Rainer Maria Rilke

Ausgewählte Dramen, Dichtung, Erzählungen, Romane & Beiträge


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Geschenk. M. stand eine Weile ratlos da. Bald aber erriet er den Sinn dieser Freudebezeugung. Ein leichter Schatten zog über seine Stirne. Schon wollte er sich dieser Zumutung erwehren; dann aber fiel ihm ein, daß er durch diese scheinbare Wankelmütigkeit sich und sein Haus schädigen könne, und mit sauer-süßem Lächeln nahm er den Kontrakt entgegen, auf welchem eine nicht unbedeutende Summe verzeichnet stand. So wuchs der Ruhm und Ruf M.‘s von Jahr zu Jahr. Seit man in ihm nun auch den Kunstfreund erkannt hatte, erzählte man bald von dem, bald von jenem einheimischen Talent, das durch M.‘s hochherzige Unterstützung gefördert worden sei.

      Nur ein Einzigmal hätte der ›Charakter‹ die Erwartungen der Leute fast betrogen. Man sprach heimlich von einem »freudigen Ereignisse«, das im Hause M. »bevorstehe«. Und neugierige Blicke folgten der jungen Frau, sobald sie sich auf der Straße zeigte. Der edle Kaufherr gab sich denn auch alle redliche Mühe, die Menge recht bald zufriedenzustellen. Allein diesmal ward ihm das Glück untreu. Mit unwilligem Staunen stellten die guten Bürgerinnen fest, daß die M. noch immer anschließende Jacken trage, und daß da nichts »los sein« könne. Dann tuschelten sie leise und doch vernehmlich genug, eine Franzensbader Kur könne nichts schaden. Und siehe da, als Herr M. auch diesmal wie hätte es anders sein können die öffentliche Meinung zu der seinigen gemacht hatte, hielt sein Weibchen ganz genau nur die vorgeschriebene Zeit ein, um an die Stelle der anschließenden Jacken einen Radmantel treten zu lassen. Der ›Charakter‹ war gerettet.

      Der Ruf des Ehrenmannes M. war bald über die Marken der Stadt gedrungen. Lang sprach man schon von einem Orden. Der bekannte Kaufherr tat jetzt auch die nötigen Schritte, und es ward ihm nicht zu schwer, in einigen Monaten mit vollem Knopfloch und leerem Gerede den ergebenen Gratulanten seinen innigen Dank zu sagen.

      Auf einer winterlichen Geschäftsreise zog sich M. eine heftige Verkühlung zu, die ihn aufs Krankenlager warf. Ein Lungendefekt, von dem sein Arzt schon vor zwanzig Jahren gefaselt hatte, machte sich jetzt geltend. Es wurde von Tag zu Tag schlimmer. Seine Frau besuchte ihn mit zurückhaltender Teilnahme. Der Kranke will Ruhe, pflegte sie zu sagen, wenn sie im gemütlichen Wohnzimmer neben den von Trost überfließenden Nachbarinnen saß.

      Eines Morgens wurde der Schwerkranke aus schwülen Fieberträumen durch lärmende Stimmen emporgerissen. Er fuhr auf, starrte irren Blicks umher und fragte mit matter Stimme die Barmherzige Schwester, was das solle. Und als diese schwieg und ihm Ruhe gebot, läutete er seinen alten Diener herbei und stellte ihm dieselbe Frage.

      Der hielt auch nicht hinterm Berge, kratzte sich den Kopf und polterte:

      »Mein Gott, das dumme Pack sagt alleweil, der Herr ist schon tot; denen solls der Teufel ausreden …« und er schlürfte wieder hinaus.

      Der Fiebernde schaute ihm groß nach.

      Dann legte er sich auf die linke Seite und schlief ein…

      Er war eben ein Charakter.

       Inhaltsverzeichnis

      Ein Augustmorgen ging goldsohlig an mir vorbei in den Wald.

      Ich lag da im krausen, glitzernden Moose und schaute ihm nach. Ich sah, wie er lichtgrüne Reflexe auf den silberweißen Kies schleuderte, als streute er Malachitkrystalle um sich her. Und ich vernahm seinen leisen, leichten Schritt, der die staunenden Blumen erweckte aus dem langen, lieblichen Schlummer.

      Ich streckte die Arme weit aus und (er)blickte jetzt nur die hohen Lärchenwedel, die sich leise wiegten her, hin her, hin, als sollten sie den blauen Himmel blank scheuern. Und er war doch so klar!

