Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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Trägern, mit dem himmlischen Gast den Versuch zu machen, ob ihm das Ertrinken nichts anhaben könne. In der Mitte des Flusses ließen sie den Spanier von den Schultern gleiten und hielten ihn so lange unter Wasser fest, bis er sich nicht mehr rührte. Dann trugen sie ihn ans Ufer, wo sich die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes um den Leichnam herumsetzte und wartete, ob er wieder erwachen werde. Drei Tage saßen sie um den Toten herum, und erst als der Körper zu verwesen begann, waren sie überzeugt, daß der vermeintliche Gott nur ein sterblicher Mensch gewesen war. Die Gewißheit befreite sie von der Angst, von der Ehrfurcht, die sie gelähmt hatte, und die Kunde von dem wunderbaren Ereignis wurde jubelnd von Stamm zu Stamm getragen.

      Schwache und zaudernde Charaktere lassen sich leicht zu überstürzten Maßnahmen hinreißen. Haben sie versäumt, zur richtigen Stunde mit Festigkeit zu handeln, so trachten sie den Fehler durch übermäßige Härte auszugleichen, und sind sie bei falschem Anlaß langmütig und nachsichtig gewesen, so vervielfachen sie das Übel, indem sie bei einem andern, nicht weniger falschen zum Wüterich werden.

      In der Dienstvorschrift, die der Admiral dem Pedro Margarite erteilte, wird ihm als Hauptsorge ans Herz gelegt, darüber zu wachen, daß den Indios kein Leids geschehe, daß ihnen nicht das geringste gegen ihren Willen genommen, vielmehr alle vernünftige Rücksicht erwiesen werde. Das klingt, als wäre es so gemeint. Es ist aber nicht so gemeint. Denn gleich darauf heißt es: »Weil es vorgekommen ist, daß die Wilden Diebstähle an uns verübt haben, bestimme ich, daß Ihr jedem, den Ihr dabei ertappt, die Nase und die Ohren abschneidet, weil dies Gliedmaßen sind, die sie nicht verbergen können. Hierdurch versichert man sich auch eines anständigen Tauschhandels mit ihnen, denn alle werden auf diese Weise verstehen, daß wir die Guten gut, die Bösen böse behandeln wollen.« Nachdem er mit gleißnerischen Floskeln beteuert hat, daß ihm wie auch der Königin weit mehr daran gelegen sei, daß die Indios Christen würden und ihr Seelenheil retteten als an allen Schätzen, die man von ihnen erlangen könne, entwickelt er seinem Untergebenen einen außerordentlich hinterlistigen Plan, wie er sich des gefürchteten Caonabo bemächtigen solle. »Man muß ihn dazu bringen, daß er zu Euch einen Besuch macht«, rät er; »da er nackigt geht, deshalb nicht leicht festzunehmen ist und, wenn einmal entwischt, wegen der Lage des Landes kaum wieder einzufangen sein dürfte, müßt Ihr ihm ein Hemd und einen Schleppmantel darreichen, einen Gürtel umbinden und eine Mütze aufsetzen, dann könnt Ihr ihn greifen. Sollte er nicht zu Euch kommen wollen, so stellt Euch so mit ihm, daß Ihr zu ihm geht. Einer muß dann vorausgeschickt werden, der ihm sagt, Ihr wünschet ihn zu sehen und mit ihm Freundschaft zu schließen.«

      Von Redlichkeit und Ritterlichkeit ist das alles so weit entfernt wie… na, ungefähr wie das spanische Christentum vom indianischen Heidentum, und eine größere Entfernung läßt sich nicht denken, wenigstens in diesem besondern Fall, für den man sich vor Augen zu halten hat, daß Heiden, Juden, Türken den Christen gegenüber sich im Zustand vollkommener unaufhebbarer Rechtlosigkeit befanden, so daß man mit ihnen verfahren konnte wie mit Sachen, wie mit schädlichem Getier. Das Wort ist ein lasterhaft gefügiges Ding. »Seht ja darauf«, ermahnt Columbus seinen Offizier, »daß die Gerechtigkeit nicht verletzt werde.« Wie denn? Durch abgeschnittene Nasen und Ohren und die dreihundertvierzig Galgen, die von den Zimmerleuten auf der Vega real errichtet wurden? »Auf allen Wegen und Stegen müßt ihr Kreuze aufrichten«, schloß der Admiral seine Instruktion (wahrscheinlich hatte er sich vorgenommen, die Galgen für Kreuze anzusehen), »denn da, Gott sei gelobt, dies Land den Christen gehört, muß das Andenken daran für ewige Zeiten erhalten werden.«

      Er hat sich nicht geirrt: das Andenken ist erhalten worden. Eines der Hilfsmittel, die dazu beitrugen, war der Bluthund. Mit historischer Genauigkeit läßt sich der Zeitpunkt nicht feststellen, in welchem die nützliche Bestie zum erstenmal in Tätigkeit tritt. Setzen wir einen Augenblick aus, um Atem zu schöpfen. Der Hetz-und Schweißhund, perro corso, wurde, zur bequemeren Erlegung des indianischen Wildes, gewöhnlich losgelassen, wenn die Indios zu fliehen begannen. Er fiel ihnen dann mit gieriger Wut in den Rücken, riß sie zu Boden und zerfleischte sie. Auf diese Weise gewann die Jagd einerseits an Ergötzlichkeit, andererseits steigerte sie das sinnlose Entsetzen der Gejagten und brach den letzten Rest ihres Widerstands. Bei derart erwiesener Dienlichkeit zögerte der Admiral auch nicht, ganze Koppeln der Tiere aus Spanien kommen zu lassen; einzelne, z. B. der Hund Berçerrico, erlangten als Würger eine gräßliche Berühmtheit und wurden zu Stammvätern von Geschlechtern, denen besondere Meisterschaft im Aufspüren und Zerreißen der Indios zugeschrieben wurde und die deshalb hoch im Preise standen. »Seht nur darauf, daß die Gerechtigkeit nicht verletzt werde.«

