Rainer Maria Rilke

Ausgewählte Dramen, Dichtung, Erzählungen, Romane & Beiträge


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Einerlei über mich seine Nebel. Nur daß ich in helleren Zimmern saß, etwas mehr Fleisch genoß als zu Hause und daß ich Suppe mit Gewürzen aß, was der Vater nicht hatte mögen.

      Und die Hochschule kam. Manche Zeit war ich fleißig. Aber es trug mir kein besonderes Lob ein. Ich ließ die Arbeit im Stiche. Aber ich fiel nicht durch; nein, ich kam gerade recht in die monotone Beamtenbahn hinein.

      Ich mietete das Zimmer, das ich heute noch bewohne. Das echte Mietzimmer für ledige Herren mit Kleiderständer und eisernem, winzigem Waschtisch.«

      Ein Schauer rüttelte den jungen Mann. Er schloß eine Weile die Augen, und dann: »Es kam ein Tag, wo ich das erste Ereignis meines Lebens nahe wähnte. Ich glaubte ein Weib zu lieben. Mit einiger Erregung gestand ich ihrs. Sie war auf der Stelle mit sich einig. Wir verlobten uns.

      O hätte es nur einen Widerstand, einen Zwischenfall gegeben!

      Hätte sie sich geweigert und mich den herrlichen, süßen Kampf kämpfen lassen, als dessen Preis sie Leib und Seele setzen durfte. Aber nein, nein. Und ich malte mir in Gedanken aus, wie dann Alles doch nur glatt im alten, ausgefahrenen Gleise gehen würde. Ich bebte davor. Und als ich eines Nachmittags im Kaffeehause saß (ich sitze nämlich seit zehn Jahren täglich von vier bis sechs im Kaffeehause), da schrieb ich ihr ab. Mit paar Worten auf einer einfachen Karte, in ungelenken Sätzen, die schmutzig aus der abgenutzten Gasthausfeder herausflossen. Ich fühlte, daß es ja doch dies nicht sein könne, was man Liebe nennt. Denn ich war ja die ganze Zeit so ruhig gewesen. Nein, gewiß sie war mir ganz gleichgiltig. Aber mit boshafter, toller Freude stellte ich mir dafür vor, welchen Schrecken meine Zeilen hervorrufen würden. Welchen vielleicht unheilbaren Schmerz ich durch meine Absage in dies Frauenherz schleudern konnte …

      Sie würde voll der Vorwürfe zu mir kommen, mich zur Rechenschaft ziehen und ich, ich würde dann kalt und hochmütig sie von mir weisen aus Übermut, nur um endlich, endlich etwas zu erleben.

      Mit diesen Gedanken ging ich aus dem Kaffeehaus heimwärts. Auf meinem Tische lag ein Brief. Ihre Handschrift! Ich reiße ihn auf: Ihre Absage! Ebenso kalt, nüchtern und ruhig wie meine, die unterwegs sein mußte.«

      Und Herr Savant stützte den Kopf in die Hände und schwieg.

      Ganz schüchtern klapperten die Löffel. Der ›Samovar‹ war verstummt, als müßte auch er lauschen.

      Niemand hatte Lust ein Wort zu sagen.

      Nur der Major brummte etwas in seinen struppigen Bart.

      Der junge Freiherr fuhr mit der beringten, weißen Hand hin und her über seinen Kahlkopf. Er sah jetzt sehr dumm aus. Nach ein paar Sekunden hob der junge Mann wieder sein Haupt. Er musterte mit großem Auge die Runde und sagte dann träumend:

      »Also nichts; wieder nichts.

      Wieder trollten Tage, Wochen, Monate, Jahre vorbei. Eines dem anderen zum Verwechseln gleich.

      Täglich kam ich abends nachhause zur selben Stunde.

      Täglich wußte ich: der Schlüssel wird krachen, wenn ich ihn ins Schloß stecke, sich erst nicht drehen lassen und dann nach einer Sekunde mir leicht und willig die Tür öffnen, auf dem Schreibtisch werden ein oder zwei bedeutungslose Briefe harren, und die Schlafschuhe werden beim Lehnstuhl liegen, statt unterm Bette, wohin ich der Bedienerin sie zu legen befohlen hatte.

      Und täglich kams so.

      Einmal noch eine Unterbrechung. Mir ward ein Verhaftbefehl zugestellt. Ich war mir keines Vergehens bewußt. Aber alles jubelte in mir: ein Ereignis. Ich zog mich sorgfältiger denn sonst an, mich zu Gericht zu begeben in Begleitung des draußen harrenden Schutzmannes. Allein ich war noch nicht angekleidet, da trat ein Beamter bei mir ein, erzählte von einer Verwechslung und bat mich um Vergebung ob der Belästigung …

      Und dann wieder Jahre …

      Wie oft hab ich schon ein Verbrechen begehen wollen.