      Jetzt regneten mir silberne Pünktchen in die Augen, dicht, immer dichter, bis eine Fülle von Glanz auf ihnen wuchtete. Da schloß ich die Lider. Licht war in meiner Seele und ich atmete tief und ruhig das starke, würzige Waldarom …

      Und da knackten die Äste. Ich rührte mich nicht. Aber ich dachte dunkel und verschwommen:

      Ein Reh gewiß. Und ich stellte mir unwillkürlich das braune zartgelenkige Tier vor, wie es neugierig und zaghaft mit großem, schwarzem Auge aus grünem Blätterrahmen zu mir herüber staunt …

      Es knackte wieder.

      Aber das waren menschliche Schritte.

      Ich ward nüchtern. Mit jenem unwillkürlichen Schreck, den man empfindet, wenn ein Fremder uns in Träumen überrascht, richtete ich mich empor.

      Ich musterte die Runde.

      Nichts.

      Da doch. Hinter dem Buschwerk: Eine Gestalt. Ein Mann. Sein Gesicht sah ich nicht. Er trägt einen grauen Rock. Ein Jäger, denk ich. Ich will mich wieder zurücklehnen. Aber ich habe doch keine Ruhe.

      Lautlos, als hätte ich Angst, erhebe ich mich. Und da im Augenblick starrt mich ein Gesicht an, ein verzerrtes verhärmtes Gesicht, mit zwei unstäten, glimmenden Augen … Eine Hand hält er hoch. Und diese Hand mein Gott diese Hand preßt eine kleine Schußwaffe an den flachen Schlaf …

      Der Mann hat mich bemerkt. Schlaff fällt ihm der Arm herab.

      Ein kaltes höhnisches Lächeln umfurcht seine tief gezogenen Mundwinkel.

      Wir stehen einander stumm gegenüber. Sein Blick glimmt Zorn.

      Ich fasse Mut. Hart trete ich an ihn heran. Und ich sage nur ein Wort mühsam aus trockener, enger Kehle heraus:

      »Warum?«

      Und da lacht er. Ein Lachen, das den heiligen, blauen Morgen zerfetzt. Mich fröstelt. Er aber schweigt.

      So stehen wir beide regungslos. Hoch über uns rauschen die Wipfel.

      Und dann packt den Mann vor mir ein Schluchzen, das ihn rüttelt. Und er kniet hin und faltet die aderreichen Hände:

      »Ich kann nicht leben« stammelt er. »Ich kann nicht …«

      Ich lasse seinen Schmerz austoben.

      Er wird ruhiger. Das Pistol birgt er in der Tasche. Und er erzählt mir:

      Er hat ein Weib daheim. Er liebt dieses Weib. Und sie ist gut und sorglich.

      Aber es kommen Tage, da ihr Aug’ (sie hat blaue Augen) grün ist, ihre Wange bleich, und da ihre Lippe begehrlich sich wölbt, als schlürfe sie den süßen Duft eines trauten Geheimnisses.

      »Dann nennt sie mich beim Zunamen. Berger, sagt sie, und sie nennt mich sonst nie so. Dann weicht sie mir aus und schlägt die Lider nieder, wenn ich sie anschaue, dann ist sie vergeßlich, fremd, abwesend.

      Sie ist krank, dachte ich.

      Aber das geht immer vorüber.

      Und neulich war es wieder so. Ihr Aug’ war über mich weg in weite Ferne gerichtet, ihre Hand bebte …

      Als sie in ihr Zimmer gegangen war, schlich ich nach.

      Und durch eine Ritze sah ich, wie sie drinnen weinend auf den Knieen lag und welke Blumen küßte küßte mit einer Inbrunst, wie sie mich nie geküßt, auch in der Brautnacht nicht!

      Und seither weiß ichs. Sie hat jemand geliebt, vor mir geliebt. Sie liebt ihn noch!« Am ganzen Leibe bebend schrie er das in den Wald. »Und in diesen Tagen, da berauscht sie sich an dem heißen Duft ihres verwelkten Glückes. Und so betrügt sie mich. So wirft sie sich, die mir allein gehören soll, in die Arme eines Schattens …«

      Tonlos ging sein Wort aus. Und inniges Mitleiden beseelte mich. Ich schob meinen Arm unter den seinen: »Kommen Sie.« Und jetzt sprach ich ihm beruhigend zu.

      Er möge offen gegen sein Weib sein. Ihr sagen, was ihm Kränkung bereite; sie werde ihm gewiß mit Offenheit vergelten. Dergleichen mehr. Er wurde wirklich gefaßter.

      »Sehen Sie«, sagte ich, »das Mitgefühl mit Ihnen, Herr Berger, und