Konventionen. Die Entwicklung kulminierte im talibanregierten Afghanistan – einem Staat, der sich die Unterdrückung der Frau zum obersten Ziel gemacht hatte. Hier wurden Frauen per Gesetz aus dem öffentlichen Leben verbannt und ihrer Grundrechte beraubt – ähnlich den deutschen Juden im Nationalsozialismus, die durch die Nürnberger Gesetze zu Menschen zweiter Klasse erklärt wurden. Selten – wenn überhaupt je zuvor – hat sich das Wesen der Misogynie – die Entmenschlichung der Hälfte der Menschheit – so unverhüllt offenbart.
Frauenhass trifft uns wie kein anderer Hass, weil er auf unser tiefstes Inneres zielt. Er ist da angesiedelt, wo sich innere und äußere Welt überschneiden. Die Geschichte der Misogynie mag sich mit deren äußeren Folgen befassen, aber gleichzeitig zwingt sie uns, darüber nachzudenken, warum sich in der komplexen Beziehung des Mannes zur Frau ein solcher Hass breitmachen konnte. Am Ende sollte dieses Nachdenken die Menschen zu der Erkenntnis führen, dass die Gleichheit der Geschlechter der Boden ist, auf dessen Grundlage der Frauenhass überwunden und der ältesten Diskriminierung der Welt ein Ende gesetzt werden kann.
1 Tertullian, »De cultu feminarum« (»Über den weiblichen Putz«, deutsche Übersetzung von Heinrich Kellner), I.1, in: Private und katechetische Schriften, Reihe 1, Band 7, München, Kösel 1912
2 Otto Weininger, Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung, Wien, Leipzig, Gustav Kiepenheuer Verlag und Wilhelm Braunmüller Verlag 1932, S. 373 f.
3 Rosalind Miles, Weltgeschichte der Frau, München, Piper 1993, S. 38 f.
4 Ebd., S. 40
1
Pandoras Töchter
Man kann den Zeitpunkt, an dem eine Diskriminierung beginnt, nur selten genau bestimmen. Aber wenn der Frauenhass einen Ursprung hat, dann irgendwann im 8. Jahrhundert v. Chr. irgendwo im östlichen Mittelmeerraum.
Um diese Zeit verbreiteten sich in Griechenland und Judäa Schöpfungsgeschichten von mythologischer Kraft, in denen vom Sündenfall des Menschen erzählt und die Schuld an allem daraus resultierenden Elend und Leiden den Frauen und ihrer Charakterschwäche angelastet wird. Beide Schöpfungsmythen sind fest im Weltbild der abendländischen Kulturen verankert, gespeist von ihren beiden einflussreichsten Quellen: In der jüdischen Tradition, wie sie in der Genesis erzählt (und zumindest in den Vereinigten Staaten von den meisten Menschen noch heute für wahr gehalten) wird5, ist Eva die Übeltäterin, bei den Griechen ist es Pandora.
Die Griechen sind die Gründungsväter unserer Geisteswelt. Ihre Vorstellung eines von Naturgesetzen bestimmten Universums, die der menschliche Geist erforschen und begreifen kann, ist das Fundament, das unserer Wissenschaft und Philosophie zugrunde liegt. Sie haben die erste Demokratie errichtet. Aber auch in der Geschichte des Frauenhasses nehmen sie eine herausragende Stellung als Wegbereiter eines negativen Frauenbildes ein, das sich bis in unsere Zeit gehalten hat und jede uns möglicherweise noch verbliebene Illusion, mit dem Aufstieg von Vernunft und Wissenschaft müsse zwangsläufig ein Niedergang von Vorurteilen und Hass einhergehen, zunichte macht.
Die erste schriftliche Überlieferung des Pandora-Mythos stammt von Hesiod, einem Bauern, der sich zum Dichter berufen fühlte und die Geschichte im 8. Jahrhundert v. Chr. in zwei epischen Dichtungen – Theogonie und Werke und Tage – aufschrieb. Seine als Bauer erworbenen Kenntnisse der Natur hinderten ihn nicht daran, in seinem Bericht von der Erschaffung der Menschheit einige grundlegende Tatsachen des Lebens zu ignorieren. Dem zufolge lebten die Männer nämlich, bevor die Frauen in Erscheinung traten, in seliger Selbstgenügsamkeit als Gefährten der Götter, »fern von Übeln, elender Mühsal und quälenden Leiden …«6. Wie in der biblischen Schöpfungsgeschichte ist die Frau nur ein nachträglicher Einfall. Aber in der griechischen Mythologie ist damit auch noch eine bösartige Absicht verbunden. Der Göttervater Zeus will die Männer bestrafen, indem er ihnen das Geheimnis des Feuers vorenthält, so dass sie das Fleisch roh essen müssen wie Tiere. Doch der Halbgott Prometheus, der die ersten Männer geschaffen hat, stiehlt das Feuer aus dem Himmel und bringt es auf die Erde. Wütend über diese Täuschung ersinnt Zeus eine beispiellose Gemeinheit in Form eines »Geschenks«: Er will den Männern »ein Übel geben, an dem jeder seine Herzensfreude haben und doch sein Unheil umarmen soll«: Pandora, das »Allgeschenk« – »weil alle Bewohner der olympischen Häuser ihr Gaben schenkten zum Leid der schaffenden Männer«7. Kalon Kakon, wie sie im Griechischen auch genannt wird, heißt »das schöne Übel«. Sie war so schön wie die Göttinnen selbst.
