besitzen; wir halten Beischläferinnen zu unserer Bedienung und täglichen Pflege, die Hetären zum Genuss der Liebe«, soll Demosthenes, der bedeutendste Redner des antiken Athen, einmal gesagt haben. Diese Abgrenzung, die weibliche Tugend mit Asexualität gleichsetzt, wird bis heute dazu benutzt, Frauen zu entmenschlichen.
Angesichts der Vielzahl der Grenzen, die den Frauen gesetzt waren, verwundert es nicht, dass unter den Männern die Beschäftigung mit dem Thema Grenzüberschreitung durch Frauen fast obsessive Züge annahm. Symptomatisch für diese Obsession war die Faszination der Griechen für die Amazonen, dieses legendäre Volk von Frauen, das die männlichste aller Domänen, nämlich die organisierte Kriegsführung, für sich erobert hatte. Zum ersten Mal im 5. Jahrhundert bei Herodot (dem Vater der Geschichtsschreibung) erwähnt, tauchen die Amazonen in der griechischen Kunst und Literatur immer wieder auf, und das Thema hat sich bis heute gehalten. Der griechischen Überlieferung zufolge lebten die Amazonen an den Grenzen der Zivilisation und widmeten sich ausschließlich ihren kriegerischen Ambitionen. Männer ließen sie nur in ihre Nähe, wenn sie sich paaren wollten, von den Sprösslingen dieser Begegnungen zogen sie nur die weiblichen auf, die männlichen Kinder wurden ausgesetzt. Die Amazonenkultur ist das Spiegelbild des patriarchalen Athen. In der Amazone trifft die männliche Fantasie vom autarken Mann auf ihr alptraumhaftes Gegenteil, die autarke Frau.
Die Faszination der Männer für die kriegerische Amazone hat eine lange Geschichte; sie reicht von der Antike bis zur Comic-Heldin Wonder Woman und den Profi-Wrestlerinnen unserer Zeit. Was Amazonen und Wrestlerinnen verbindet, ist die Tatsache, dass ihr Kampf kein Kampf ist, sondern reine Fantasie. Die mit einer gewissen Lustangst einhergehende Faszination der Männer jedoch ist real und nahm bei den Athenern ein Ausmaß an, das an Besessenheit grenzte. Kämpfe zwischen Männern und Amazonen gehörten in der Antike zu den beliebtesten Frauenabbildungen überhaupt. Bis heute sind mehr als 800 entsprechende Kunstwerke erhalten, von denen bei weitem die meisten aus Athen stammen.25 Das Amazonenmotiv ziert so ziemlich alles vom Tempel bis zur Amphore und zum Trinkgefäß. Wohin sich ein Athener auch wenden mochte, unweigerlich fiel sein Blick auf eine Szene, in der ein Mann mit erhobenem Schwert oder Speer eine Frau an den Haaren vom Pferd zerrt, mit einem Dolch auf sie einsticht oder sie zu Tode knüppelt, wobei seine Speerspitze auf ihre entblößte Brust zeigt, während ihre kurze Tunika über die Schenkel hochgerutscht ist. Der heiligste Tempel von Athen, der Parthenon, wurde 437 v. Chr. zu Ehren von Athene, der Schutzgöttin der Stadt Athen, und zur Feier des Sieges der Griechen über die persischen Eindringlinge errichtet. Doch das Bild, das man als Schmuckwerk für Athenes Schild wählte, hatte keinerlei Bezug zu historischen Ereignissen. Es zeigt den sagenhaften Sieg des mythologischen Stadtgründers Theseus über ein einfallendes Amazonenheer. Die Beliebtheit solcher Szenen ist nicht nur damit zu erklären, dass sie das einzige Motiv boten, in dem Frauen nackt oder teilweise unbekleidet abgebildet werden konnten. (Ansonsten durfte den gesellschaftlichen Konventionen zufolge nur der männliche Körper entblößt dargestellt werden). Die Szene wiederholt sich mit pornografischer Hartnäckigkeit. Aber wie in der Pornografie kann die Wiederholung nicht über die drängenden Ängste hinwegtäuschen, die ihr zugrunde liegen.26
Die Ängste des Mannes vor der Frau, die ihr gesetzte Grenzen überschreitet, finden ihren nachhaltigsten und denkwürdigsten Ausdruck in den griechischen Dramen. Sämtliche erhaltenen Tragödien wurden innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne im 5. Jahrhundert von attischen Dichtern geschrieben. Es gibt nur ein einziges Stück aus dieser Zeit, nämlich Philoktetes von Sophokles, in dem keine Frau vorkommt. In den Titeln von mehr als der Hälfte aller Tragödien taucht der Name einer Frau oder eine andere weibliche Anspielung auf. Das Interesse der Dichter richtete sich auf Frauen und ihre ungeheuerlichen Taten.
