Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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vor innerer Bewegung stundenlang nicht haben sprechen können. Drei Monate blieb er auf der geliebten Insel. Und was er in dieser Zeit gesehen und erlebt hat, muß ihn von ganzem Herzen, sofern er überhaupt noch ein schlagendes Herz besaß, den Tod haben herbeiwünschen lassen, dem er in all den Jahren so grausig nah gewesen.

      In einem alten Bericht heißt es: »Wenn bereits unter Bobadillas Verwaltung das Äußerste von Grausamkeit gegen die Indios geschah, so brachte es doch Nicolas de Ovando fertig, seinen Vorgänger in allem zu überbieten, was jemals an Schandtat der Mensch am Menschen verübte.« Und das ist ohne die geringste Einschränkung wahr.

      Mit der Flotte des neuen Gouverneurs, etlichen dreißig Schiffen, war wiederum eine ungewöhnlich große Anzahl von Menschen herübergekommen. Es gab unter ihnen gewissenlose Spekulanten, die zwar selbst nichts zu verlieren hatten, allein andere, die etwas besaßen, dazu verleiteten, ihnen ihr Vermögen anzuvertrauen. Es gab leichtgläubige Phantasten, die ihr Hab und Gut an die Ausrüstung eines Schiffes setzten, um ihren Namen unter den Konquistadoren der Neuen Welt genannt zu finden. Es gab solche, die ihre Gläubiger in der Alten Welt mit den Schulden oder dem Raub, den sie in der Neuen zu machen hofften, befriedigen wollten.

      »Es waren nicht nur Leute geringen Standes, die man zu den Minen ziehen sah«, sagt Las Casas, »auch Vornehmere, die noch mit einem Mantel und mit ganzen Sohlen angekommen waren, zogen des Wegs, einen Diener hinter sich, der das Handwerkszeug trug, ja einige Hidalgos hatten sich sogar zu Pferde eingefunden, und ihr Knappe ritt auf einem Maultier hinterdrein, da sie es für standeswidrig hielten, ihren Rücken mit der schweren Last der Goldsäcke zu bebürden. Einer lief dem andern zuvor, jeder wollte zuerst das Gebiet der Goldstücke erreichen, denn sie dachten sich die Sache in der Art, daß man das Gold ebenso leicht und schnell wie die Äpfel vom Baum pflücken könne.«

      Die Ernüchterung blieb nicht aus. Wie nicht anders zu erwarten, machten die schwerenttäuschten Einwanderer Straßen und Wege unsicher, strolchten bettelnd durch die Siedlungen und in den neugegründeten Städten herum, lagen fieberkrank in den Spitälern, belästigten die Ämter und verlangten, wenn sie noch ein paar Taler übrig hatten, für möglichst wenig Geld möglichst große Landzuweisungen, dann konnten sie doch auf eigenem Besitz die Herren spielen, die Sklavenhalter sogar.

      Die Vollmachten, die dem Governador Ovando durch Kabinettsbefehl vom 20. Dezember 1503 erteilt worden und wonach die Indios zwar nicht wie Sklaven behandelt, wie jesuitisch eingeschränkt war, aber zur Arbeit gezwungen werden durften, ließen ihm in allen Verfügungen ziemlich freie Hand. Er überwies jedem Spanier dreißig bis sechzig Indios zur Bodenbebauung und zur Ausbeutung der Minen. Der festgesetzte Tagelohn war eine Bagatelle, die Fronzeit wurde zuerst auf sechs, dann auf acht Monate im Jahr bestimmt. Die Männer wurden von ihren Familien auf eine Entfernung von Hunderten von Kilometern getrennt und zur härtesten Arbeit mit der Peitsche getrieben wie das Vieh. Ihre Nahrung mußten sie sich selbst mitbringen, und wenn die Spanier tafelten, krochen die verhungerten Indios unter die Tische und lauerten darauf, daß ihnen ein Knochen zugeworfen wurde; wenn sie den abgenagt und ausgesogen hatten, zerklopften sie ihn zwischen Steinen und mengten das Mehl unter ihr kraftloses Kassavebrot. Entzogen sie sich der unmenschlichen Behandlung durch die Flucht, so wurde mit den wiederholt erwähnten, scharf dressierten Bluthunden Jagd auf sie gemacht, und, eingefangen, wurden sie grausam gezüchtigt und mußten von da ab die Arbeit in eisernen Fußfesseln verrichten. Die meisten starben, ehe ihre Dienstzeit um war. Selten entließ man sie nach dem Ablauf der gesetzlichen Frist in ihre Heimat, es fand sich fast immer ein betrügerischer Vorwand zu Mehrleistungen. Und gab man sie endlich frei, so waren sie in der Regel zu erschöpft, um ihre Dörfer zu erreichen. »Ich habe machen Toten am Wege liegen sehen«, erzählte Las Casas, »und die noch Lebenden hatten sich in den Schatten eines Baumes geschleppt und schrien unter Krämpfen nach Brot.« Die Widerstandsfähigen, die trotzdem in ihre Heimat gelangten, fanden die Hütten verlassen, die Pflanzungen zerstampft, alles war vor dem »weißen Schrecken« in geisterhafter Auflösung geflohen.