      Vergebung, gnädige Frau«, unterbrach sich Savant, als er bemerkte, wie erschrocken ihn Frau von S. anblickte. »Sie haben verlangt, daß ich erzähle, und ich will nichts verschweigen. Ja, ich war oft daran, ein Verbrechen zu begehen; denn ich will, ich muß mit aller Gewalt endlich ein Ereignis hereinzerren in mein graues, grausames Leben!« Sein Auge lohte, wie das eines verwundeten Wildes. »Den Nächsten erschlagen! So packt es mich oft auf der Straße. Aber dann fehlt mir das Mittel und die Kraft. Und ich stehe da, wie ein blöder Schulbube, der die Federn vergessen hat und schreiben soll …

      Oft auch geh ich aus mit dem Pistol in der Tasche. Aber dann begegnen mir nur Leute, auf die zu schießen mich ekelt. Kleine verschrumpfte Gestalten, die mit dem bißchen armseliger Daseinskraft am Leben haften, wie die Spinne an ihrem Faden. Und wieder markige Arbeiter, die das Recht des Lebens an ihren schwieligen Händen tragen und auf der dumpfen, rußigen Stirn.

      Wenn ich doch wenigstens wahnsinnig würde, das ist mein Gebet, wenn ich nachts schlaflos daliege.

      Und bisweilen, da ist mir auch: Jetzt kriecht es herauf. Schwül und schrecklich. Und jetzt kichert es mir im Schädel und lacht mich aus lacht… und ich lache mit, laut und gellend. Aber dann ist es doch nicht. Ich nehme ein Zeitungsblatt und lese zwei, drei Zeilen, und sehe, daß ich alles noch erfasse Wort für Wort, Satz für Satz. Nein, auch wahnsinnig darf ich nicht werden! Auch das nicht.«

      Savant kämpfte ein Weinen zurück.

      Alle saßen stumm da und blickten entsetzt auf den Sprecher. Nur der Major, der krebsrot war, hackte mit dem Sporn des linken Fußes leise gegen die Dielen.

      Das klang wie Totenwurmpochen.

      Ein Schauer ging durchs Zimmer.

      Keine Tasse regte sich.

      »Ich bin zu Ende«, raunte der Unglückliche jetzt matt und klanglos.

      »Ein anderer könnte glücklich sein in diesem glatten, farbenarmen Leben. Er könnte gut und viel essen, die gute Verdauung behalten und sehr dick werden.

      Mich aber, mich, der ich einen heißen, sehnenden Drang nach einem Ereignisse in mir trage, von Kindheit an, mich tötet es.

      Meine Wange glüht vor Sehnsucht, aber der Sturm des Lebens kommt nicht, der sie kühlen soll.«

       Inhaltsverzeichnis

      Tante Babette tat noch einen tiefen Atemzug. Die Morgensonne lugte wie ein übermütiges Enkelkind durch die schimmerweißen Tüllvorhänge, nahm den längsten Strahl und fuhr damit wie mit goldener Feder erst über die weiße Nachthaube, dann über die feuchte Stirne der alten Frau und zitterte und zuckte dann ohne Rast um Augen, Mund und Nase, bis die Tante obigen tiefen Atemzug tat und mit scheuen roten Augen ins Fenster staunte. Ah! sie reckte sich zu einem wohligen Gähnen. Bei aller Trägheit war etwas Entschiedenes und Abschließendes in diesem Gähnlaut; er war, wie der Gedankenstrich, den einer unter eine fertige gelungene Arbeit setzt. Ah.

      Sie schloß nochmals die Augen und lag mit einer Miene da, als hätte sie just einen Löffel süßen Kaffees verschluckt oder eine Bosheit ausgesprochen, die fein saß. Das Zimmer war ganz licht und ganz still. Immer mehr Strahlen warf die übermütige Sonne herein, und sie staken wie wurfzitternde Speere in den blanken Dielen und den glänzenden Empiretischchen, und irgend ein unsichtbarer Kobold warf hunderte zurück aus dem großen Wandspiegel, just der Sonne ins Gesicht.

      Wie ferne Schlachtmusik summte an den Scheiben eine Fliegenkapelle zu dem hellen Hin und Wider des heiteren Speerstreites, und das sachte Surren sickerte in den leisen, halben Schlummer der guten Tante, und die kühlen Wellen des Frühlingsschimmers spülten immer mehr Fältchen fort von den lächelnden Zügen. Und sie sah ordentlich jung aus, wie sie dann ziemlich energisch in den Kissen aufsaß und im Zimmer herumblickte. Alle Dinge hatten etwas Glänzendes, Neues, und sie freute sich daran. Zarter Hyazinthenduft wellte