      »Nun, Mickey?«, fragte ich.

      »Lief wie am Schnürchen«, sagte er und goss sich etwas Kaffee in die Tasse, die ich für ihn bereitgestellt hatte.

      Er nahm einen Schluck und setzte sich mir gegenüber, das Fenster im Blick.

      »Auch wenn es ein Glücksumstand für uns gewesen ist, dass alles so schnell ging«, sagte er.

      »Meint auch Collins«, sagte ich.

      »Die hatten überhaupt keinen Plan. Vorkehrungen sind für sie zweitrangig gewesen. Ist mir schlei­erhaft, wirk­lich.«

      »Wo haben sie gesteckt?«

      »In dem Bau, den Carpenter immer augenzwinkernd als sein ›Pied-à-terre‹ bezeichnet hat. In Brighton. Ich glaube wirklich, er hat sich vorgemacht, dass nur er da­von gewusst hat.«

      »Wie ist es abgelaufen?«, fragte ich interessehalber.

      »Ich hab ihn angerufen. Anonym, sozusagen als einer, der es gut mit ihm meint. Dann habe ich in Wallys Wa­gen gewartet. Sie kamen rausgeflogen wie Tontauben. Ich habe mich aufgesetzt und Wally gesagt, wohin er fahren soll. Danach bin ich zurück in die Stadt und habe die Leichen zu Arthurs Leiche gelegt. Nachdem das erledigt war, bin ich mit dem Wagen zu Cliff Wray gefahren.«

      Was bedeutete, dass der Wagen vom Nummernschild bis zur Karosserie überholt worden war und mittlerweile schön und glänzend auf dem Vorhof einer bestimmten Werkstatt in Ealing zum Verkauf stand. Ich beleidigte Mickey nicht und verzichtete auf die Frage, ob man die Leichen ebenfalls noch überholen könne.

      »Danke, Mickey.«

      Mickey machte nur eine verhaltene Geste mit der Hand, was sein Gravurarmband leise zum Klimpern brachte. Sofern man überhaupt nah genug herankam, um es zu entziffern, war da nur ein einziges Wort in das Metall eingraviert: KISMET. Und es stand dort nicht nur, weil der Film Mickey gefallen hatte.

      Er bemerkte die Rückseite des Express und drehte die Zeitung auf der Glasplatte herum, sodass er das Ergebnis des Spiels lesen konnte.

      »Mein Gott!«, sagte er.

      »Nun, was soll’s. War bereits in der letzten Saison ab­sehbar.«

      »Sie hätten Billy Nick niemals ziehen lassen dürfen. Er hat alles im Griff gehabt.«

      »Tja ...«

      Mickey studierte die Zeitung noch eine Weile, drehte sie anschließend so herum, dass das Gedruckte von meiner Position aus wieder lesbar war. Dann schien für kurze Zeit der Himmel jenseits des Fensters hinter mir seine Aufmerksamkeit zu beanspruchen.

      »Was ist?«, fragte ich.

      Er richtete seinen Blick auf die Schreibtischkante, fuhr mit dem Daumen daran entlang.

      »Ich hab nachgedacht«, sagte er.

      Ich wartete.

      »Vergangene Nacht«, sagte er. »Sie waren bisher nie dabei gewesen. Ich meine, nicht seit diesen paar Monaten im Anschluss an meinen Einstieg in die Firma.«

      Ich wartete weiter.

      »Und Mrs. Fowler. Ich weiß, wie Sie und Mrs. Fowler, Sie wissen schon, in vielen Dingen einen gemeinsamen Entschluss fällen.«

      Ich lächelte.

      »Kein Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, Mickey«, sagte ich. »Mittlerweile sollte es dir klar sein ... solche Dinge haben nichts mit uns zu tun. Ich meine, du bist ein Hauptaktionär. Was, wenn nicht das, sollte mein Vertrauen in dich unter Beweis stellen?«

      Mickey schniefte.

      »Nun, ich hätte es wirklich nicht ansprechen sollen«, sagte er.

      »Es bestand kein Anlass.«

      »Nein.«

      Mickey schniefte wieder, dann stand er auf.

      »Nun denn«, sagte er, »ich bin auf dem Weg zu Maurice Ford. Nur eine Kontrolle. Wollen Sie, dass ich ihm was ausrichte?«

      »Nichts, was mir jetzt einfiele. Im Falle unvorhergesehener Ereignisse liegt es natürlich bei dir, was du ihm sagst.«

      »Genau«, sagte Mickey. »Ich hau dann mal ab.«

      Er klopfte mit dem Knöchel einmal auf die Tischkante, ging um den abgesenkten Bereich herum, öffnete die Doppeltür und schloss sie hinter sich.

      Ich blickte auf die Zeitung vor mir. Die Fotos zeigten Stan Bowles, der die Faust in die Luft streckte, als er sich Sekunden nach dem entschei­denden Treffer vom Tor abwandte.

      Mickey war schon ein sehr cleverer Junge.

      DIE SEE

      Der Panzer will nicht heranrücken.

      Ich ging nicht zur Beerdigung. Wie ich ihr später