Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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und über die Gesinnung der neuen Siedler hinlänglich aufgeklärt, sie treffen kriegerische Anstalten, verbünden sich mit ihren Nachbarn, geben vor, sich gegen einen Feind im Innern schlagen zu müssen, aber die ganze Heimlichkeit ihres Tuns und Verhaltens erregt den Argwohn der Spanier. (Sie sind immer moralisch entrüstet, wenn sich die Folgen ihrer Brutalität zeigen und sie die Suppe auslöffeln sollen, die sie sich eingebrockt haben.) Bartolomé will dem zu gewärtigenden Angriff zuvorkommen, möchte sich aber erst Gewißheit über die hostilen Absichten der Indios verschaffen. Diego Mendez, dem solche Unternehmungen Spaß machen und der geschickt und mutig ist, schleicht sich als Späher in das indianische Dorf; er erkundet, daß in der Ratsversammlung die Vertreibung der weißen Männer beschlossen worden ist. Nun säumt der Adelantado nicht länger, überfällt nächtlicherweile das Dorf und bemächtigt sich des Kaziken, seiner Frauen und seiner Kinder. Die Erfahrung hat ihn gelehrt, daß man damit die Aktionen der Wilden am nachdrücklichsten lähmt. Jedoch es gelingt dem Häuptling, während des Transports zu fliehen und seinen Stamm zu alarmieren. Die erbitterten Krieger dringen in die Kolonie ein, die Spanier können sich der Übermacht nur mit Einsatz der Schweißhunde erwehren, die sie, zu ihrem Glück, wie sie finden, nicht unterlassen haben mitzunehmen; das Ärgste ist, daß sie vom Admiral abgeschnitten sind, der es kurz zuvor mit harter Mühe vermocht hat, seine Schiffe aus der durch lange Trockenheit untief gewordenen Flußmündung in die Bucht hinauszusteuern. Auch ihn faßt Bestürzung und Schrecken, als er benachrichtigt wird, daß die Besatzung des Bootes, das er, um Holz und Wasser für die Seefahrt zu holen, den engen Fluß hinaufgeschickt hat, von den Indios bis auf den letzten Mann niedergemacht worden ist. Da erklären die Leute des Adelantado, sie wollten in dem gefährlichen Land nicht einen Tag mehr bleiben, sein Zureden ist so vergeblich wie sein Zorn, sie stürzen in das zurückgelassene Schiff, es strandet in der seichten Mündung, die Indios waten und schwimmen ihnen nach, und sie haben hinter einer Schanze am offenen Ufer den wütenden Ansturm der Verfolger auszuhalten. Der Admiral kann ihnen nicht zu Hilfe kommen, er kann seine morschen Segelbarken nicht noch einmal durch die Brandung bringen, das einzige Boot, das er noch gehabt, eben jenes, das er den Fluß hinaufgeschickt hat, ist verloren, ein Tag vergeht, noch ein Tag, die bedrängten Männer am Ufer sind am Ende ihrer Kraft, was soll er tun, um sie zu retten. Wahrhaftig eine dramatische Situation, und unheilvoll, und nicht unverschuldet, und nicht geeignet, noch irgendwelche Hoffnungen für die Zukunft daran zu knüpfen. Schreckliches Memento: Er hat indianische Gefangene an Bord, sie sind eingesperrt im Schiffsraum; als man am dritten Morgen nach ihnen sieht, findet man sie sämtlich an Tauen erhängt; manche berühren mit den Knien den Boden, andere haben sich erwürgt, indem sie, mit gefesselten Armen, die um den Hals gelegten Schlingen mit den eigenen Füßen zuzogen, eine unbeugsame Art zu beweisen, daß sie den Tod weniger fürchten als die Sklaverei. Indessen verschlimmert sich die Lage des Adelantado immer mehr, man muß wenigstens eine Verbindung mit ihm und seiner zusammengeschmolzenen Schar herstellen, man kann nur sehen, wie sie kämpfen und einer um den andern fällt, zurufen kann man ihnen nicht; da erbietet sich ein heldenmütiger Matrose namens Pedro Laderma, durch die Brandung hinüberzuschwimmen, und das Wagestück gelingt. In sinnloser Verzweiflung beschwören ihn die Kameraden, dem Admiral zu sagen, daß sie wieder an Bord wollen, um jeden Preis. Laderma schwimmt zurück, es glückt zum zweitenmal, und er richtet die Botschaft aus. Columbus kann sich natürlich nicht weigern; es ist ihm nicht so leid um die Ansiedlung, als es ihn bedrückt, eines triftigen Grundes für die rasche Rückkehr nach Spanien verlustig zu gehen, denn die kann er dann vor seinem Gewissen nicht rechtfertigen; es wäre aber gut, heimzukommen, obschon es kein Heim für ihn gibt, nur eine Ruhestätte allenfalls, einen Winkel, um sich hinzulegen; er ist müde, endgültig müde, zerrieben von all der Not und dem Jammer, und zum erstenmal dünkt es ihn verlockend, in einem Bett zu sterben. Jede auffrischende Brise verringert die Sicherheit der wurmzernagten Fahrzeuge, und seine Bekümmernis, von Fieber und Schlaflosigkeit zu Visionen gesteigert, in denen er geisterhafte Stimmen hört, die ihm Trost zusprechen und ewigen Ruhm verkünden, diese krankhafte Depression weicht auch dann nicht, als er Bartolomé und seine Leute samt den geringen Vorräten aus der gescheiterten Barke nach übermenschlichen Anstrengungen durch ein mitten in Not und Gefahr hergestelltes Floß endlich an Bord der andern Fahrzeuge nehmen kann. Dem Diego Mendez, der sich dabei rühmlich ausgezeichnet hat, überträgt er das Kommando jener Karavelle, deren Führer bei dem Unglück mit dem Boot gefallen ist.

