Jack Holland

Misogynie


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schätzte.

      Ich kann dieser vorbehaltlosen Anerkennung gar nicht genug Bedeutung beimessen, insbesondere jetzt, da ich sie nicht mehr habe. Als ich las, was mein Vater über das geschrieben hatte, was Frauen über die Jahrhunderte hinweg auf allen Kontinenten zu erdulden hatten, wurde ich mir einer gewissen Ironie bewusst. Mir selbst blieben die Begleiterscheinungen des Frauenhasses erspart. Ich genoss das Privileg, zumindest zu Hause ein Leben ohne Fesseln dieser Art zu führen.

      Der zärtlichste Moment, der mir aus einem ganzen Leben voller liebevoller Erinnerungen im Gedächtnis geblieben ist, war unser Beisammensein, drei Tage bevor er starb. Wir saßen im Aufenthaltsraum eines Krankenhauses in Manhattan und gingen gemeinsam das Manuskript durch. Ich las laut vor, und er wollte wissen, ob ich irgendwelche Änderungsvorschläge habe. Ich fühlte mich geschmeichelt, dass er – der anerkannte Autor und erfahrene Journalist, der Erwachsene und Vater – mich – die Nachwuchsreporterin ohne jede Erfahrung, die junge Frau und Tochter – nach meiner Meinung fragte.

      Es war ein strahlender Augenblick, verklärt noch in der Erinnerung. Ich hatte das Gefühl, dass die stille Beschäftigung, in die wir vertieft waren, stärker war als die Krankheit. In dem sonnendurchfluteten Raum hoch über dem Hudson River konnten wir für kurze Zeit den Schmerz und die Angst vergessen, die auf dieser Krebsstation allgegenwärtig waren.

      Wir saßen noch nicht lange über das Manuskript gebeugt, als ich merkte, dass der Arzt meines Vaters, ein freundlicher, sanfter Mann, der kaum zwei Wochen zuvor meiner Mutter und mir mitgeteilt hatte, dass das Ende bevorstand, in der Tür stand und uns, sichtlich bewegt, ansah. Seinem Gesichtsausdruck entnahm ich, dass er Szenen wie diese nicht sehr oft beobachten konnte.

      Mein Vater erlebte seine Kindheit und Jugend in Nordirland in den Fünfzigern und den gesellschaftlich und politisch turbulenten Sechzigern des letzten Jahrhunderts. Von klein auf war er von patenten Frauen umgeben. Er wuchs hauptsächlich bei seiner Großmutter Kate Murphy Holland, einer echten Matriarchin aus der wild-verwegenen Landschaft von Down, auf, sowie bei seiner Tante »Cissy« Martha Holland, einer sehr schönen Frau, die nie verheiratet war und in einer der vielen Leinenwebereien in Belfast gearbeitet hatte. Die Familie seiner Mutter Elizabeth Rodgers Holland war so arm, dass das Mädchen nur unregelmäßig die Schule besuchen konnte. In seiner beruflichen Laufbahn war sie eine Quelle der Inspiration für ihn. Sein Ziel als Autor und Journalist war es, Menschen wie ihr, die im herkömmlichen Sinne ungebildet waren, aber einen klugen Kopf hatten, den Zugang zu komplexen Gedankenzusammenhängen zu öffnen.

      Die Erfahrungswelt der Frauen hat ihn immer beschäftigt. Als er sein erstes Sachbuch über den Nordirlandkonflikt schrieb, der zu dieser Zeit seinen blutigen Höhepunkt erreicht hatte, griff er unter anderem auf Briefe und mündliche Erzählungen seiner Mutter und seiner Tante zurück. Entstanden ist ein bewegendes Dokument, das Buch Too long a Sacrifice: Life and Death in Northern Ireland since 1969, das 1981 erschien. Sein erster Roman, The Prisoner’s Wife (1982), handelte von dem Leid, das Frauen erdulden, wenn Männer Kriege führen.

      Die wichtigste Frau im Leben meines Vaters war meine Mutter Mary Hudson, eine begnadete Sprachwissenschaftlerin und Lehrerin mit scharfem Verstand. Die beiden, die sich persönlich und beruflich auf wunderbare Weise ergänzten, führten eine erfüllte und glückliche 30-jährige Ehe. Als Kind und Jugendliche habe ich zahllose Gespräche bei Tisch erlebt, in denen es darum ging, wie dieser oder jener Aspekt eines Buches, an dem er gerade schrieb, herausgearbeitet werden könne. Bei allen seinen Büchern sorgte ihre redaktionelle Bearbeitung für den letzten Schliff.

