zukommen, weil er ihnen nicht gewachsen ist. Er ist nicht daran gewöhnt, daß jedes Tun eine so unbarmherzige Folge hat, sein früheres Leben in der Welt der Vorstellung war unter einen viel weiteren Bogen gespannt, plötzlich wankt alles um ihn, und er, der sich nur halten, nur feststehen will, greift nach Stützen, die unter ihm brechen, oder nach Menschen, die ihn verräterisch herunterstoßen. Fast wie der geniale Einfall eines Dichters wirkt es (Shakespeare hat etwas Ähnliches in der Gegenüberstellung von Hamlet und Horatio verkörpert, im übrigen ist ja das Schicksal ein noch größerer Dichter als Shakespeare), daß Columbus, als er seinen Bruder Bartolomé auf die zweite Reise mitnahm und ihn zum Statthalter machte, einen Mann zur Folie und zum Widerspiel neben sich setzte, der ihn in gewissem Sinne ergänzte und ihm seine Mängel veranschaulichte, denn dieser Bartolomé Colón hatte eine schwere Faust und einen eisern-unbeugsamen Willen, er war genau der, der Christoph Columbus hätte sein müssen, um die tobende Welt zu bändigen, in die er als irrender Ritter verschlagen war. Aber die rücksichtslosen, ja grausamen Versuche Bartolomés, des Unwesens Herr zu werden, warfen nur ein um so grelleres Licht auf die Schwäche des andern und gaben beide dem Haß der gebürtigen Spanier preis. Man war nie gut zu sprechen gewesen auf den »Ausländer«, den landflüchtigen Italiener, den die Zufallsgunst mit unverdientem Lorbeer bekränzt hatte, und in dem Wunsch und Vorsatz, ihn wieder in das Dunkel zu stürzen, aus dem er gekommen war, fanden sich alle einig, vom letzten Goldgräber bis hinauf zum Bischof Fonseca und zum König Ferdinand.
Er braucht sich nur aufzuraffen und dem schwülen Dunstkreis den Rücken zu kehren, wo Ehrgeiz, Habsucht, Enttäuschung und Ausschweifung alle Fesseln sprengen, und er ist wieder der schweifende Seefahrer, der fabel-und wundergläubige Adept, der, immer noch, die Insel Zipangu und das Reich des Großchans sucht. Es wird eine Szene überliefert, unvergleichlich in ihrer Art, paradox und komödienhaft, in der sich sein Bild am reinsten als das eines Menschen spiegelt, der von den wahren Tatbeständen und Zusammenhängen überhaupt keine Notiz nimmt, der die Dinge so darstellt, wie er sie haben möchte und wie sie seiner vorgefaßten Idee entsprechen.
Nachdem er die nötigen Sicherheitsmaßregeln für Española getroffen und einen trügerischen Zustand von Ruhe geschaffen hatte, ging er im April ‘94 mit einigen leichten Karavellen unter Segel, um neue Entdeckungen zu machen und den Ostrand von Asien zu finden. Daß die Länder, die er bis jetzt kennengelernt, etwas anderes sein könnten als Teile von Indien, darüber ist ihm nicht der leiseste Zweifel aufgestiegen. Wenn andere einen solchen Zweifel auch nur schüchtern zu äußern wagen, weist er sie mit glühendem Zorn zurück und erachtet dies für ein Verbrechen und eine ihm angetane Schmach. Er fuhr also an der südlichen Küste von Cuba entlang, überall wurde er freundlich empfangen und ließ für die Lebensmittel, die die Eingeborenen brachten, nach bewährtem Brauch Schellen und bunte Fetzen unter sie verteilen. Vergebens war die Nachfrage nach Gold, die Indios dieser Gegend kannten es wohl, doch man sah es selten bei ihnen, und auf die Erkundigung, woher sie es erhielten, wiesen sie immer nach Süden, ein Mittel, das sie der Instinkt gelehrt hatte, um die Fremden, denen schreckliche Gerüchte vorausgingen, loszuwerden. Da ließ Columbus die Richtung südlich nehmen und entdeckte anfangs Mai die Insel Jamaika, indianisch Janahica, die blühendste des Archipels, eine zauberische Landschaft. Doch was scherten sich die Ritter und Schiffsführer darum, was sollten ihnen die herrlichen Urwälder, der berückende Flor einer unvergewaltigten Natur, ihnen stand der Sinn einzig und allein nach dem Gold; da sie keine Möglichkeit sahen, davon eine nennenswerte Menge zu erlangen, weigerten sie sich, die ertraglose Fahrt fortzusetzen, und der Admiral, der den Kniff erlernt hatte, seine feige Fügsamkeit mit dem Schein der Entschlußfreiheit zu umgeben, wandte sich nach Cuba zurück. Nordwestlich von Cap Santa Cruz kam er in ein Wirrsal schöner kleiner Eilande, dem er den Namen »Garten der Königin« verlieh, und erfuhr von indianischen Fischern, daß man gegen Abend zu einem Land Magon komme, wo geschwänzte Menschen lebten. Es war die erste andeutende Kunde von dem geheimnisvollen Volk der Maya, denn die angebliche Beschwänzung war nichts anderes als der über den Rücken fallende Federschmuck, der zur Tracht jener Stämme gehörte. Jedoch Columbus, inbrünstiger als je mit Marco Polos und John Mandevilles Beschreibungen von Asien beschäftigt, glaubte steif und fest, es sei die asiatische Landschaft Mangi