selbst zur Sünde erklärt wurde – der Erbsünde. Die Frau wurde in der Gestalt der Jungfrau Maria auf den Sockel gehoben, aber gleichzeitig wurde ihr die Verantwortung für die Erbsünde zugeschoben, dafür, dass der Mensch aus dem paradiesischen Zustand der Gnade Gottes vertrieben und den Schrecken des irdischen Lebens anheimgegeben wurde.
Die Frage, wie es zu diesem zweifachen Prozess der Entmenschlichung – einmal nach oben und einmal nach unten – kommen konnte, führt weit hinter den Marienkult zurück. Sie bringt uns zur Geschichte des ältesten Vorurteils, das in der einen oder anderen Form alle Umwälzungen überlebt hat, in denen Reiche und Kulturen und deren Lebens- und Denkweisen sang- und klanglos untergingen. Das misogyne Vorurteil hat auch die philosophischen und wissenschaftlichen Revolutionen überstanden, die unseren Blick auf die Welt auf Dauer verändert haben. Soziale und politische Unruhen haben dazu geführt, dass sich das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern gewandelt hat, Demokratien haben Oligarchien und Alleinherrscher verdrängt, doch wie ein böser Geist, den man nicht austreiben kann, meldet sich die Misogynie zur Stelle, um unserem Ideal von der Gleichheit aller Menschen Hohn zu sprechen. Sie ist so aktuell wie die neueste Pornoseite im Internet und so alt wie die Zivilisation selbst.
Denn wir sind die Erben einer uralten Tradition, wurzelnd in den Ursprüngen der großen Kulturen der Vergangenheit, die unser Bewusstsein so nachhaltig geprägt und den Dualismus geschaffen haben, der hinter unserer Tendenz steht, der Hälfte unserer eigenen Spezies das Menschsein abzusprechen. »Der Dualismus in der Welt ist das Unbegreifliche«, schrieb Otto Weininger, der österreichische Denker und vielleicht letzte westliche Philosoph, der die Frauenfeindlichkeit philosophisch zu begründen suchte, »das Motiv des Sündenfalles, das Ur-Rätsel: der Grund und Sinn und Zweck des Absturzes vom ewigen Leben in ein vergängliches Dasein, des Zeitlosen in die irdische Zeitlichkeit, das nie enden wollende Geraten des gänzlich Schuldfreien in die Schuld.«2
Vielleicht hilft es uns, das »Rätsel« zu lösen, wenn wir seine Geschichte begreifen. Aber um seine Wurzeln erforschen zu können, müssen wir uns ansehen, was vorher gewesen sein könnte. Wenn Frauen über Jahrhunderte systematisch diskriminiert wurden, gibt es dann auch eine Geschichte der Frauen vor der Frauenfeindlichkeit?
Diese Frage bewegt die Gemüter vieler, meist feministischer Historikerinnen, wenn sie die Geschichte der Frauen jenseits der ausgetretenen Pfade der Wissenschaft, auf denen Frauen bis vor kurzem nur in ihrer Beziehung zu den Männern und ansonsten eher gar nicht in Erscheinung getreten sind, zu erforschen suchen.
Geschichte war – und ist – weitgehend die Geschichte von Männern und ihrer Einflussnahme auf die Welt in allen ihren komplexen Bereichen: Religion, Politik, Militär, Gesellschaft, Philosophie, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft. Nicht nur Feministinnen haben Geschichte in ihrem Wesen als Produkt einer patriarchalen Gesellschaft beschrieben, in der die Rolle und die Leistungen der Frauen heruntergespielt oder schlichtweg ignoriert werden. Innerhalb dieser Geschichte hat sich der Frauenhass zu verschiedenen Zeiten in verschiedenem Gewand offenbart. In den Augen mancher ist Geschichte nichts anderes als die Legende, die eine patriarchale Gesellschaft verbreiten will, und Misogynie ist die ihr zugrunde liegende Ideologie, ein Ideengebäude, mit dessen Hilfe die Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau erklärt werden soll.
Frustriert über diese historische Form des Tunnelblicks haben viele Feministinnen ihr Heil in der Vorgeschichte gesucht und eine ferne Vergangenheit mit matriarchalischer Gesellschaftsform konstruiert, in der Frauen durch ihre höhere soziale Stellung vor der Diskriminierung geschützt waren, die in späterer Zeit ihr Leben vergiften und das Frauenbild insgesamt aufs Negativste beeinflussen sollte.
