auf die heile Welt der Männer mit einem tragfähigen philosophischen Fundament, und sie liefert den gedanklichen Nährboden für das christliche Dogma der Erbsünde, dem zufolge der Mensch durch den bloßen Akt der Empfängnis von der Vollkommenheit Gottes abfällt und in den Abgrund der Äußerlichkeiten, des Leidens und der Sterblichkeit gestoßen wird. Mit dem Sündenfall geht der von der Frau verführte Mann zwangsläufig auch des vollkommen Guten verlustig. Diese dualistische Sicht der Wirklichkeit diskriminiert die Welt der Sinne und stellt sie in einen ewigen Widerstreit mit der höchsten Erkenntnis: der Erkenntnis Gottes. Sie hat das Bild christlicher Denker nachhaltig geprägt, für die Frauen im wörtlichen wie im übertragenen Sinne das verkörpern, was unbeständig, veränderlich und verachtenswert ist.
Schuf Platon mit seiner Theorie der Formen die philosophische Grundlage für den Frauenhass, so lieferte sein Schüler Aristoteles (384–322 v. Chr.) die wissenschaftliche Rechtfertigung dafür. Auch wenn uns viele der wissenschaftlichen Theorien des Aristoteles heute lächerlich erscheinen, dürfen wir nicht vergessen, dass sie die abendländische Sicht der Welt fast zwei Jahrtausende lang geprägt haben. Erst die wissenschaftliche Revolution im 17. Jahrhundert setzte dem Einfluss seiner Ideen ein Ende. »Vom frühen 17. Jahrhundert an ging nahezu jeder ernstzunehmenden intellektuellen Errungenschaft der Angriff gegen einen aristotelischen Lehrsatz voraus«39, schreibt Bertrand Russell.
Aristoteles ist als einer der erbittertsten Frauenhasser aller Zeiten in die Geschichte eingegangen. Seine Sicht auf Frauen begründet er sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Auch wenn er vielleicht ein genauer Beobachter der Natur war – Charles Darwin äußerte sich beeindruckt über seine Beschreibung verschiedener Tierarten –, versagte seine Beobachtungsgabe beim Blick auf die Frauen offensichtlich. Als Zeichen ihrer Minderwertigkeit führte er unter anderem ins Feld, dass sie keine Glatze bekommen, was er als eindeutigen Beweis für ihr kindliches Wesen deutete. Er behauptete außerdem, Frauen hätten weniger Zähne als Männer, was Bertrand Russell zu der Bemerkung veranlasst haben soll: »Dieser Fehler wäre Aristoteles nicht unterlaufen, wenn er seiner Frau ab und zu erlaubt hätte, den Mund aufzumachen.«40
Aristoteles hat den Zweck als fundamentale Größe der Naturwissenschaften eingeführt. Seiner These zufolge ist es der Zweck der Dinge, einschließlich aller lebendigen Dinge, das zu werden, was sie sind. Aristoteles, der noch nichts von Genetik und Evolution wusste, sah den Zweck als Verwirklichung des Potenzials eines jeden Dinges, es selbst zu sein. In gewissem Sinne ist dies die materialistische Variante von Platons Theorie der Formen: Es gibt den einen idealen Fisch, und alle tatsächlich existierenden Fische sind Verwirklichungen dieses einen. Das Ideal ist ihr Zweck.
Auf Menschen, insbesondere auf Frauen übertragen, hat ein solches Konzept unangenehme, aber vorhersagbare Folgen; es wird nicht als Erklärung der Ungleichheit, sondern als deren Rechtfertigung herangezogen. Über die Entstehung der Tiere von Aristoteles ist eines der übelsten Beispiele hierfür. In diesem Werk erklärt der Autor den nach seiner Ansicht unterschiedlichen Zweck von Mann und Frau: »Das Männliche ist dem Weiblichen von Natur aus überlegen; das eine herrscht, das andere wird beherrscht; dieses Prinzip gilt zwangsläufig auch für das gesamte Menschengeschlecht.«41 Daher muss Aristoteles zufolge der männliche Samen Träger der Seele oder des Geistes sein und alle Anlagen des fertigen Menschen in sich vereinen. Die Frau, die den männlichen Samen empfängt, liefert lediglich den Stoff, die nährende Substanz. Das Männliche ist das aktive Prinzip, das Bewegende, die Frau ist das passive Prinzip, das Bewegte. Das Kind kann seine Anlagen nur dann vollständig entwickeln, wenn es männlich ist; herrscht durch einen übermäßig starken Menstruationsfluss im Leib die »kalte Konstitution« des Weiblichen vor, so erreicht das Kind nicht sein volles menschliches Potenzial, es wird, mit anderen Worten, ein Mädchen. Aristoteles’ abenteuerliche Ausführungen gipfeln in der Behauptung, die Frau sei nichts weiter als ein misslungener, verstümmelter Mann.
