ist. Die Vorstellung, im buchstäblichen Sinn den Verstand zu verlieren, ist absolut beängstigend. Gott sei Dank kann ich denken und begreifen.
Ich muss überprüfen, ob ich noch klar denken kann.
Okay.
Ich heiße Victoria Arlen.
Ich bin die Tochter von Larry und Jacqueline Arlen.
Meine Brüder sind LJ, William und Cameron.
Meine Hobbys sind Schwimmen, Tanzen und Hockey.
Ich liebe meine flauschige Hündin, Jasmine.
Meine Lieblingsfarbe ist Pink.
Okay, machen wir es ein wenig schwerer:
Wie viel ist zwei plus zwei?
Vier.
Vier mal vier?
Sechzehn.
Du bist gut, Victoria.
Dein Verstand ist in Ordnung.
Danke, Gott.
Mein Verstand und mein Gedächtnis funktionieren. Offensichtlich kann ich klar denken. Ich bin immer noch da. Das rufe ich mir immer wieder ins Bewusstsein.
Aber wie bin ich hierhergekommen?
Mir fällt nichts ein. Ich erinnere mich an brutale Kopfschmerzen, und ich erinnere mich, dass ich in einen Krankenwagen geschoben werde. Danach wird alles schwarz. Ich lebe und kann denken. Aber ich kann mich nicht erinnern, wie ich hier gelandet bin, und auch nicht, warum ich mich nicht bewegen und nicht sprechen kann.
Ich bemühe mich ganz angestrengt, mich zu erinnern.
Denk nach, Victoria. Erinnere dich!
Als ich versuche, an die Zeit vor den Kopfschmerzen und den Krampfanfällen zu denken, kann ich mich nur daran erinnern, dass ich gesund bin. Ich war immer gesund. Wahrscheinlich war ich die gesündeste in der ganzen Familie, obwohl wir insgesamt eine relativ gesunde Familie sind. Ich hatte immer sehr viel Energie und war den ganzen Tag in Bewegung, bis mich meine Mutter abends ins Bett schickte. Ich war unglaublich abenteuerlustig und hatte eine blühende Fantasie. Besonders gern war ich mit meinen Brüdern unterwegs und habe jede Sportart betrieben, die mir meine Eltern erlaubten. Die Tage hatten nie genug Stunden, um alles zu machen, was ich mir vorgenommen hatte. Ich wollte schon damals die Welt verändern und etwas bewirken.
Wie konnte ich das alles verlieren?
Wie konnte es dazu kommen, dass das Mädchen, das früher alles tun konnte, nun nicht einmal mehr in der Lage ist, mit dem Finger zu wackeln?
Ich zwinge mich, weiter nachzudenken. Da ich keinen Muskel in meinem Körper betätigen kann, kann ich wenigstens das eine benutzen, was noch funktioniert: meinen Verstand. Ich erinnere mich an den Sommer vor der fünften Klasse. Damals war ich zehn. Meine Mutter ging mit mir zum Arzt, weil ich anscheinend einen Mückenstich im linken Ohr hatte. Der Arzt sah kein Problem, aber dann entzündete sich mein Ohr und ich schleppte diese Entzündung durch den ganzen Sommer. Die Ärzte meinten, es käme vom Schwimmen. Aber das war unlogisch. Ich bin vorher jahrelang geschwommen, ohne je irgendwelche Probleme mit den Ohren gehabt zu haben.
Ich erinnere mich, dass ich im Herbst Asthma bekam. Dann folgten mehrere Lungenentzündungen. Dazwischen hatte ich mehrmals Grippe oder grippale Infekte, wie der Arzt es nannte. Diese Erkrankungen waren oft von Ohnmachtsanfällen begleitet. Ich hatte eine oder zwei gute Wochen, aber dann wurde ich wieder krank.
Ich kam in der Schule und im Sportunterricht immer noch gut zurecht, aber irgendwie war es, wie meine Mutter es formulierte, „als hätten sich die Sterne verschoben“. Trotzdem machte sich niemand allzu große Sorgen, weil ich jedes Mal wieder gesund wurde und meinen normalen Alltag meisterte.
Aber ungefähr ein Jahr später, ganz genau ab dem 29. April 2006, kam ich nicht mehr auf die Beine.
2
Das ist alles Kopfsache
April bis Juli 2006
Au!