      Aber alles das ist nur der Anfang der beispiellosen Leiden, die man in ihrem ganzen Umfang kennen muß, wenn man die stählerne Seele dieses Mannes richtig einschätzen will. Das ist seine Größe und seine Glorie: das Aufsichnehmen, die Geduld, die Bereitschaft, freilich ganz tiefe, ganz unbewußte, ganz astrale Bereitschaft zu seinem Schicksal. Ende April erlaubt günstiger Wind, die verhängnisvolle Bucht zu verlassen. Man kann sich den Schiffen nur mit beständiger Todesangst anvertrauen, die im Wasser befindlichen Holzteile sehen wie Bienenwaben aus. Es ist also unerläßlich, auf schnellstem Weg nach Española zu fahren, und um den zahlreichen Korallenriffen zu entgehen, muß die äußerste Sorgfalt aufgewendet werden. Neue Stürme; drei Anker gehen verloren, die Segel reißen in Fetzen, die Lecks werden immer größer, die Pumpen arbeiten unaufhörlich, und außerdem muß das Wasser mit Eimern und Kesseln ausgeschöpft werden. Eins der Schiffe sinkt, die Mannschaft wird von den beiden übrigen aufgenommen, auch die können die See nicht länger halten. Gott sei Dank, es ist Land in Sicht, der Admiral gibt Befehl, sie zweihundert Fuß von der Küste entfernt auflaufen zu lassen, und sie werden eins neben dem andern befestigt. Sie füllen sich bis zum Verdeck mit Wasser; da die Eingeborenen auch hier sich feindselig verhalten, werden auf den Vorder-und Hinterteilen der Wracks gedeckte Kajüten errichtet und alles so gut es geht in Verteidigungszustand gebracht. Niemand darf ohne besondere Erlaubnis die Notfestung verlassen, und um die gewöhnlichen Ausschreitungen zu verhüten, wird der Verkehr mit den Indios durch genaue Vorschriften geregelt. Es ist die Insel Jamaika, an der sie gestrandet sind, eine der bevölkertsten und fruchtbarsten der Antillen, bald wimmelt auch der Hafen von indianischen Booten, die mit Lebensmitteln beladen sind, und der Admiral leitet Verhandlungen ein, die zu den üblichen Tauschgeschäften führen. Aber alles ist zu wenig, von Kassavefrüchten und Mais kann man nicht leben, finden die Matrosen, die schlauen Indios haben sicher ihre besten Vorräte versteckt, und verstünde es nicht Diego Mendez, die Gegensätze durch sein geschmeidiges Wesen immer wieder zu versöhnen, so wäre der Hader gleich am Anfang ausgebrochen, der unter solchen Verhältnissen gar keinen bestimmten Anlaß braucht, um in hellen Flammen aufzulodern, denn es ist eine merkwürdige Erfahrungstatsache, die auch durch den Verlauf der meisten Polarexpeditionen bestätigt wird, daß die dauernde Vergesellschaftung von Männern, sobald sie den Charakter äußeren Zwangs annimmt, unweigerlich erst zu heimlichen Wucherungen und zuletzt zu verheerenden Ausbrüchen eines geheimnisvollen Hasses führt.

      Diego Mendez scheint schlechthin ein Glücksfall für Columbus gewesen zu sein. Immer in unverwüstlicher Laune, unternehmungslustig, ein bißchen aufschneiderisch, mit einem gewissen derben Wirklichkeitssinn begabt, erinnert seine Figur in manchen Zügen an Sancho Pansa, nur in dem einen Punkt nicht, daß er außerordentlich mutig ist. Durch seine Freundlichkeit und Offenheit machte er sich auch bei den Indios beliebt, und diese Sympathie ging so weit, daß ihm einer der Kaziken ein großes, aus einem riesigen ausgehöhlten Baumstamm verfertigtes Kanu schenkte. Danach eben hatte er getrachtet; er teerte das Boot, versah es mit Mast und Segel und verabredete sich mit dem Kapitän Fiesco, Landsmann des Admirals, und sieben Indios, mit denen er Freundschaft geschlossen hatte, zu dem Plan, nach Española zu segeln und den Gouverneur im Namen seines Herrn um Hilfe anzurufen. Die Entfernung beträgt siebenhundert Kilometer. Columbus erkannte wohl, daß es die einzige Möglichkeit zur Rettung war und willigte schweren Herzens ein, denn Mendez war ihm nachgerade unentbehrlich geworden.

      In der Tat, kaum hat er Jamaika verlassen, so ist der Teufel los. Die Indios, warum, ist eigentlich nicht recht ersichtlich, liefern den Proviant nur noch sehr widerwillig. (In irgendeiner entlegenen Chronik findet sich eine Andeutung, als hätten sie es nicht verziehen, daß Mendez eine Anzahl der Ihren entführt hatte, was auf ein erstaunlich entwickeltes Kollektivgefühl schließen ließe; ob es sich so verhielt, mag dahingestellt bleiben.) Jetzt wird die Lage der Schiffbrüchigen unerträglich. Jeder an Bord ist untätig in den engsten Raum eingesperrt, das tropisch-feuchte Klima revoltiert die Nerven, viele fluchen und rasen im Fieber, viele stieren stumpfsinnig vor sich hin, sogar der Adelantado verfällt in dumpfe Apathie. Die ersten, die sich aufraffen, sind Porras und