überschüttete, griff Mark nach dem Tee, der neben dem Bett stand, um seiner Schwester ein wenig davon einzuflößen. Eigentlich schmeckte er nicht nach viel, doch für Lisa wurde er zum köstlichen Nektar, zum Wasser des Lebens schlechthin, als er ihre Kehle befeuchtete und auch ihre Lebensgeister zu wecken schien. »Mark …« Sie drückte seine Hand und lächelte schwach. »Wie geht es dir? Was hat Kai dir angetan, was …« Ein stechender Schmerz in der Brust ließ sie verstummen. Sie atmete flach, da wurde es ein wenig besser, aber nicht wirklich gut.
»Du solltest noch nicht so viel reden«, riet Mark ihr fürsorglich. »Zwei deiner Rippen waren gebrochen und mussten operativ gerichtet werden. Und deine Lunge war auch betroffen.«
Lisa schloss kurz die Augen und schaute ihren Bruder dann auffordernd an. Sie erinnerte sich daran, dass sie sich immer auch ohne Worte verstanden hatten. Und das funktionierte nach wie vor. Mark berichtete ihr, was geschehen war, von dem Überfall auf ihn, seinem Gedächtnisverlust und auch von dem, was nach Lisas Treppensturz geschehen war.
»Kai?«, fragte sie leise.
Ihr Bruder machte ein ernstes Gesicht. Er dachte daran, wie Amelie vor ein paar Tagen in sein Krankenzimmer gekommen war und ihm erzählt hatte, was seinem Schwager zugestoßen war. Zu diesem Zeitpunkt hatte Dr. Berger noch versucht, den Unternehmer zu reanimieren.
Doch Kai Wagners Verletzungen hatten sich als zu schwer erwiesen. Wie immer war er nicht angeschnallt gewesen, als der Unfall geschehen war …
»Dein Mann ist geflohen, als die Polizei ihn verhören wollte. Er hatte einen tödlichen Unfall.«
Auf diese Eröffnung schwieg Lisa erst einmal. Sie lauschte in sich hinein, wartete auf ein Gefühl, eine Reaktion. Doch da war nichts. Es ging ihr einfach noch zu schlecht. Und alles, was mit Kai zusammenhing, schob sie automatisch ganz weit weg. Später würde sie darüber nachdenken, sehr viel später …
Mark blieb noch bei ihr, bis die Visite kam.
Bevor er in sein eigenes Zimmer zurückkehrte, brachte er Torben zurück auf die Kinderstation. Er sollte noch ein paar Tage zur Beobachtung in der Behnisch-Klinik bleiben. Zumindest so lange, bis sein Onkel in der Lage war, sich um ihn zu kümmern.
Der junge Ingenieur war überrascht, Elfriede Kramer dort anzutreffen. Die Haushälterin begrüßte ihn freundlich und erklärte: »Ich wollte nach Torben schauen. Bis seine Mutter wieder gesund ist, hat er doch niemanden. Und ich wusste ja nicht, ob oder wann Sie sich kümmern können, Herr Hansen …«
»Das ist sehr nett von Ihnen, Frau Kramer. Wenn Sie etwas Zeit haben, würde ich Sie gerne auf eine Tasse Kaffee einladen. Es gibt im Erdgeschoss ein gemütliches Café.«
Elfriede Kramer war gleich einverstanden. Die Geschehnisse im Hause Wagner lagen wie Blei auf ihrer Seele, und sie sehnte sich danach, endlich mit jemandem darüber reden zu können. Mark war ein geduldiger Zuhörer. Das meiste wusste er von Lisa, aber er erfuhr auch noch Dinge, über die seine Schwester nicht hatte sprechen können und die ihn zutiefst erschütterten.
Als Frau Kramer ihren Bericht beendet hatte, war die zweite Tasse Kaffee bereits geleert. Der junge Ingenieur schwieg betroffen. Er hatte nicht einmal geahnt, durch welche Hölle Lisa in den vergangenen Monaten gegangen war.
»Herr Behrens, der Anwalt von Herrn Wagner, hat mich angerufen und gebeten, die Beerdigung zu arrangieren. Und er hat mich gefragt, an welchen Kollegen er sich wegen des Nachlasses wenden könne. Ihre Schwester ist ja die Alleinerbin.«
Daran hatte Mark noch nicht gedacht.
