Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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in einem Ton und in einer Art, als fürchteten sie sich und hätten ein schlechtes Gewissen, denn einer sah immer den andern an, und keiner wollte zuerst reden. Wo sind denn unsere Landsleute? forschten die Spanier streng, warum ist es so still am Lande? wo sind sie denn hingegangen? haben sie euch keine Botschaft aufgetragen? hat uns der Kazik nichts von ihnen zu berichten? So mit Fragen in die Enge getrieben, erzählten sie endlich eine Geschichte, die sie offenbar sorgsam eingelernt hatten und deren Unwahrheit sie schon durch ihr geläufiges Plappern verrieten: Ein Stamm aus dem Süden sei auf der Insel gelandet, habe ihr Dorf überfallen und die spanischen Siedler angegriffen, wobei einige getötet worden seien, die andern befänden sich jedoch wohl, aber Guacamari habe bei der Verteidigung eine Wunde am Schenkel erhalten, die ihn zu seinem Leidwesen verhindere, dem Admiral die schuldige Ehre zu erweisen.

      Das alles war sehr verdächtig und beunruhigend. Wenn ein Teil der Spanier noch lebte, warum zeigten die sich nicht? Es war doch anzunehmen, daß sie die Rückkehr der Ihren kaum hatten erwarten können. Am nächsten Tag gingen zehn oder zwölf Matrosen und einige Edelleute an Land, und einer, der schon die erste Reise mitgemacht und das Terrain kannte, war der Führer. Sie fanden die ehemalige Wohnung Guacamaris in Asche liegen, auch die Hütten ringsum waren zerstört; unweit davon stießen sie auf das völlig zertrümmerte Blockhaus, das den Ansiedlern als Wohnung gedient hatte, und daneben auf das sogenannte Fort, dessen Palisaden ausgerissen waren, und um dessen verkohlte Reste menschliche Leichname lagen. Man suchte weiter und entdeckte unter Busch und Gras versteckt und nachher auch in den Hütten der Indios verschiedene Habseligkeiten der Erschlagenen, denn daran ließ sich nun nicht länger zweifeln, daß von den unglücklichen Kolonisten keiner mehr am Leben war, daß alle achtunddreißig umgebracht worden waren. Aufklärung über das Geschehene war aber nicht zu erlangen, die Indios beharrten steif und fest bei ihrem Märchen von dem Überfall des fremden Stammes. Endlich beschloß der Admiral, den angeblich verwundeten Guacamari aufzusuchen und zur Rede zu stellen. Unbegreiflich, daß er damit so lange wartete, warum eigentlich? Aber wir wissen es ja: was ihm unangenehm ist und ihn zu Entscheidungen zwingt, schiebt er stets auf die lange Bank; vor Unwiderruflichkeiten fürchtet er sich maßlos. Er nimmt den Wundarzt mit und außerdem den Doktor Chanca, der als Arzt auf dem Admiralschiff diente und dem wir einen ziemlich genauen Bericht über die zweite Reise verdanken, einen gewissenhaften und trockenen Bericht, der einen einigermaßen gebildeten Mann verrät. Sie gehen also hin, große Begrüßungszeremonie, der Kazik liegt bewegungslos da und verzieht nur manchmal das Gesicht ein wenig, als unterdrücke er heftige Schmerzen. Doktor Chanca nimmt ihm die Binde vom Schenkel, wie es der Admiral verlangt: nicht die Spur einer Verletzung. Es ist ja keine Wunde da, sagt der Arzt, du bist so gesund wie wir. Der Häuptling schüttelt mit enigmatischem Lächeln den Kopf, als ob ein Fremder das nicht verstehen könne, und die Medizinmänner stimmen ein klagendes Geheul an. Sonderbare Sache; Columbus weiß nicht, was er tun soll; daß da eine durchtriebene Komödie gespielt wird, liegt auf der Hand, aber die Konsequenzen wagt er nicht zu ziehen, es könnten noch andere Stämme im Einverständnis sein, und das ganze Land voller Feinde gegen sich zu haben will er vermeiden, vorläufig will er auch die geschehene Untat nicht wahrhaben; gäbe er sie zu, was würden alle diese Edelleute von ihm denken, denen er seit Wochen und Monaten von der Sanftmut und Unschuld der Wilden vorgeschwärmt hat? Sie würden ihn für einen Schwindler erklären oder sich über ihn lustig machen. So stellt er sich selber gläubig, billigt dem Kaziken ein geheimnisvolles Leiden zu, spricht unter vier Augen mit ihm, fragt, ob er nicht doch gehen könne, hilft ihm aufzustehen, reicht ihm den Arm, redet zart wie mit einem Sohn mit ihm und lädt ihn schließlich ein, mit ihm an Bord zu kommen. Er stellt also der Komödie eine Komödie entgegen, und die Absicht ist dabei, dem Kaziken etwas zu zeigen, was ihn warnen soll, man ist nicht so armselig dran wie bei der ersten Ankunft, man hat Machtmittel, von denen man damals keinen Begriff geben konnte. Schaustellung wird also sein, und das erste, was Columbus seinem Gast vorführt, sind die fünfzig Pferde, die die Spanier über den Ozean gebracht haben. Unermeßliches Erstaunen des Naturkindes; Guacamari zittert an allen Gliedern, und seine Stirn wird vor Schrecken feucht; solche Ungetüme hat er nie erblickt, dergleichen ist über seiner Welt, kein Traum hat es ihn ahnen lassen. Der Zweck ist erreicht; hat er, mit einem Gedanken nur, Böses geplant, dieser Anblick, der auf ihn und seine Leute dieselbe Wirkung übt als ob man uns Heutige plötzlich unter eine Herde Atlantosauren versetzte (mehr noch, denn wir wissen ja aus der Schule, daß es solche Ungeheuer einmal gab), dieser Anblick muß genügen, ihn zahm und friedfertig zu erhalten.

