Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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mitteilen, aber wir haben die Kenntnis ihrer Sprache nicht, und so schicke ich mit Senor de Torres eine Anzahl Männer, Frauen, Knaben und kleine Mädchen nach Spanien, die ihre Hoheiten solchen Personen anvertrauen mögen, die ihnen den besten Unterricht vermitteln und sie in allerlei Arbeit unterweisen können. Je nach ihrer Führung könnte man sie dann im Rang gegen die anderen Sklaven erhöhen und einen mit der Leistung des anderen anspornen. Da von den Inseln die der Kannibalen die größten und volkreichsten sind, scheint es ratsam, Leute von dorther nach Kastilien zu befördern, damit sie die barbarische Gewohnheit, Menschenfleisch zu verzehren, alsbald aufgeben. Je eher sie die spanische Sprache erlernen, je eher werden sie getauft, und je eher wird das Heil ihrer Seelen gerettet werden.«

      Hier ist eine Einschaltung nötig. Die Anklage des Kannibalismus (ein Wort übrigens, das ebenfalls auf die Verballhornung eines indianischen Namens zurückgeht, nämlich den der Insel Kariba) ist mit Bezug auf den westindischen Archipel vollständig aus der Luft gegriffen. Ob der Brauch auf dem mittelamerikanischen Festland existiert hat, ist ungewiß und wird vielfach bestritten. Die mit dem religiösen Kult zusammenhängenden Blutopfer, die bei den Azteken zu Formen von abscheuerregender Grausamkeit gediehen waren und den Charakter mystisch-erotischer Blutfeste trugen, mögen der entzündlichen Phantasie der ersten Eroberer die schreckensvolle Vorstellung von Menschenfresserei gegeben haben, und daß Columbus kein anderes Beweismittel besaß als bloßes Gerücht und Hörensagen, ist beinahe mit Sicherheit anzunehmen. Ob er die Bezichtigung glaubte oder nicht, muß nicht untersucht werden, auch wird er sich schwerlich darüber Gedanken gemacht haben, daß es in sittlicher Hinsicht kein erheblicher Unterschied ist, ob man mit Menschenfleisch handelt oder ob man es verspeist. Seine bauernschlaue Überlegung war die: Ich muß die Indios als unschuldig-gottlose und unschuldig-verworfene Wesen darstellen, dann wird mein Vorschlag, sie zu Sklaven zu machen, mir als moralisches Verdienst angerechnet werden, jedenfalls als eine erziehliche Maßregel zu ihrer Besserung. Eine echt europäische Heuchelei: kommerzielle Absichten, umwickelt mit windigen Redensarten von Humanität und Fortschritt.

      Seine weiteren Ausführungen lassen an Deutlichkeit nichts mehr zu wünschen übrig: »Zum Heile der Seelen hiesiger Einwohner ist uns eingefallen, daß es je besser ist, je weiter man sie fortbringt, und so könnte für den Dienst Ihrer Hoheiten auf folgende Weise gesorgt werden. Da das Bedürfnis an Vieh und Saumtieren hier sehr groß ist, könnten Ihre Hoheiten eine Anzahl Karavellen ermächtigen, jährlich Herden herüber zu bringen. Dies Vieh könnte den Überbringern zu angemessenem Preis abgekauft und mit indianischen Sklaven bezahlt werden, denn es sind zwar wilde, aber anstellige, kluge und gut proportionierte Menschen, die sich nützlicher als alle andern Sklaven erweisen werden. Sobald sie ihre Heimat aus dem Gesicht verlieren, werden sie sich ihrer Grausamkeit entwöhnen. Man kann sie zum Rudern der Galeeren verwenden, darauf verstehen sie sich trefflich, und Ihre Hoheiten können von ihnen einen Einfuhrzoll erheben.«

