Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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der für einen einfachen Menschen ganz nahe lag, den zu erfassen es für ihn aber einer komplizierten Schlußfolgerung bedurfte, daß nämlich die Ermordeten nicht ganz schuldlos an dem Schicksal waren, das sie ereilt hatte. Großartige Entdeckung. Von dem Moment an, wo er die Dinge aus diesem Gesichtswinkel beurteilte, häuften sich auch die Indizien, und die Gerechtigkeit hätte gefordert, daß der wahre Sachverhalt offiziell bekanntgegeben wurde. Das zu tun hütete sich Columbus wohl; er zog es vor, darüber zu schweigen. Es war zu unangenehm, zu peinlich, wenn man vor der frommen spanischen Welt eingestand, was sich zwischen christlichen Herrenmenschen und unwissenden Heiden ereignet hatte; höchstens ein paar dürftige Andeutungen ließen es durchblicken. Eine politische Haltung, die von allen befolgt wurde, die mit Columbus kamen, und allen, die nach ihm kamen, ausgenommen den leidenschaftlichen Freund der Indios, den Priester Las Casas.

      Da es ein symptomatischer Vorgang ist, braucht es nicht viel Scharfsinn, um die Gründe zu erraten, die zur Tötung der achtunddreißig Kolonisten geführt haben. Alles ist so klar, als sähe man es in einem Spiegel. Ein Haufen Kerle, ohne Zucht, ohne Gefühl, ohne sozialen Halt; vom ersten Tag an treten sie als Fordernde auf, frech und beleidigend. Sie fordern Nahrung, sie wollen bedient sein, sie wollen es bequem haben, und wenn sie nicht blinden Gehorsam finden, wenden sie Gewalt an. Was sind denn diese Indios in ihren Augen? Tiere, gutmütige dumme Tiere, man kann sich alles gegen sie erlauben, schon deswegen, weil es keine Christen sind. Man kann sie kujonieren, denn sie lassen es sich gefallen. Sie verbeugen sich, sie lächeln, sie scheinen nichts übel zu nehmen. Man kann es sich sogar ersparen, ihnen gegenüber auf seine Herkunft, seine Religion, seine Bewaffnung zu pochen, in ihrer Kindergläubigkeit anerkennen sie diese Vorzüge demütig und unbedingt. Himmelssöhne sind fehlerlos. Nun, die Himmelssöhne wollen sich für ihre Position bezahlt machen. Man hat sie in einer fürchterlichen Ferne von der Heimat einem ungewissen Los überlassen; ungewiß ist die Rückkehr des Admirals, der Admiral selbst ein ungewisser Mann, so sollen ihnen die verachteten Wilden Entschädigung verschaffen für die Qual des Harrens und des Ausgesetztseins im unendlichen Ozean. Der Preis, mit dem sie bezahlt sein wollen, ist Gold. Wenn es ihnen auch sonst an jeglicher Phantasie für die Bewohner des Landes und seine natürlichen Bedingungen fehlt, im Hinblick auf die Möglichkeit, sich zu bereichern, sind ihre Vorstellungen maßlos. Dazu hat sie ihr Führer Columbus erzogen, das ist das einzige, worin sie ihm vertrauen, worin er ihnen Vorbild ist. Jede Geste; jeder Blick fordert Gold, jedes Wort, jede Handlung zielt darauf ab. Mit der Zeit macht sich daneben noch ein physischer Übelstand bemerkbar, und gerade der schwillt zur Katastrophe an und wird ihr Verderben. Sie sind ohne Frauen. Sie sind aber nicht gesonnen, wie heilige Mönche zu leben. Ebensowenig haben sie Lust, auf anständige Manier zu werben oder zu verhandeln, das hieße sich zu weit herablassen, sich zu viel vergeben; keine Rede davon, was man braucht, nimmt man einfach mit Gewalt und kümmert sich den Teufel um Einspruch und Klage, wozu soll man sie denn schonen, diese Wilden, sind sie doch nicht besser als das liebe Vieh, sie müssen einem noch dankbar sein, wenn man ihre hübschen Weiber für wert hält, eines Europäers und katholischen Christen Bett zu teilen, sei er auch drüben aus einem Bagno ausgebrochen. Was einzelner Übergriff war, heimliche Untat, wird allmählich Gewohnheitsverbrechen am hellichten Tag, und man hat gar keine Angst mehr, daß diese Indios, die trotz des ihnen zugefügten Schimpfs immer noch artig grüßen und freundlich antworten, sich ernstlich zur Wehr setzen könnten.

      Aber das Unerwartete geschieht. Das Maß ist voll. Guacamari und seine Leute verlieren die engelhafte Geduld, auf die die spanischen Strauchdiebe so unbedenklich sündigen, sie sind Tausende, jene ein paar Dutzend, der Ausgang des Kampfes ist nicht fraglich, wenn sie die fremden Störenfriede samt und sonders vertilgen, üben sie nicht Rache, nicht einmal Vergeltung, sie veranstalten nur ein verdientes Strafgericht.

      Das Wunderliche ist nur, daß sie es nicht offen verantworten. Aber es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß ihnen die Tat, die unter dem Zwang der Umstände einziger Rettungsweg wurde, dann, als sie geschehen war, doch als etwas ungeheuerlich Vermessenes erschien: Sie hatten Göttersöhne erschlagen. Bei aller ertragenen Unbill konnten sie keine Rechtfertigung dafür erdenken, keine Verzeihung erhoffen, und die Bangigkeit, mit der sie der Rückkehr der anderen Himmlischen entgegensahen, des Admirals mit seinen weißgeflügelten Sonnenschiffen, muß ihre Träume wie ihr Denken bis in den untersten Grund zerrüttet haben; dafür fehlt uns jedenfalls die Vorstellung und sogar die Ahnung.