Es fühlt sich an, als würde ein Messer in meine rechte Seite gebohrt. Ich versuche, mich aufzusetzen, aber das löst brutale Schmerzen aus, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Ich schiebe mich langsam von meinem Bett hoch und schleppe mich die Treppe hinab. „Mama, irgendetwas stimmt nicht mit mir.“
Meine Mutter vermutet, dass es wieder ein grippaler Infekt ist, bringt mich zum Sofa und deckt mich zu. Es ist ein Sonntag. Am Tag zuvor sind wir von einem unvergesslichen Ausflug nach Disneyland zurückgekehrt. Ich freue mich darauf, wieder zur Schule zu gehen und meine Freunde zu treffen. Ich bin in der fünften Klasse und das Schuljahr ist fast zu Ende. Der erste Schultag nach den Ferien ist immer lustig.
Aber statt am nächsten Tag zur Schule zu gehen, lande ich in der Notaufnahme, werde gepiekt, am ganzen Körper untersucht und mit Fragen gelöchert. Die Nadeln machen mir Angst, und von dem „Saft“ (Kontrastmittel), den ich für das CT trinken muss, wird mir schlecht. In meiner Familie gab es schon häufiger Blinddarmentzündungen, und da die Schmerzen auf meiner rechten Seite sind, ist das die naheliegende Diagnose. Nach einer Nacht im Krankenhaus, in der meine Schmerzen nicht gelindert werden können, entscheiden die Ärzte, meinen Blinddarm zu entfernen. Meine Eltern und ich hoffen, dass dies die Lösung ist und wir am nächsten Tag einfach heimfahren und ganz normal weiterleben können.
Aber die Schmerzen lassen nicht nach – auch nicht, als die Operationsnarben verheilt sind. Ich lande wieder in der Notaufnahme, dieses Mal in einer sehr renommierten Kinderklinik – angeblich „die beste Kinderklinik der Welt“ – eine Stunde von uns entfernt. Auch hier wird ein CT gemacht und mein Blut wird untersucht, aber die Ärzte finden nichts und tippen auf nachoperative Schmerzen. Sie schicken uns bedenkenlos nach Hause.
Es tut immer noch weh.
Zwei Wochen vergehen, und die Schmerzen in meiner Seite werden immer schlimmer. Ich habe jetzt grippeähnliche Symptome und nehme in kurzer Zeit sehr stark ab. Ich kann essen, so viel ich will, ich verliere trotzdem Gewicht. Schlank war ich schon immer, aber jetzt bin ich viel zu dürr. Die Schmerzen sind mittlerweile so stark, dass ich kaum mehr etwas tun kann. Ich kann nicht schlafen und habe nicht einmal die Energie, vom Sofa aufzustehen. Das ist das absolute Gegenteil von der gesunden Victoria. Ich lag bisher NIE auf dem Sofa. Nun kann ich nicht mehr zur Schule gehen, Sport treiben oder mich mit meinen Freunden treffen. Ich bin eine Gefangene dieser Schmerzen, die langsam, aber sicher mein ganzes Leben beherrschen.
Die einzige „Hilfe“, die von den Ärzten kommt, ist die Empfehlung, andere Ärzte aufzusuchen, die mir starke Schmerzmittel verschreiben und mich dann auch wieder nach Hause schicken. Die Medikamente helfen nicht und die Nebenwirkungen machen alles nur noch schlimmer.
Mit den Schmerzen geht eine erschreckende Kraftlosigkeit einher. Vom Bett aufzustehen und die Treppe hinabzusteigen, wird immer anstrengender. Ich kann mich an die Tage erinnern, als ich die Treppe leichtfüßig hinab- und hinaufgesprungen bin; jetzt fühlt sich jeder Schritt an, als würde ich einen steilen Berg erklimmen. Der Kampf, mich auf den Beinen zu halten, kostet mich alle Kraft.
Nein. Nein. Nein.
Als ich denke, die Schmerzen in meiner Seite könnten nicht mehr schlimmer werden, fangen sie an, sich auszubreiten. Es beginnt in meinen Zehen und zieht langsam an meinem Bein nach oben. Mein rechter Fuß ist seit zwei Tagen wie betäubt. Ich versuche, normal zu gehen, aber ich ziehe ihn wie einen schweren Anker hinter mir her. Meine Mutter bringt mich zu unserem Hausarzt, der mich seit meiner Geburt kennt. Sie erklärt ihm, dass ich immer noch starke Schmerzen habe, auch nachdem mein Blinddarm entfernt wurde, dass ich viel Gewicht verloren habe und dass ich jetzt nicht mehr richtig gehen kann. Der Arzt nickt nur und sagt: „Ich kann mir das nicht erklären. Aber bedenken Sie: Victoria ist ein Drilling. Vielleicht will sie einfach mehr Aufmerksamkeit bekommen.“ Statt mich zu einem Neurologen zu überweisen, besteht er darauf, dass ich zu einem Psychiater gehen soll, damit „der Schalter in meinem Kopf wieder umgelegt wird“. Was kann die Tatsache, dass ich ein Drilling bin, mit meinen Schmerzen zu tun