Von ihr kommt das schlimme Geschlecht und die Scharen der Weiber, ein großes Leid für die Menschen; sie wohnen bei den Männern, Gefährtinnen nicht in verderblicher Armut, sondern nur im Überfluss.8
Zeus weist die Götter an, Pandora einen »hündischen Sinn und verschlagene Art einzupflanzen«. Dann schickt er sie Epimetheus, dem jüngeren Bruder des Prometheus, als Geschenk. Der erliegt ihrem Zauber und nimmt sie zur Gemahlin. Pandora bringt ein großes versiegeltes Fass mit, das sie dem Willen der Götter nach niemals öffnen darf. Das Fass ist ein tönernes, bauchiges Gefäß, wie es als Vorratsbehälter für Wein und Olivenöl und in früherer Zeit auch als Sarg verwendet wurde.9 Pandora kann der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick hineinzuwerfen:
Das Weib aber hob mit den Händen den mächtigen Deckel vom Fass, ließ alles heraus und schuf der Menschheit leidvolle Schmerzen.10
Seither, so die griechische Mythologie, sind die Menschen dazu verdammt, sich zu plagen, zu altern, Krankheit und qualvollen Tod zu erleiden.
Mythen haben die Funktion, Fragen zu beantworten, wie wir sie als Kinder gestellt haben, etwa in der Art von: »Warum leuchten die Sterne?« oder: »Warum ist der Großvater gestorben?«. Sie dienen aber auch dazu, die bestehende – natürliche und soziale – Ordnung der Dinge zu rechtfertigen und prägen Traditionen, Überzeugungen und Rollen in der Gesellschaft. Einer der zentralen Glaubenssätze der griechischen und später auch der judaisch-christlichen Kultur besagte, dass der sterbliche Mann von den Göttern beziehungsweise von Gott nicht zusammen mit den Tieren, sondern in einem eigenen Schöpfungsakt geschaffen wurde. Dieser Glaube, der sich unter konservativen Christen beharrlich gehalten hat, ist auch der Grund, warum Darwins Evolutionstheorie bis heute auf so erbitterten Widerstand stößt. Der Besitz des Feuers galt als Beweis dafür, dass sich der Mann von den Tieren unterschied und dass er in der Artenhierarchie höher stand als diese. Aber dadurch, dass sich der Mann in den Besitz des Feuers brachte, trat er den Göttern zu nahe. Für diesen Hochmut nun wurde er mit der Frau bestraft, die ihn daran erinnern sollte, dass der sterbliche Mensch, gleichgültig was seine Herkunft und seine höheren Ziele sein mögen, genauso in die Welt eintritt wie das niedrigste Tier. Heute wird diese ursprünglich verächtliche Sicht von einigen ins Gegenteil verkehrt: Sie preisen gerade diese, wie sie es sehen, engere Verbindung der Frau zur Natur. Die Griechen jedoch sahen in der Natur eine Bedrohung ihres höheren Selbst, und die Frau war für sie die mächtigste (weil verführerischste) Verkörperung der Natur. Sie musste ihres Menschseins beraubt werden, obwohl sie den Fortbestand der Menschheit sicherte. Ihr gebührte Verachtung, weil sie die Lust entfachte, die uns in den Kreislauf von Geburt und Tod führt, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Die Griechen schoben nicht nur Pandora die Schuld für die Sterblichkeit des Menschen in die Schuhe, sie definierten darüber hinaus die Frau als die Antithese zur männlichen These, das »Andere«, das in festen Grenzen gehalten werden musste. Vor allem aber legten die Griechen das philosophisch-wissenschaftliche Fundament für eine dualistische Sicht der Wirklichkeit, in der Frauen auf ewig dazu verdammt waren, diese wandelbare und grundsätzlich verachtenswerte Welt zu repräsentieren. Das ist eines der Paradoxa, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen: dass einige der Werte, die uns am meisten bedeuten, in einer Gesellschaft geprägt wurden, in der Frauen erniedrigt, verunglimpft und geschmäht wurden. »Im Athen des Dunklen Zeitalters setzte sich eine auch dem heutigen Leser vertraute