      Kein zeitgenössischer Historiograph oder Chronist hat sich die Mühe genommen, diesen unheilvollen Beginn der Kolonisation Amerikas ehrlich und ungeschminkt darzustellen, alle sind mit ein paar nichtssagenden Phrasen darüber hinweggegangen, als ob es zu den zwar beklagenswerten, jedoch unvermeidlichen Übeln der Länderentdeckung gehöre, fremden Besitz für Freigut zu erklären, Männer und Jünglinge zu Sklaven zu machen, Weiber zu vergewaltigen, Jungfrauen zu schänden und was sich nicht gutwillig fügt, kalten Blutes niederzuknallen.

      Als Antonio de Ojeda und Diego de Nicuessa im Jahre 1509 vom König Ferdinand das Festland von Darien »geschenkt« bekamen, in das sie sich als Gouverneure zu teilen hatten, erließen sie an die Eingeborenen eine Proklamation, die von den berühmtesten spanischen Juristen und Theologen erdacht worden war und hernach bei allen Besitzergreifungen als rechtlich gültige Formel diente. Sie ist zu bezeichnend und aufschlußreich, um sie zu ignorieren, und wenn man überlegt, daß sie an Menschen gerichtet war, die die Sprache nicht verstanden, in der sie verkündet wurde, und daß man es auch nicht für nötig erachtete, sie in ihre Sprache zu übersetzen, so erhellt daraus klärlich, daß der Gewaltakt, maskiert durch einen Fetzen Papier mit scholastischen Deliberationen, in der Absicht lag. Von Rechtsform keine Rede, was so schien, war Hohn und Spott.

      Das Dokument beginnt weit ausholend mit der Erschaffung von Adam und Eva, von welchen beiden alle Menschen abstammen, und stellt die Behauptung auf, Gott habe einen Mann namens Sankt Peter zum Herrn und Chef des gesamten Menschengeschlechtes eingesetzt, weil sich die während fünftausend Jahren aufeinanderfolgenden Generationen in so viel Königreiche und Provinzen gespalten hätten, daß ein einziges Land sie hätte weder fassen noch ernähren und ohne eine höchste Gerichtsbarkeit kein Segen hätte entstehen können. Diesem Statthalter, wird den ahnungslosen Eingeborenen versichert, habe Gott die Macht verliehen, seine Herrschaft über alle Teile der Welt auszubreiten und zu regieren über Christen, Mauren, Juden und Heiden. Er führe den Namen Papst, das wolle heißen: wunderbarer großer Vater und Lehrer. »Der gegenwärtig regierende Papst«, ich zitiere nun wörtlich, »hat dieses ozeanische Land seiner katholischen Majestät Hernando anvertraut mit allem, was darin ist, wie ihr es ausdrücklich in gewissen Akten finden werdet, die man euch zeigt, wenn ihr danach verlangt. Seine Majestät ist demnach, kraft dieser Übertragung, König und Herr eures Landes. Ihr seid aus diesem Grunde zum Gehorsam gehalten und gezwungen, und ich bitte und befehle euch, daß ihr euch die nötige Zeit nehmt und reiflich überlegt, was ich euch soeben mitgeteilt habe, damit ihr die Kirche als Souveränin und Führerin des Universums anerkennt, ebenso wie den Sankt Peter, genannt Papst, in seiner rechten Macht und Seine Majestät als König, und daß ihr auch einwilligt, von den heiligen Vätern, die der Papst euch sendet, in unserem heiligen Glauben bekehrt und unterrichtet zu werden. Wenn ihr dem nachkommt, tut ihr wohl daran und erfüllt eure Pflicht. Dann werden Seine Majestät und wir euch mit Liebe und Güte empfangen, und wir lassen euch, eure Weiber und Kinder frei von Knechtschaft und im Besitz und Genuß eurer Habe. Wenn ihr euch aber weigert oder wenn ihr böswillig meinen Ermahnungen gegenübertretet, dann werde ich auf Befehl Gottes mit Gewalt über euch kommen und euch mit dem grausamsten Krieg überziehen. Ich werde euch unter das Joch der Kirche und des Königs beugen, eure Weiber und Kinder wegnehmen und darüber verfügen, wie es dem König beliebt. Außerdem nehme ich euer Eigentum weg und bereite euch alles Übel, was ich kann, wie rebellischen Untertanen, die sich weigern, ihrem legitimen Herrn Folgsamkeit zu erweisen. Ich erkläre im voraus, daß alles vergossene Blut und alles Unheil, das eurer Widersetzlichkeit entspringt, euch allein zur Last fällt und nicht Seiner Majestät noch mir noch denen, die mir dienen. Deshalb ist euch diese Deklaration und Requisition gemacht worden, und ich ersuche den gegenwärtigen Notar, mir die nötige Bestätigung hierüber auszustellen.«

      Es dürfte schwer halten, in den Annalen der Geschichte ein Schriftstück aufzutreiben, das eine so vollendete Vereinigung von abgründiger Verlogenheit und erpresserischer Offenherzigkeit darstellt. Wollte man ein Gleichnis dafür finden, so liefe man