      Das klingt ganz modern, der Admiral war ohne Zweifel ein Finanztalent. Er verstand zu rechnen, und seine schätzbare Sorge ist es, wie er die Kolonie für das Mutterland rentabel machen kann. Vielleicht war es dieser Schein von spekulativer Tüchtigkeit, der einige neuere Historiker, namentlich in Spanien, zu der Behauptung geführt hat, er sei von Abstammung Jude gewesen. Damit es nicht aussehe, als ob es eine willkürliche Annahme sei, stützten sie sich dabei auf mittelalterliche Quellen, die allerdings zu schwer zugänglich sind, um sie auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen. Aber manche urteilen nur aus einem allgemeinen Gefühl heraus, ob in feindseliger oder sympathisierender Tendenz, läßt sich nicht unterscheiden. Zunächst hat die Hypothese etwas Verblüffendes, es ist wahr, sie beleuchtet eine Seite des Mannes, die bis jetzt noch recht dunkel war. Es steckt nämlich viel vom Renegaten in diesem Cristobal Colón, er hat viele Züge eines eifervollen Abtrünnigen, der mit Angst bemüht ist, den Weg zuzuschütten, den er gegangen ist. Immer ist es der Neubekehrte, der in seiner für mißtrauische Augen berechneten Haltung und mit einer Leidenschaft, durch die er sowohl sich selbst wie auch die Umwelt glaubt täuschen zu müssen, alle Grenzen des Geschmacks, der Vernunft und des Anstands überschreitet. Und wenn man ganz, ganz nah an die Seele dieses Finders einer Welt heranhorcht, wittert man Verrat, freilich eine unbezeichenbare Art davon, spürt man den Verräter, freilich einen, den das Schicksal zu hoher Leistung hinauftreibt gerade dadurch, daß es ihn zum Verräter gemacht hat. Jüdisch, im schlechten und im guten Sinn, ist eine gewisse Weichmütigkeit an Columbus; jüdisch ein unverkennbarer Hang, Probleme der Wirklichkeit sentimental zu lösen; jüdisch die eigentümliche Zaghaftigkeit vor weittragenden Verantwortungen, die aus einer uralten Furcht vor dem Unwiderruflichen stammt, dem von oben her Beschlossenen. Aber was nicht jüdisch an ihm ist, das ist sein auffallender Mangel an Intelligenz und praktischer Fähigkeit, und vor allem liegt jede Form des Donquichotismus, der Selbstbezauberung mittelst einer vergewaltigten Realität, dem jüdischen Wesen so fern wie möglich. Die spanischen Herrscher, zu ihrer Ehre muß es gesagt werden, billigten das Vornehmen ihres Admirals nicht; in der Randnote heißt es: »Bleibt zunächst ausgesetzt, bis ein anderer Vorschlag gemacht wird.« In der Hauptsache wird es wohl die Königin gewesen sein, die sich dem staatlich konzessionierten Menschenraub und -verkauf widersetzte, wie einträglich ihr das Geschäft auch geschildert wurde. Aber in solchen Fällen ist der Automatismus der Tatsachen stärker als selbst das Gewissensbedenken einer absoluten Herrscherin. Bedrängt von der allgemeinen, bis zur Tollheit gesteigerten Goldgier, hatte Columbus das Mittel gefunden, die Ungeduld der Fordernden durch Lieferung billiger Arbeitskräfte hinzuhalten. Als Antonio de Torres mit vier Karavellen nach Española zurückkam, ließ der Admiral fünfhundert Indios beiderlei Geschlechts auf die Schiffe bringen und, indem er sie als Rebellen bezeichnete, nach Spanien transportieren. In Sevilla übergab man sie dem Juan de Fonseca, der sandte sie auf sein Landgut, wo sie wie Tiere ausgestellt und versteigert wurden. Schlechte Behandlung, schwere Fron, das veränderte Klima, die so ungewohnte wie entwürdigende Lebensweise verursachte binnen kurzem den Tod aller. Da erhob sich kein Einspruch, keine Menschenstimme, aus dem ersten Versuch wurde eine feste Einrichtung, und der Atelandato Bartolomé, der tatkräftige und politisch begabte Bruder des Admirals, schickte alsbald ein Schiff nach dem andern vollgestopft mit indianischen Sklaven nach Spanien, eine vollkommen zweck-und sinnlose Deportation, denn alle diese entheimateten Geschöpfe verendeten auf dieselbe elende Art wie die ihnen vorausgegangenen.

      Die Insel Española hatte nach ungefährer Schätzung zur Zeit der Entdeckung eine Bevölkerungszahl von dreieinhalb Millionen. Zehn Jahre später waren davon noch vierunddreißigtausend übrig, also kaum der hundertste Teil. Das Gemetzel begann und verlief unter den sehend-unsehenden Augen des Columbus, und ob er Schmerz über die Vernichtung empfunden oder ob er sie, fatalistisch finster und seelisch ummauert, als unerbittliches Gesetz betrachtet hat, steht in keiner Chronik zu lesen. Wir wollen die Wahrheit im Herzen des Mannes suchen.

      Zehntes Kapitel.

       Die abgeleugnete Wirklichkeit

       Inhaltsverzeichnis

      Es wird eine Begebenheit erzählt, aus der mit der Schlagkraft einer Parabel hervorgeht, wie die Indios, mehr und mehr erschüttert in ihrem Glauben an die Fremdlinge, sich die Gewißheit zu verschaffen trachteten, daß die vom Himmel gekommenen Männer nicht unsterblich seien, wie sie anfangs gewähnt hatten. Die Mannschaft des Forts San Tomas, zu dessen Kommandanten Columbus einen Edelmann namens Pedro Margarite ernannt hatte, wütete gegen die Eingeborenen mit jener Brutalität, die keine angestammten Rechte achtete und die allmählich stumpfe Gewohnheit bei den zügellosen Horden wurde, die Spanien über die neue Welt losließ wie eine fressende Plage. Sie nahmen den Indios ihren Goldschmuck weg, sie leerten ihre Speicher, sie raubten und entführten ihre Frauen und Töchter, und die schmachvollsten Mißhandlungen waren an der Tagesordnung. Der Kazike Caonabo, der die Vega real beherrschte, die Königsebene, in der das Fort lag, war aber ein entschlossener und tapferer Mann, er versammelte die Leute seines Stamms um sich und löste die Fessel der Fügsamkeit von ihrem Geist. Um ihnen zu beweisen, daß die Fremden durchaus nicht die übernatürlichen Kräfte besaßen, die sie fürchteten, daß die angeblichen Himmelssöhne genau so dem Tode erliegen müßten wie sie selbst, veranstaltete er vor ihren Augen eine Probe. Die Spanier bedienten sich gewöhnlich eines oder mehrerer Indios, um sich durch die Furt des Flusses tragen zu lassen,