      Und nun die Kriegszüge. Nach dem Tode Behechios, des Kaziken von Xaragua, folgte ihm seine Schwester Anacaona in der Herrschaft. Sie war in ihrer jähen, wahrscheinlich erotisch gefärbten Vorliebe für die Weißen so weit gegangen, daß sie die Heirat ihrer schönen Tochter Higuenamota mit dem jungen spanischen Edelmann Guevara begünstigt hatte. Der tückische Verrat, den dieser alsbald an ihr und seinem Weib verübte, hatte ihre hohen Vorstellungen von den Fremdlingen zerstört; als Roldan und seine Spießgesellen unter den Indios wie die Henker wüteten, zog sie sich gänzlich von ihnen zurück, und die ununterbrochenen Bedrückungen Bobadillas und Ovandos verwandelte ihre frühere Freundschaft in unauslöschlichen Haß.

      Die Indios der Provinz Xaragua galten als die edelsten der gesamten Bevölkerung. Las Casas bemerkt, daß sie die übrigen Eingeborenen an Feinheit der Sprache, an Anmut der Sitten wie an äußerer Schönheit weit übertrafen. Aber zu Fron-, zu Zwangsarbeit waren diese Menschen nicht geschaffen, auch nicht zu erziehen. Sie liebten den Müßiggang, die Kontemplation; in einer schönen Landschaft geboren und aufgewachsen, die ihren natürlichen Bedürfnissen leicht genügte, nahmen sie mit den Gaben der Natur vorlieb und hatten gar kein Verständnis für europäische Arbeitsmethoden und Arbeitsgesetze. Nicht ohne Interesse ist die Feststellung Humboldts, nach der es sich schon in den ersten Jahren der Kolonisation erwies, daß die amerikanische Rasse der kaukasischen und noch mehr der afrikanischen an Anpassungs-und physischer Leistungsfähigkeit beträchtlich unterlegen war.

      Die gefährliche Anacaona und ihren Anhang unschädlich zu machen, trachtete Ovando zuallererst, und er tat es auf eine Weise, die den Namen der christlichen Spanier auf ewig in der Neuen Welt gebrandmarkt hat oder hätte brandmarken müssen. (Was bleibt letztlich übrig von Schuld? Vergessen.) Er meldete ihr seinen Besuch und ließ ihr sagen, daß er in Freundschaft komme, um einige Abmachungen wegen des Tributs zu treffen, weshalb sie auch alle ihr untergebenen Kaziken zu sich einladen möge. Dies geschah, Anacaona zog ihm mit großem Gefolge entgegen und empfing ihn mit der graziösen Würde, für die sie berühmt war. Einige Tage lang wurden die Spanier, dreihundert Mann zu Fuß und sechzig zu Pferd, ein Aufgebot, das die indianische Fürstin hätte stutzig machen müssen, freigebig bewirtet und phantasievoll unterhalten; Tänze und Spiele wurden zu ihrer Belustigung aufgeführt, es schien, als erhoffe Anacaona von ihrer Gastlichkeit wohltätige Folgen für ihr Volk. Doch Ovando gefiel es, den Verdacht zu hegen, daß diese Veranstaltungen einen verräterischen Plan bemänteln sollten. Ich sage, es gefiel ihm, weil dazu nicht der geringste Anlaß vorhanden war und weil er einen Vorwand brauchte. Unwahrscheinlich, daß einige Tausend nackter, nur mit Bogen bewehrter Indios es wagen würden, einen Angriff auf die stahlgerüsteten, in Waffen starrenden Spanier zu unternehmen, abgesehen davon, daß sie damit die Heiligkeit des Gastrechts verletzt hätten. Trotzdem steht in einigen Quellen zu lesen, er hätte denen Gehör gegeben, die genaue Nachricht von einer Verschwörung zu haben behaupteten. Er beschloß also, dem zuvorzukommen, und um die Höflichkeit der Indios zu erwidern, lud er sie ebenfalls zu einem Fest, das als Hauptanziehung ein ritterliches Turnier versprach, bei dem die Kämpfenden, anstatt mit scharfen Lanzen, mit Bambusrohren aufeinander stachen, die an den Rüstungen und Schilden leicht zerbrachen. Zugleich hatten die Ritter und Knappen die Weisung erhalten, ihre Schwerter verborgen bei sich zu tragen und sobald das verabredete Zeichen gegeben werde, über die versammelte Menge herzufallen und alles niederzuhauen, was ihnen unter die Klinge komme. Dasselbe wurde dem Fußvolk befohlen, das sich unter die Zuschauer auf den Terrassen lagern sollte, die den Platz einschlossen. Für Anacaona und die vornehmsten Kaziken hatte er in seinem eigenen, mit Palmblättern gedeckten Hause bequeme Plätze einrichten lassen. Er erschien mit seinen Offizieren selbst in der Arena und warf den Diskus mit ihnen. Danach nahm er neben der Fürstin auf dem Balkon des Hauses Platz, das er unbemerkt mit Bewaffneten umstellt hatte. Kaum hatte, unter dem Jubel der harmlosen Zuschauer, das Lanzenstechen begonnen, so trat Ovando an die Brüstung des Balkons und faßte das Kreuz des Alcantaraordens an, das er am Halse trug: Es war das Signal zum Massaker, dem weder Weiber noch Kinder noch Greise entgingen. Die Kaziken in dem umzingelten Haus wurden sämtlich ergriffen, mit auf den Rücken gebundenen Händen an die Querbalken gehängt und so lange gefoltert, bis sie gestanden, was man als Geständnis brauchte: daß sie gegen das Leben und die Regierung Ovandos im Komplott waren. Die Einzelheiten der Folter können übergangen werden; wozu die Greuel ausmalen, das Rösten über glühenden Kohlenbecken, Zwicken mit glühenden