      Wenn aber Don Quichote zum Wüterich wird, hört er auf, Don Quichote zu sein. Nur eins oder das andere kann er sein, beides nicht. Oder weiß Don Quichotes linke Hand nicht, was die rechte tut? Ist seine Seele so hoch gespannt, sein Geist so in die fixe Idee verfangen, daß er das Maß für die nahen Dinge verliert und ihm das Kleine groß, das Gute schlecht erscheint und umgekehrt? Ist das der Einfluß und die Wirkung Sancho Pansas? Denn Sancho Pansa ist immer an seiner Seite, ohne ihn ist er nicht vorstellbar, und Sancho Pansa ist ein listiger und erfahrener Mann, der sich auskennt im Leben und sein Geschäft versteht. Das Urbild freilich ist ein gutmütig-einfältiger Bursche, der keiner Fliege weh tun könnte; doch er ist verwandlungsfähig, die Zeitalter modeln ihn, die Umstände treiben ungeahnte Talente aus ihm hervor, die Welt ist voller Sancho Pansas, in allen Jahrhunderten, in allen Berufen und Ständen findet man sie, in allen Altern. Wohin das Schicksal ihn stellt und welche Gestalt er annimmt, eines Bauern, eines Landsknechts, eines Kleinbürgers, eines Vagabunden, eines Höflings, eines Beamten, eines Haudegen, stets wird er die Schwächen auszunützen wissen, die der jeweilige Don Quichote, an dessen Fersen er sich heftet, ihm darbietet. Denn wirklichkeitslos wie Don Quichote ist, läßt er die Wirklichen, die Tatsächlichen, die Nutznießer gewähren, und indem er sie für seine Kreaturen hält, schalten sie mit ihm nach ihrem Belieben, haben sie doch nur nötig, ihn in seinem Wahn zu befestigen und seine Einbildungen zu nähren.

      Es ist eine undankbare und meist vergebliche Arbeit, Vorgänge, die sich in weit zurückliegender Vergangenheit abgespielt haben, sozusagen auf ihren chemisch reinen Wahrheitsgehalt zu prüfen. Wie Bauten in Schutt und Trümmer zerfallen, so auch Ereignisse, was übrig bleibt, ist roher Umriß, der höchstens über Dimension und Proportion Aufschluß gibt, selten darüber, was an der Form lebendig, ursächlich und zeitbedingt war. Das muß durch Vergleichung und innere Anschauung festgestellt werden und durch die Folge, die es im weiteren Verlauf gehabt hat. Noch schwieriger ist der Mensch aus der Historie herauszuschälen, sein wahres Antlitz verliert sich hinter tausendfachem Hörensagen, Umkrustung mit Gleichartigem, hinter der Willkür der Erfinder und Entsteller, hinter Mißverständnis und Anekdotenbildung. Neben eine Überbelichtung schiebt sich unaufhellbare Dunkelheit, das wichtige Private zerfließt, und die verästelten Züge des täglichen Lebens werden grob vereinheitlicht, um sie dem Schauplatz und der Rolle anzupassen. Hab ich doch Mühe, den Menschen, der mit und neben mir lebt, zu erkennen, er braucht nur einmal das Unerwartete zu tun, so muß ich mein ganzes Urteil über ihn revidieren (mit Menschen zu sein, heißt überhaupt nichts anderes als beständig Urteile revidieren); bei einer geschichtlichen Person, zumal einer von hohem Rang, gibt es, um nicht heillos in die Irre zu gehen, nur den einen Weg, sie aus der Vision neu zu erschaffen.

      Keine Frage, Columbus ist in die Hände seiner Kreaturen geraten. Da erst wird er schuldig, von Schritt zu Schritt schuldiger. Nur ganz starke Persönlichkeiten, deren Handlungen unmittelbar aus ihrer Natur fließen, können sich dem Druck entziehen, der von der Umgebung ununterbrochen auf ihren Willen ausgeübt wird. Columbus’ Verhängnis war, daß er eine Figur darzustellen hatte, deren Eigenschaften er nicht besaß. Er war ein phantastischer Schwärmer und sollte ein Gebieter, ein Herr, ein Verwalter sein. Er war ein Mensch der Traum-und Wahnwelt, vielleicht hatte er sogar die Gabe der Versenkung, sicher die der Selbststeigerung, und war an einen Platz gestellt (für den er sich auch auserwählt glaubte), wo er eine harte, gefahrvolle, nüchterne Wirklichkeit hätte meistern sollen. Um nun nicht kläglich zu scheitern, war er genötigt, das zu spielen, was er scheinen wollte, und wird eine Rolle nur gespielt und nicht gelebt, so wird sie auch schon übertrieben und verzerrt. Alles weitere vollzieht sich zwangsläufig; er verfällt dem Schmeichler und will dessen anderes Gesicht nicht sehen, obschon er davon weiß; er kann den Gierigen nichts verweigern, wagt die Rechtsbrecher nicht zur Verantwortung zu ziehen