»Sie erbt ein großes Vermögen. Ich finde, das ist zumindest ein kleiner Trost, wenn man bedenkt, was sie gelitten hat«, warf die Haushälterin ein. »Hat Ihre Schwester einen Anwalt?«
Mark gab ihr den Namen und die Adresse seines Studienfreundes, denn ihm fiel sonst niemand ein. »Aber ich muss das erst mit Lisa besprechen. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob sie das Erbe annehmen wird.«
»Sie meinen … Aber das wäre ja töricht! Sie hat es verdient, das arme Kind. Herr Wagner ist ihr sehr viel mehr schuldig geblieben als Geld. Reden Sie ihr zu, sie soll nicht dumm sein!«
Mark lächelte ein wenig, denn die herzensgute Art von Elfriede Kramer rührte ihn. Doch so einfach, wie sie dachte, war dies alles ganz gewiss nicht. Seelische Wunden heilten eben sehr langsam, manchmal nie. Geld konnte dabei kaum helfen.
Nachdem Elfriede Kramer sich verabschiedet hatte, rief Mark Simon Berger an und bereitete ihn auf die Erbangelegenheit vor.
»Ich möchte, dass du Lisa vertrittst. Allerdings kann ich dir noch nicht sagen, ob sie das Erbe überhaupt annehmen wird. Das ist ein schwieriger Fall. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt.«
Der junge Anwalt hatte damit kein Problem. »Das kriegen wir schon hin. Soll ich nach München kommen?«
»In ein paar Tagen vielleicht. Ich kann Lisa jetzt noch nicht damit behelligen. Es geht ihr zu schlecht.«
»Dann spreche ich mich fürs Erste nur mit dem Kollegen ab.«
»Gut, ich melde mich wieder bei dir. Und, danke!«
»Keine Ursache. Grüß deine schöne Schwester von mir.«
Mark versprach es, dann wurde es Zeit für ihn, in sein Krankenzimmer zurückzukehren.
Dr. Gruber wartete bereits auf ihn.
»Sie haben mich wohl vermisst«, scherzte er.
»Allerdings. Und ich werde Sie bald noch mehr vermissen, fürchte ich.« Sie seufzte. »Sie sind geheilt, ich kann Sie jederzeit entlassen. Und das muss ich spätestens morgen auch tun, so leid mir das tut.«
Da nahm er ihre Hände in seine und lächelte ihr warm zu. »Das höre ich gern. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich schon bald eine Frage stellen werde, die für uns beide wichtig ist. Der Tod meines Schwagers und Lisas Zustand werden mich nun leider vorerst davon abhalten. Es wäre einfach unpassend, in einer solchen Situation einen Heiratsantrag zu machen. Aber ich komme darauf zurück, sobald alles geregelt ist. Versprochen.«
Amelie schaute ihn groß an. »Einen Heiratsantrag?«, wiederholte sie langsam. »Das ist …«
»Eine gute Idee, ich weiß. Und da ich morgen sowieso gehe, möchte ich meine Absicht auch wirklich deutlich machen.« Noch ehe sie ihn etwas fragen oder ihm etwas sagen konnte, verschloss er ihren weichen Mund mit einem langen, zarten Kuss. Und der sagte ihnen beiden mehr, als Worte das konnten, zumindest ihren Herzen. Denn die hatten sich schon lange gefunden.
Als Mark Amelie dann freigab, wollte er behutsam wissen: »Wirst du dir also schon mal ein paar Gedanken darüber machen, ob dir das Leben in Ulm behagen könnte? Rein theoretisch, meine ich. Denn der Antrag kommt ja erst noch …«
Sie lächelte weich. »Du hast gute Argumente, Mark. Ich denke darüber nach, versprochen.«
»Sehr schön. Und als kleine Erinnerung …«
Sie tauschten noch manch verliebten Kuss und manch verspielte Zärtlichkeit an diesem sonnigen und schon angenehm milden Frühlingstag. Und als Mark dann allein war, da malte er sich ein Leben mit Amelie bereits in den allerschönsten Farben aus. Er hatte sein Glück gefunden, daran konnte es für ihn nun keinen Zweifel mehr geben.
*
Lisas Zustand besserte sich langsam, aber nachhaltig. Mark besuchte seine Schwester täglich und brachte auch immer seinen kleinen Neffen mit in die Behnisch-Klinik.
Er hatte noch Urlaub genommen und sich in der Villa Wagner einquartiert. Was für Torben völlig normal war, fühlte sich für ihn sehr seltsam an.
Elfriede Kramer hatte sich bereit erklärt, bis zu Lisas Genesung den Haushalt weiter zu führen. So konnte Torben wieder zur Schule gehen und hatte zumindest ein klein wenig geregelten Alltag zurück.
Eine Woche nach dem Telefonat mit Mark Hansen kam Simon Berger für ein paar Tage nach München. Er hatte einen Termin mit Kai Wagners Anwalt, der auch sein Nachlassverwalter war. Danach traf er sich mit Mark. Zusammen fuhren sie dann