      Der Hartnäckigkeit meiner Mutter ist es zu verdanken, dass dieses Buch überhaupt erscheinen konnte. Der US-amerikanische Verlag, mit dem mein Vater einen Vertrag abgeschlossen und während des Schreibens enge Verbindung gehalten hatte, erklärte das Manuskript nach seinem Tod unbegreiflicherweise für nicht veröffentlichbar. Meine Mutter wusste, dass das nicht stimmte, und sie setzte es sich in den Kopf, eine Heimat für das Buch zu finden, weil sie der Meinung war, dass die Geschichte, von der es handelt, erzählt werden muss. Und mit ihrer Unbeirrbarkeit schaffte sie es, dass das Buch mit seiner wichtigen und nachdenklich stimmenden Botschaft nun seine Leserschaft erreicht.

      Wir leben heute in einer einigermaßen aufgeklärten Zeit, in der Misogynie nicht nur als Ursache für Unterdrückung und Ungerechtigkeit, sondern auch als Hindernis für die menschliche Entwicklung und den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt erkannt worden ist. Dennoch werden Frauen für die gleiche Arbeit immer noch schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen, wird das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, das in den USA vor Jahrzehnten errungen wurde, wieder verwässert. Eine echte Gleichberechtigung ist noch in weiter Ferne, und in vielen Teilen der Welt, in denen die Geschlechterfrage durch Armut, Unwissenheit, Fundamentalismus und Krankheit überlagert ist, hat sich die Lage der Frauen in den letzten Jahrhunderten kaum verbessert.

      Natürlich war sich mein Vater darüber im Klaren, dass diese Probleme nicht durch ein Buch und auch nicht durch viele Bücher zu lösen sind. Aber dieses sein letztes Werk ist ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen die älteste Diskriminierung der Welt.

      Jenny Holland

      Einleitung

      Ihr rasierter Schädel –

      Ein schwarzes Stoppelfeld,

      die Augenbinde ein Dreckverband,

      die Schlinge ein Ring.

      SEAMUS HEANEY,

      »Bestrafung« aus Norden (1975)

      Am 22. Juni 2002 wurde in einer entlegenen Gegend der pakistanischen Provinz Punjab eine Frau namens Mukhtaran Mai vom Dorfältestenrat verurteilt, von mehreren Männern vergewaltigt zu werden, weil ihr Bruder angeblich strafbaren Umgang mit einer Frau gepflegt hatte, die einer höheren Kaste angehörte als er. Vier Männer zerrten sie in eine Hütte, ohne sich um ihre Bitten um Gnade zu scheren.

      »Sie haben mich eine Stunde lang vergewaltigt, bis ich mich kaum noch bewegen konnte«, berichtete sie Journalisten. Für die Verurteilung gab es Hunderte von Zeugen, aber niemand kam der Frau zu Hilfe.

      Am 2. Mai 2002 machte Lee Soon-ok aus Nordkorea vor dem Committee of International Relations des Repräsentantenhauses in Washington ihre Aussage über die Zustände im Frauengefängnis im nordkoreanischen Kaechon, dessen Insassen zu 80 Prozent Hausfrauen sind. Sie war zugegen gewesen, als drei Frauen ihre Kinder auf dem nackten Betonfußboden geboren hatten. »Es war schrecklich mit anzusehen, wie der Gefängnisarzt die schwangeren Frauen mit seinen Stiefeln in den Bauch trat. Sobald ein Baby geboren war, rief der Arzt: »Tötet das Kind auf der Stelle. Wie kommt eine inhaftierte Kriminelle dazu zu glauben, dass sie ein Kind haben kann?«

      Nigeria, 2002. Amina Lawal wurde zum Tod durch Steinigung verurteilt, weil sie nach ihrer Scheidung ein uneheliches Kind erwartete. Sie sollte bis zum Hals eingegraben werden, und die Leute sollten so lange mit Steinen nach ihr werfen, bis ihr Schädel zertrümmert war.

      Fayetteville, North Carolina. Im Sommer 2003 wurden am Militärstandort Fort Bragg innerhalb von nur sechs Wochen vier Frauen von ihren Ehemännern ermordet. Einer der Männer hatte 50-mal auf die Frau eingestochen, die er einmal zu lieben behauptet hatte.

      Ostafrika. In einem Gebiet, das sich von Ägypten bis nach Somalia erstreckt, sind Schätzungen zufolge zwischen 80 und 100 Prozent der Frauen und Mädchen durch Klitorisbeschneidung verstümmelt. Einige dieser Frauen haben in den USA Asyl beantragt. Sie fordern für sich den gleichen Schutz wie Menschen, die in ihrer Heimat politischer Verfolgung ausgesetzt sind. Aber der Kampf, den diese Frauen austragen, ist viel älter als alle Schlachten, die je für Freiheits- oder Bürgerrechte geschlagen wurden.

      * * *

      Ich bin in Nordirland groß geworden, weitab vom Punjab, von Nordkorea und Ostafrika. Aber in einer Welt, in der das Wort »Fotze« die größte Verachtung ausdrückte, die ein Mensch einem anderen entgegenbringen kann. Wenn man jemanden wirklich widerlich fand, sagte »Fotze« alles.

      Das Wort war auf die Mauern von müllübersäten Gassen geschrieben und an die Wände öffentlicher Toiletten gekritzelt, die nach Urin