Vieles von dem, was Aristoteles über das Wesen der Frauen sagt, steht im Zusammenhang mit seinen Theorien zum Sklaventum. Sklaven sind, so meint er, von der Natur dazu bestimmt, das zu sein, was sie sind – genau wie die Frauen. Nur fehle es ihnen an der Urteilskraft, die den Frauen immerhin gegeben, wenn auch mit keinerlei Befugnissen verbunden sei. Für Aristoteles ist Gehorsam die natürliche Haltung der Frau, sie erfüllt damit den Zweck ihres Daseins. Und schließlich war Sklaven und Frauen noch eines gemein: Die Minderwertigkeit gegenüber dem Herrn – dem Sklavenhalter im einen, dem Ehemann im anderen Fall – war ewig und unveränderlich.
Die Verunglimpfung der Frauen als verstümmelte Männer brachte Gepflogenheiten mit sich, die in den Nächten, wenn das Schreien von Neugeborenen die Stille zerriss, nicht zu überhören waren. »Wenn du mit einem Sohn schwanger gehen solltest, wenn das Kind ein Knabe ist, lass es sein, ist es aber ein Mädchen, wirf es fort«, heißt es in einem Brief, den ein Mann namens Hilarion im Jahr eins v. Chr. an seine Frau Alis schrieb. Der Brauch, ungewollte Neugeborene auf Müllplätzen auszusetzen, hielt sich, bis sich das Christentum im Römischen Reich als wichtigste Religion durchsetzte.42 Die Mehrzahl der ausgesetzten Säuglinge waren missgebildete oder kranke Kinder oder eben »verstümmelte Knaben«, also Mädchen. Der Brauch war so verbreitet, dass sich die braven Bürger vom Schreien der ausgesetzten Kleinen vermutlich nicht in ihrer Nachtruhe stören ließen. Archäologen machten bei Grabungen die verblüffende Entdeckung, dass in den Grabstätten Athens aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. doppelt so viele Männer bestattet waren wie Frauen. Im Jahr 180 n. Chr. klagte der römische Geschichtsschreiber Cassius Dio darüber, dass es für die hochgestellten Männer des Reiches keine Frauen mehr zum Heiraten gebe. Frauen, schrieb ein anderer Gelehrter, werden »selektiv beseitigt«. In Verbindung mit einer hohen Sterblichkeit der Frauen im Kindbett oder bei Abtreibungen war daher gesichert, dass die männliche Bevölkerung zahlenmäßig bei weitem stärker war als die weibliche.43 Aber nicht alle ungewollten Töchter starben. Da jeder ausgesetzte Säugling automatisch Sklavenstatus hatte, sahen sich Bordellbesitzer regelmäßig auf den Müllplätzen um und nahmen die Mädchen mit, aus denen später Prostituierte wurden. Wir werden nie erfahren, wie viele Millionen Töchter der Pandora auf den Müllplätzen des griechischen und des römischen Reichs verhungerten und erfroren oder, wenn sie mehr »Glück« hatten, ein Dasein als Prostituierte erwartete.
Mit einem zahlenmäßigen Ungleichgewicht zugunsten der männlichen Bevölkerung ist oft ein niedrigerer gesellschaftlicher Status der Frauen verbunden. Heute finden wir eine solche Situation in Teilen Indiens und Chinas, wo die selektive Abtreibung weiblicher Feten dazu geführt hat, dass es weniger Frauen als Männer gibt, und Frauen einen entsprechend niedrigen Status genießen. Als »knappe Ware« werden sie auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter beschränkt.
Wenn Frauen dagegen den Männern zahlenmäßig überlegen sind, steigt ihr gesellschaftliches Ansehen.44 Dieses Phänomen ist in Sparta belegt, der Stadt, die siegreich aus dem Peloponnesischen Krieg hervorgegangen war und Platon als Vorbild für seinen Idealstaat diente. Sparta wich von der Normalität ab: Hier war Säuglingsmord zwar durchaus gebräuchlich, aber es wurde nicht zwischen Jungen und Mädchen unterschieden, sondern nur zwischen kranken und gesunden Kindern. Alle gesunden Nachkömmlinge wurden aufgezogen, und da Jungen bei der Geburt oft schwächlicher und anfälliger sind als Mädchen, wurden mehr männliche als weibliche Säuglinge ausgesetzt. Die Kriege, in die Sparta ständig verwickelt war, taten ihr Übriges, um die Sterblichkeitsrate unter den Männern drastisch hochzutreiben. Zudem heirateten spartanische Frauen relativ spät für die damalige Zeit. Dadurch standen ihre Chancen, eine Schwangerschaft zu überleben, um einiges besser. Weil von spartanischen Frauen erwartet wurde, dass sie als Mütter der künftigen Krieger in bester körperlicher Verfassung waren, sorgte sich der Staat um ihre Gesundheit. Sie trainierten – sehr zum Entsetzen, wahrscheinlich aber auch zum heimlichen Ergötzen des übrigen Griechenland – nackt wie die Männer, nahmen an sportlichen Wettkämpfen teil und waren im Allgemeinen kräftiger und gesünder als ihre Geschlechtsgenossinnen anderswo. Die Athenerin Lysistrata sagt in Aristophanes’ gleichnamiger Komödie zu einer Frau aus Sparta:
Wie hübsch du bist. Und wie gesund ihr seid,
Und Muskeln! – Du könnt’st einen Stier erwürgen!45
Darüber hinaus bestand ihre nicht eben züchtige Alltagskleidung aus einer kurzen, freizügigen Tunika, was Aristoteles