Vom beginnenden 19. Jahrhundert an hat das matriarchalische Modell in dieser oder jener Form eine ungeheure Faszination auf Menschen unterschiedlichster Provenienz – von Friedrich Engels und Sigmund Freud bis zu den feministischen Vertreterinnen der New-Age-Bewegung Ende des 20. Jahrhunderts – ausgeübt. Es wurde von renommierten Wissenschaftlerinnen wie Marija Gimbutas propagiert und in Bestsellern wie Rosalind Miles’ Weltgeschichte der Frau einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Miles schreibt:
Denn am Anfang, als die Menschheit aus der Dunkelheit der Vorgeschichte aufbrach, war Gott eine Frau. Und was für eine! … Macht und Bedeutung der ersten weiblichen Gottheit sind eins der bestgehüteten Geheimnisse der Menschheitsgeschichte.3
Die Autorin entwirft eine Chronologie des Göttinnenkults, den sie in unmittelbarem Zusammenhang mit den matriarchalen Gesellschaften ansiedelt:
Wir sehen, dass der heilige Status der Weiblichkeit mindestens 25.000 Jahre lang währte. Einige Experten halten sogar einen Zeitraum von 40.000 oder 50.000 Jahren für möglich. Letztendlich gab es in diesem Abschnitt der Menschheitsgeschichte keine Phase, da die Frau nicht etwas Besonderes und Magisches darstellte.4
Schwierig wird es allerdings, wenn es darum geht, Beweise für die Existenz matriarchaler Gesellschaften zu finden. Und selbst wenn es solche Beweise gäbe, würde das an sich noch nichts an der Tatsache ändern, dass die Rolle der Frau in der Geschichte durch ihre Beziehung zum Mann definiert wird: Eine matriarchale Geschichtsdeutung setzt lediglich an die Stelle der untergeordneten eine dominante Stellung in der Gesellschaft. Aus der Zeit, in der das Matriarchat existiert haben soll, gibt es keine schriftlichen Überlieferungen. Immer wieder werden steinzeitliche Fundstücke wie die so genannten Venusstatuen, die in so weit auseinanderliegenden Gebieten wie Südfrankreich und Sibirien entdeckt wurden, als Beweis für die Verbreitung des Göttinnenkults im gesamten alteuropäischen Raum angeführt. Doch ganz so einfach ist die Deutung solcher Kunstwerke nicht. Für Vertreterinnen der Matriarchatstheorie belegen sie die Bewunderung und Verehrung, die Frauen in dieser Epoche entgegengebracht wurde. Andere interpretieren das Gegenteil in die Figuren hinein; ihre übertriebenen Proportionen, so argumentieren sie, legen nicht Verehrung und Bewunderung nahe, sondern wirken eher furchterregend. Aber selbst wenn bewiesen werden könnte, dass die Venusfiguren Ausdruck eines Göttinnenkults sind, hat die Geschichte doch gezeigt, dass Göttinnenverehrung nicht gleichbedeutend ist mit einer hohen gesellschaftlichen Stellung der Frau – gerade in der Zeit der mittelalterlichen Hexenverbrennungen erlebte die Marienanbetung eine ungeahnte Blüte.
Erst lange nach dem Ende der Altsteinzeit tauchte mit den Kelten eine vorklassische Kultur in Europa auf, die schriftliche Hinweise dafür lieferte, dass es eine matriarchalisch organisierte Gesellschaft gegeben haben könnte, bevor die Griechen und Römer der Geschichte ihren hegemonialen Stempel aufdrückten. Anhaltspunkte hierfür finden sich nicht nur in keltischen Mythen und Legenden, sondern auch in griechischen und römischen Schriften, in denen die empörenden Freiheiten kommentiert wurden, die Frauen in keltischen Kulturen genossen.
Sicher wäre es reizvoll, an die Existenz eines vergangenen Arkadien zu glauben, eines goldenen, aber verlorenen Zeitalters, in dem die Beziehung zwischen Frauen und Männern vollkommen harmonisch war; aber das ist illusionär. Bestenfalls könnte man – in Bezug auf die keltische Kultur zumindest – spekulieren, dass es einmal eine ausgewogenere Beziehung zwischen den Geschlechtern gegeben hat. In den folgenden Kapiteln wird gezeigt werden, dass diese Beziehung mit dem Aufstieg des griechischen und des römischen Reichs aus dem Gleichgewicht geriet, und wir werden den von Weininger benannten Dualismus unter die Lupe nehmen, den diese beiden Kulturen etablierten. In diesem Dualismus ist der Mann die These und die Frau die Antithese.
Im dualistischen Denken gibt es, anders als in der Dialektik, keine Synthese – der Konflikt zwischen den Geschlechtern ist auf ewig festgeschrieben. Frauen sahen sich mit einer Fülle philosophischer, wissenschaftlicher und juristischer Argumente konfrontiert, die dem Zweck dienten, ihre »naturgegebene Minderwertigkeit« gegenüber den Männern zu belegen und zu zementieren. Das Christentum fügte dem später noch sein theologisches Argument mit solchem Nachdruck hinzu, dass wir die Auswirkungen noch heute spüren.
Mit der Verbreitung der freiheitlichen Demokratie im Gefolge der Aufklärung nahm der lange Kampf um die politische und rechtliche Gleichstellung der Frauen seinen Anfang. Doch der institutionalisierte Frauenhass hat sich noch nie durch den Fortschritt aufhalten lassen. Als auf die politische und rechtliche Gleichstellung der Frauen in der westlichen Welt die sexuelle Revolution folgte, löste dies eine heftige Gegenreaktion fundamentalistischer Protestanten und konservativer