Die Handlung der Tragödien basierte fast ausschließlich auf Homers großen Epen, ihre Charaktere waren seinen bronzezeitlichen Helden, Heldinnen und Schurken nachempfunden. Es war in etwa so, als wären heutige Dichter einer literarischen Konvention verpflichtet, die sie zwingt, Stoff und Personal all ihrer Romane auf der Artussage aufzubauen. Daher wurde immer wieder die Frage gestellt, wie viel wir aus diesen Dramen tatsächlich über das Leben und die Probleme real existierender Frauen jener Zeit erfahren können. Die Frage ist jedoch nicht, wie wirklichkeitsgetreu sie das Leben der damaligen Frauen wiedergeben, sondern ob das, was sie uns über die gesellschaftlichen Ängste in Bezug auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen verraten, ein realistisches Bild der Situation vermittelt. Und dass sie das tun, steht außer Zweifel.27
In Medea von Euripides ermordet die gleichnamige Heldin ihre Kinder, um sich an ihrem Mann, dem mythologischen Helden Jason, zu rächen, als dieser sie verlässt und eine andere Frau heiraten will. In Agamemnon von Aischylos nimmt sich Klytaimnestra einen Geliebten, als ihr Mann gen Troja in den Krieg zieht; nach seiner Heimkehr ermordet sie ihn und reißt die Staatsmacht an sich. In Sophokles’ Elektra überredet Agamemnons Tochter ihren sich sträubenden Bruder Orest, aus Rache für den Mord an ihrem Vater nunmehr ihre Mutter Klytaimnestra zu töten. Antigone erzählt die Geschichte einer Frau, die entgegen dem Verbot ihres Onkels Kreon ihren Bruder bestattet und dafür zum Tod durch Einmauern verurteilt wird. In Euripides’ Tragödie Die Bakchen wird berichtet, wie die Anhängerinnen des orgiastischen Weingottes Dionysos in Amazonen verwandelt werden. Sie ziehen plündernd durch die Lande, zerstören alles, was ihnen in den Weg kommt, besiegen einen Trupp Soldaten im Kampf und zerreißen König Pentheus bei lebendigem Leib, als er sie heimlich bei einer ihrer angeblichen Orgien beobachten will.
In allen diesen Geschichten nimmt die Tragödie ihren Lauf, wenn sich Frauen gegen das patriarchalische System auflehnen und zeitweise die Fesseln sprengen, die dieses System ihnen auferlegt hat. Indem sie dies tun, berufen sie sich auf das Recht, das die »Natur« fordert. Nicht selten geschieht die Auflehnung im Namen der Familie, deren Belange über die Ansprüche des Staates gestellt werden. »So geh hinunter, wenn du lieben willst, und liebe dort! Mir herrscht kein Weib im Leben«28, ereifert sich Kreon, als Antigone verkündet, dass sie sich aus Liebe zu ihrem Bruder verpflichtet fühlt, diesen gegen das königliche Gesetz anständig zu begraben.
Sich auflehnend überschreiten die tragischen Heldinnen die Grenze zu einem gesellschaftlich nicht annehmbaren weiblichen Verhalten und nehmen dadurch maskuline, fast amazonenhafte Züge an. Als Antigone gegen das königliche Gesetz rebelliert, wird sie von ihrer Schwester Ismene ermahnt: »Dies auch denke, Weiber sind wir und dürfen so nicht gegen Männer streiten.«29
Die Botschaft ist ambivalent, wenn nicht gar widersprüchlich. Einerseits zeigt der Dichter Verständnis für die Frauen, die durch Leid und Unterdrückung zur Auflehnung getrieben wurden, andererseits unterstreicht er in der daraus resultierenden Gewalt und Barbarei das Bild von den Frauen als Naturereignis, als wilde und irrationale Geschöpfe, die eine Bedrohung der von Männern geordneten Welt sind. Am vehementesten wird dies in einem Werk zum Ausdruck gebracht, das geradezu beispielhaft ist für die Frauenfeindlichkeit damaliger Literatur, nämlich in Hippolytos von Euripides:
Fluch euch! Ich werde nimmer satt, die Weiber
Zu schmähn, ob man auch spöttelt, dass ich’s tu.
Denn immer sind von Grund aus schlecht auch sie.
Und wer sie nicht zur Keuschheit kann erziehn,
Gestatte mir, auch künftig sie zu schmähn.30
Auch wenn die Ungerechtigkeiten, unter denen die Frauen zu leiden haben, erkannt werden, bleibt doch die Notwendigkeit bestehen, die patriarchale Ordnung zu verteidigen, in deren Rahmen sie geschehen.
Die Sicht der Frau als »das Andere«, als Antithese des Mannes, spricht deutlich aus den griechischen Dramen. Dafür, dass sich dieser Dualismus der Geschlechter in der abendländischen Kultur so nachhaltig eingebürgert hat, tragen nicht zuletzt Platon und Aristoteles die Verantwortung, die ihn philosophisch und wissenschaftlich untermauert haben.
Platon (429–347 v. Chr.) wird von vielen als der bedeutendste und einflussreichste Philosoph aller Zeiten – von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit – angesehen. Seine Ideen über das Wesen der Welt haben sich überall dort, wo die abendländische Kultur und ihr kämpferischster Eroberungstrupp, das Christentum, Fuß fassen konnten, ausgebreitet und die intellektuelle und geistige Entwicklung in Erdteilen und Ländern beeinflusst, die zu Platons Zeit noch gar