Jack Holland

Misogynie


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wird Platon gelegentlich als erster Feminist gepriesen, weil er in seinem Hauptwerk, Politeia, die Utopie eines Staates entworfen hat, in dem die Frauen die gleiche Ausbildung und Erziehung genießen wie die Männer. Gleichzeitig markiert seine dualistische Sicht der Welt jedoch die Abkehr vom einfachen, veränderlichen Dasein, das seiner Argumentation nach eine Wunschvorstellung ist und vom klugen Mann mit Verachtung behandelt werden sollte. Zu diesem Dasein zählte er auch Ehe und Fortpflanzung, niedere Bereiche des Lebens, die er mit den Frauen assoziierte. Er selbst war nie verheiratet und stellte die »reine« Liebe zwischen Männern über die Liebe zwischen Mann und Frau, die er näher zur animalischen Lust rückte. Platon hat diese Form des Dualismus – der dem Mann geistige Ziele und der Frau die fleischliche Lust zuordnet – nicht erfunden, aber er hat ihm eine philosophische Schlagkraft verliehen, die ihresgleichen sucht.31

      Bei Platon geht die Gleichberechtigung der Frauen auf Kosten ihrer geschlechtlichen Identität. Sie sind sozusagen zu Männern ehrenhalber geworden. Der einzige biologische Unterschied, der ihnen zugestanden wird, ist die Vermehrung. (Ein paar Jahrtausende später wird in radikalfeministischen Kreisen die gleiche These aufgestellt werden – dass nämlich Männer und Frauen sich nur in ihren Geschlechtsteilen unterscheiden und alles andere anerzogen sei.) Die weiblichen Wächter dürfen Kinder gebären, aber keine Bindung zu ihnen entwickeln. Die »Mutterrolle« übernimmt der Staat. Kontrolle über die Sexualität ist der Schlüssel zur Herrschaft des Staates über seine Bürger. Sie wird zu einem politischen Instrument. Indem sie alle familiären Bindungen, insbesondere die zwischen Mutter und Kind, negiert, richtet sich Platons Utopie gegen den Gedanken der Individualität an sich. Und das hat sie mit allen totalitären Ideologien gemein, in denen der Individualismus ausgelöscht wird, damit sichergestellt ist, dass die Bedürfnisse des Staates uneingeschränkte Priorität genießen.

      Die Verteufelung weltlicher Vergnügen gehört zu den Aspekten in Platons Utopie, die man in totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts wiederentdecken kann. Wenn Platon Sex als Mittel zu dem alleinigen Zweck propagiert, eine »Elite zu züchten«, nimmt er die nationalsozialistische Vision einer Herrenrasse vorweg. Die Geschlechtslosigkeit der weiblichen Wächter findet ihr Echo im kommunistischen China, wo Männer und Frauen in ihren Mao-Anzügen nicht mehr zu unterscheiden waren. In Afghanistan verboten die Taliban in ihrem fanatischen Eifer, einen islamischen Gottesstaat zu errichten, nahezu jede Form von Dichtung und Musik, und es galt sogar als subversiv, einen Frisörsalon zu eröffnen. In allen totalitären Staaten seit Platon war der Gebrauch von Make-up für Frauen verpönt.

      Für Platon kann »das Andere« in verschiedener Form auftreten. Es kann beispielsweise auch nach Volkszugehörigkeiten definiert werden. Sokrates bezeichnet die Barbaren als die »natürlichen Feinde« der Griechen, so wie Frauen die »natürlichen Feinde« der Männer sind. Die Spaltung der Welt in widerstreitende Prinzipien macht es uns leicht, exklusive Kategorien zur Zuordnung von Menschen zu schaffen. Es ist kein Zufall, dass Misogynie und Rassismus oft im gleichen gesellschaftlichen Umfeld gedeihen.

      Platons Dualismus findet seinen entschiedensten philosophischen Ausdruck in der Theorie der Formen, die den Wächtern als zentrale Weisheit und Kernpunkt ihrer Ausbildung vermittelt werden soll. Wer sie nicht begreift, kann die wahre nicht von der falschen Wirklichkeit unterscheiden. Und die wahre Wirklichkeit ist in Platons Augen nur mit dem Verstand fassbar.

      Zur Theorie der Formen heißt es in Politeia: