Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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Einmischung ist, peinlich und zu verachten. An der Erhaltung der famosen Urkunde war dem Admiral so sehr gelegen, daß er nach dem Tod des Notars Perez de Lima, kurz nach der Rückkehr in die Stadt Isabella, den Kammerschreiber Penalosa rufen und das Protokoll neuerdings beglaubigen ließ.

      Um diese Zeit brachte man ihm die Nachricht, man habe am Flusse Hayna verschüttete Goldgruben gefunden. Das erregte ihn mächtig. Er begab sich an den Ort, ging eine Weile sinnend herum und erklärte dann mit sonderbarer Emphase, die Gruben seien jene Bergwerke, aus denen König Salomo das Gold für den Tempel von Jerusalem gewonnen habe, woraus unumstößlich gefolgert werden müsse, daß die Insel Espanola das Ophir der Alten sei. Keine Laune, kein flüchtiger Einfall, keine bescheidene Vermutung, sondern ein kategorischer Leitsatz, den er von da an bis zu seiner letzten Stunde mit fanatischem Ernst verfocht, ohne sich über die geographischen und physischen Möglichkeiten die geringsten Gedanken zu machen.

      Sehr verschieden von dem ersten Empfang war diesmal die Aufnahme, als er nach Spanien zurückkehrte, er verspürte es schmerzlich verwundert. Wo war all der Enthusiasmus geblieben, die freudige Raserei? Da wurden keine Tücher mehr geschwenkt, da hingen keine Teppiche mehr vor den Häusern, da kamen keine Freunde mehr zu herzlicher Begrüßung, alles kalt und still. Warum? Umschwung der öffentlichen Meinung, das hat immer etwas Rätselhaftes. Er schickt wieder seinen Bericht an die Königin, Tag um Tag verstreicht, sie antwortet ihm nicht. Statt an den Hof zu eilen und den Ränken seiner Feinde entgegenzutreten, von denen namentlich der Bischof Fonseca erfolgreich gegen ihn gearbeitet hat, liegt er in Klöstern und Kapellen vor verwitterten Heiligengebeinen auf den Knien, denn er hat ein Gelübde zu erfüllen, geht in härenem Bußgewand mit dem Strick um den Leib und läßt sich den Bart wie ein Franziskaner wachsen. Die ihn kennen, erschrecken über sein Aussehen und Gehaben, sein Gemüt ist bedrückt, seine Augen leuchten in beängstigend finsterer Glut, sein Leib ist schändlich abgemagert, Krankheit und Strapazen haben seine Kräfte erschöpft. Als ihm die Regentin einen zwar gnädigen, aber kurz gefaßten Bescheid sendet, muß man erst lange nach ihm suchen. Er führt in La Rabida heilige Gespräche mit Juan Perez und Antonio de Marchena. Er liest den königlichen Brief; er soll an den Hof kommen. Ja, er will kommen, doch mit allem gebührenden Glanz. So veranstaltet er, sehr zur Unzeit, einen Triumphzug nach dem Muster des ersten, aber alle Welt findet diesmal, daß es ein hohles Gepränge sei. Und doch hat sich nach seiner Meinung nichts verändert, an ihm nichts, an seiner Sache nichts. Indien ist Indien geblieben. Er vergißt nur (weil er es nicht wissen will), daß die Leute, die mit ihm heimgekehrt sind, als zerlumpte Bettler durch die Gassen von Cadix und Sevilla schleichen; die meisten, vom Fieber geplagt, sehen aus wie Gespenster. Keine stimmungsvolle Reklame jedenfalls. Es ist ziemlich viel Wesens davon gemacht worden, daß der stolze Kazik Caonabo als ein in der Schlacht besiegter Held dem spanischen Volk solle vorgeführt werden (daß er durch einen heimtückischen Anschlag in die Falle gegangen, davon verlautet natürlich keine Silbe); aber Caonabo ist während der Meerfahrt an Kummer und Heimweh gestorben. Bleiben noch die vermeintlichen Amazonen, die auf Guadelupe gefangen worden sind und die der Admiral in der Erinnerung an die Lektüre des Marco Polo so benannt hatte; nun, die armen Weiber bieten den Anblick von verhungerten Tieren im Käfig. Aber wie steht es mit dem sehnlich erwarteten Gold? mit den verheißenen Millionen? Erbärmlich. Man ist enttäuscht bis zur Frostigkeit und nimmt die unentwegten Versprechungen des Admirals mit einer Skepsis auf, die ans Beleidigende grenzt. Er spürt seine schiefe Situation nicht, fällt gleich mit der Tür ins Haus und verlangt acht Schiffe für eine dritte Reise. Man weicht aus, bedeutet ihm, er müsse warten. Worauf warten? Soll er vielleicht antichambrieren, er, Vizekönig des ozeanischen Reiches, wessen vermißt man sich? Achselzucken. Die Ohrenbläser Ferdinands haben momentan das Heft in Händen, Isabella scheint ihren getreuen Seefahrer vergessen zu haben. Ihre Tochter Johanna soll den Erzherzog Philipp von Österreich heiraten, Frankreich betrachtet die Verbindung mit Eifersucht, man muß sich auf einen Krieg gefaßt machen. Die Ausstattung der Infantin und die Hochzeitsfeierlichkeiten erschöpfen alle Mittel der Königin, sie kann nicht einmal die Lieferanten bezahlen, und Juden, bei denen man Darlehen aufnehmen konnte, gibt es nicht mehr im Lande. Wahrscheinlich hat sie einige Hoffnung auf die Ankunft ihres Großadmirals gesetzt; aber statt der Herrin die ungemessenen Schätze zu Füßen zu legen, mit denen er schriftlich und mündlich immerfort geprahlt (»Schätze, wie sie die Könige des Morgenlandes nicht kostbarer nach Bethlehem gebracht haben«, war eines seiner großartigen Worte gewesen), statt dessen hat er nichts zu bieten als Beschwerden und Jammerberichte. Gut, man wird ihm Schiffe geben, läßt ihm das Haupt der feindlichen Partei sagen, aber unter der Bedingung, daß er auch seinerseits einiges Entgegenkommen zeige und auf das eine oder andere der Privilegien verzichte, die zu erfüllen dem König so lästig falle, z. B. das Achtel der Einkünfte. Aha, der König, sein unversöhnlichster Widersacher. Nein, niemals, um keinen Preis. Was verbrieft und beschworen ist, davon kann nichts abgehandelt werden. Mit Müh und Not setzt er es durch, daß zwei Karavellen mit Vorräten, die er seinem Bruder Bartolomé versprochen hat, einstweilen nach Española ausgeschickt werden, und um ihn nicht gänzlich zu entmutigen, legen sich hohe Gönner und Freunde ins Mittel, um ihm zu einer auf den Staatsschatz lautenden Anweisung über sechs Millionen Maravedis zu verhelfen. Damit ist zwar nicht viel gedient, denn die Kassen sind wie gewöhnlich leer, aber es ist wenigstens ein öffentlicher Kredit, und er kann seine Vorbereitungen treffen; er wird eben seinerseits gleichfalls mit Anweisungen zahlen.

      Das alles ist bitter und aufreibend, doch man könnte sich durchbeißen, man hat schon Schlimmeres ertragen, da kommt das Schlimmste: er wird zum Gegenstand des Gelächters. Der Kapitän Pedro Alonzo Niño, von Bartolomé geschickt, landet in Cadix, und als ob er in der Schule des Admirals zum Großsprecher wäre erzogen worden, läßt er diesem melden, er führe eine so schwere Ladung Gold an Bord, daß er Gott danke, daß das Schiff nicht gesunken sei. Colón ist überglücklich, und ohne sich zu überzeugen, ob die Meldung auf Wahrheit beruhe, schreibt er sogleich an die Majestäten, aus dem Goldland Ophir sei eine mit unermeßlichen Reichtümern beladene Flotte im Hafen von Cadix eingelaufen. Das königliche Paar, wiewohl die Botschaft nicht recht glaubhaft klingt, bezeigt lebhafte Freude und gibt ihm zu verstehen, nun könne er ja die Kosten der Ausrüstung von dem indischen Gold bestreiten und die Anweisung auf die sechs Millionen Maravedis zurückerstatten. Das geschieht auch. Was stellt sich aber heraus? Die »Reichtümer der Flotte aus Ophir«, d. h. einer einzigen halbwracken Galeazze, bestehen aus hundertfünfzig Indios, durch deren Verkauf als Sklaven das Gold erst gewonnen werden soll. Niederschmetternde Eröffnung. Nicht allein muß er die Nachricht widerrufen, sondern auch noch die andere Demütigung auf sich nehmen, der Königin die ausführliche schriftliche Darlegung seines Bruders, des Statthalters Bartolomeé über die trostlos-verworrenen Zustände in der Kolonie zu überreichen. Als er neuerdings um die Anweisung der sechs Millionen bittet, wird ihm trocken erwidert, es könne über die Summe nicht mehr verfügt werden.

      Es waren lauter Stationen des Abstiegs. Man sollte denken, eine solche Kette widriger Ereignisse müsse ihn an sich irre gemacht oder doch das Gefühl der Wichtigkeit in ihm untergraben haben. Weit gefehlt. Er rettet sich einfach aus dem Sein in den Schein. Damit sein Adel und sein Titel ganz sicher auf seine Nachkommen vererbt würden, erbat er eben um diese Zeit, vor der dritten Ausreise, von der Königin den Konsens zur Errichtung eines Majorats, und das Majorat hatte als greifbare Grundlage nichts anderes als eine Kiste, angefüllt mit frommen Reliquien und indianischem Schmuck. Denn der Landstrich auf Española, fünfzig Stunden lang und fünfundzwanzig breit, der als Schenkung hinzugefügt wurde, hatte keinen Realwert; zum Teil noch nicht erobertes, zum Teil Urwald-und Sumpfgebiet, hätte er sich mit derselben Aussicht auf Nutznießung ein Terrain von der Größe Spaniens aneignen können, ohne daß es ihm jemand mißgönnt hätte. Als er dann noch das Zugeständnis verlangte, kein spanischer Seefahrer außer ihm allein solle das Recht haben, im indischen Meer Entdeckungen zu machen, gewährte ihm die Krone auch dieses unsinnige und unhaltbare Privileg. Wahrscheinlich willigte König Ferdinand in die törichte Abmachung nur, weil er sich von Anfang an nicht für gebunden erachtete, die maßlosen Ansprüche des Admirals zu erfüllen; Verträge zu brechen war ihm ein leichtes, das belastete sein Gewissen nicht, und die Königin, die noch immer mit einem Rest von Sympathie an dem wunderlichen Mann hing, sagte sich, was der gesunde Menschenverstand sich sagen mußte, daß ein solcher Vertragspunkt außer aller Wirklichkeit war, außer aller Möglichkeit, da man nicht einige Millionen Quadratkilometer Ozean unter dauernde Polizeiaufsicht