gemeint, und wurde in seiner Ansicht, Cuba sei das Festland von Asien, durch die Beteuerung eines Häuptlings bestärkt, er könne das Ende der cubanischen Küste nicht erreichen, selbst wenn er noch vierzigmal den Mond habe sich füllen sehen. In froher Erwartung segelte Columbus am Westrand von Cuba weiter, und als nun auch die Mannschaft aufsässig wurde und mit Drohungen die Umkehr forderte, versprach er, wenn sie ausharrten, würden sie in wenigen Tagen an der Aurea chersonesus des Ptolemäos sein, von wo sie dann, die Mündung des Ganges passierend, das Rote Meer erreichen würden; von dort wäre der kürzeste Weg in die Heimat, zu Lande nach Jerusalem zu gehen, in Joppe sich wieder einzuschiffen und über das Mittelmeer zu fahren. Seine Verheißungen und Beschwörungen waren vergeblich, die Unverschämtheit der Leute wuchs mit jedem Tag, die Vorräte verringerten sich bedenklich, die Schiffe, vom Bohrwurm angefressen, waren in kläglichem Zustand. Da berief der Admiral einen Seerat; er versammelte die Hochbootsmänner, Padrone, Piloten und Seekartenzeichner und forderte sie auf, ihre Meinung zu äußern, ob sie, ebenso wie er, überzeugt seien, die indische Küste gefunden zu haben, von wo man trockenen Fußes bis nach Spanien gelangen könne. Die Leute wußten, wen sie vor sich hatten und was von ihrer Zustimmung abhing, sie erklärten wie aus einem Munde: ja, was der Admiral glaube, glaubten sie auch. Da ließ Columbus, um ein Dokument in der Hand zu haben, durch den Notar ein förmliches Protokoll darüber aufnehmen, daß er unzweifelhaft das Festland von Indien erreicht habe. Es lohnt sich, das einzigartige Schriftstück kennenzulernen.
Der Notar schildert zunächst die Situation der kleinen Flotte und verbreitet sich über die Gründe, die den Admiral notwendigerweise zu der Annahme brachten, daß Cuba ein Teil des asiatischen Kontinents sei. Es ist zum Lachen, wie er sich windet und dreht, um die Hypothese einleuchtend zu machen. »Man konnte nichts anderes denken«, sagt er, »da es in dieser Gegend keine Küstenbewohner gibt, nacktes Volk ausgenommen, das von Fischfang lebt, niemals ins Innere des Landes kommt, nichts von der Welt weiß, sich nicht über vier Stunden von Haus entfernt und glaubt, es gäbe in der Welt nur Inseln, Leute eben ohne Gesetz und Religion, die nur geboren werden und sterben. Damit nun nach vollendeter Reise niemand üble Nachrede führen und aus Bosheit Dinge verkleinern möge, die alles Lob verdienen, erteilte mir der Admiral den Auftrag, mich persönlich nebst guten Zeugen an Bord eines jeden der zwei Schiffe zu begeben und den Meister, die Mannschaft und alle darauf befindlichen Leute öffentlich zu befragen, ob sie im mindesten daran zweifelten, daß dies das feste Land sei, zu Anfang und zu Ende Indiens, von wo man zu Fuße nach Spanien gelangen müsse. Sollte jemand Zweifel oder andere Wissenschaft haben, so sollte er es mir sagen, damit ich ihm den Zweifel oder Irrtum benehmen könne. So tat ich und forderte öffentlich auf, sämtliche Leute, wie mir der Herr Admiral geboten hatte, und kündigte ihnen die Strafe von zehntausend Maravedis an für jedes Mal, wo einer irgendwann das Gegenteil von dem behaupten werde, was er jetzt ausgesagt, nebst Ausschneiden der Zunge, wäre es aber ein Schiffsjunge oder dergleichen Subjekt, so solle er hundert Peitschenhiebe erhalten und ihm trotzdem die Zunge abgeschnitten werden.«
Der Wortlaut war: »Ich, X. Y., Einwohner von Z., Pilot oder Matrose oder Meister, beteure bei meinem Eid, daß ich niemals von einer Insel etwas gehört oder gesehen habe, deren eine Küste sich von Abend nach Morgen 335 Seemeilen weit erstreckt, denn dies ist eine klare Unmöglichkeit. Da ich sehe, daß sich das Land hier so weit wie angegeben nach Südwesten dehnt, habe ich nicht den geringsten Zweifel, daß es festes Land sei und nicht eine Insel und daß, würde man an derselben Küste weitersegeln, man nach kurzer Zeit ein Land finden würde, wo kluge Völker, die die Welt kennen, Handel treiben.«
Diese aberwitzige Formel ließ Columbus von allen achtzig Personen, die ihn auf der Expedition begleiteten, laut nachsprechen, dann mußten sie das Protokoll unterzeichnen. Eine donquichotischere Vergewaltigung der Wirklichkeit läßt sich kaum ersinnen, denn es hätte, wie ein Zeitgenosse mit übertreibendem Spott bemerkt, nur einer der Leute während der Unterzeichnung des Protokolls auf den Mastkorb klettern müssen, um zu entdecken, daß Cuba eine Insel ist, und wenn jene Geographen recht haben, die den Ort dieser närrischen Verhandlung in den Meerbusen von Batabano verlegen, so hätte es in der Tat nur einer Fahrt von achtundvierzig Stunden bedurft, und Columbus wäre an die äußerste Spitze der Insel gelangt. Aber eine solche