      Er speiste an demselben Tag mit dem Admiral, und es wird versichert, sein Benehmen sei so freundlich und unbefangen gewesen, daß Columbus den Verdacht nicht länger hegen konnte, als habe er teilgehabt an der Ermordung der achtunddreißig Kolonisten. Ein derartiges Maß von Verstellung sei unmöglich, habe er ausgerufen. Es ereignete sich aber in der folgenden Nacht, daß zehn indianische Weiber, die der Admiral von der Insel Cariba mitgenommen (in dem Bericht steht: mitgenommen, was ein mildernder Ausdruck ist für: geraubt), vom Schiffe flüchteten und, ohne daß es die Wachen bemerkten, ans Ufer schwammen. Es stellte sich heraus, daß ihnen Guacamari seinen Schutz gewährte, ja, daß er sie zur Flucht veranlaßt hatte, und als der Admiral einige Leute ans Land schickte, um sie von ihm zurückzufordern, hatte der Kazik mit sämtlichen Untertanen und all ihrer Habe das Dorf verlassen und war weit in das Innere der Insel gezogen. Bedurfte es noch eines klareren Schuldbeweises?

      Die Begebenheit, charakteristisch für das Wesen der Indios wie für die Ahnungslosigkeit der ersten Eroberer im Umgang mit ihnen, ist der Auftakt eines verhängnisvollen geschichtlichen Prozesses, der mit der blutigen Vernichtung einer ganzen Rasse endete.

      Von dem ersten Besuch bei Guacamari erzählt Doktor Chanca: »Wir fanden ihn in seiner Hängematte, die nach Landesbrauch im Freien aufgehängt war; sie bestand aus einem Gewebe von Baumwollgarn, gestrickt wie ein Netz. (Am Rande: das Wort Hängematte ist eine Verballhornung des indianischen ›Hanamac‹, so wie ›Orkan‹ vom indianischen ›Hourragan‹ abstammt.) Die Art und Weise der Ermordung unserer Landsleute betreffend, wiederholte er nur, was wir bereits wußten, und nachdem er seine Schilderung beendet, schenkte er dem Admiral acht und eine halbe Mark feinen Goldes, fünf-bis sechshundert bunte Steine und eine mit ebensolchen Steinen besetzte Mütze. Dann bezeigte er, fortwährend liegend, sein Beileid über den Tod der Christen und vergoß viele Tränen, er wie auch seine Diener und Anverwandten.«

      Beileid, Tränen, Schluchzen; genau wie seinerzeit beim Untergang der »Santa Maria«; abgefeimte Heuchler also, die gepriesenen »unschuldigen Wilden«? So mußten die Europäer denken, die Zeugen davon waren, so haben spätere gedacht, so würden auch heutige urteilen. Doch war da etwas anderes im Spiel, das mit abschätziger Moralbetrachtung nichts zu tun hat, nämlich der sogenannte Tränengruß, ein uralter indianischer Ritus, den meines Wissens Cabeça de Vaca in seinem aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammenden Reisebericht, sehr merkwürdigen Erlebnissen unter den Völkern Floridas und Texas’, zum erstenmal erwähnt, und der erst von einem deutschen Forscher unserer Tage als eine kultische Handlung erkannt worden ist.

      Columbus und seine Begleiter zogen natürlich nur die primitivsten Schlüsse. In hochmütiger Selbstbezüglichkeit maßen sie die fremde Welt, das tieffremde Leben an ihren engen Begriffen von Nutzziel und gewohntem Brauch. Konnten sie es dem nicht einfügen, so sahen sie Frechheit und Entartung darin. Gerechtes Abwägen fand sich selten, Gewährenlassen und Bemühung um Verständnis fast nie, ohne Sinn und Interesse für die innere Legitimität einer anders gearteten Daseinsverfassung war ihr einziges Bestreben deren Vergewaltigung: Christianisierung. Aber das wäre das Schlimmste noch nicht gewesen. Das Schlimmste war, daß sie diese Geschöpfe vom ersten Augenblick an als ihr Eigentum und ihre Beute betrachteten und mit ihnen verfuhren wie die Jäger mit herrenlosem Wild. Indem ich den Vergleich niederschreibe, zucke ich die Achseln über ihn, weil er zu schwach ist: Tiere behütet man gern vor dem radikalen Abschlachten, weil sie nützlich sind und man auf ihre Fortpflanzung rechnet; wozu aber sind Menschen nütze?

      Columbus, der sich viel darauf zugute tat, daß er in den Indios eine Art Idealvolk entdeckt hatte, von dem er anfangs glaubte, es sei bestimmt, verlorengegangene Tugenden wieder zu Ehren zu bringen, mußte bitter enttäuscht sein, als es unwiderleglich am Tage lag, daß diese selben, von ihm so verherrlichten Wesen des vielfachen tückischen Mordes anzuklagen waren. Und wenn er ihren Ruhm auch nur zu Propagandazwecken verkündet hatte, so war ihm das doch schwerlich