Das alles klingt wie eine Satire auf eine Rechtsuntersuchung; sie gipfelt in der Behauptung, die Meutereien müßten als mutiger und gesetzlicher Widerstand gegen die Tyrannei des Admirals und seiner Anverwandten betrachtet werden.
»Die Sterne selbst erhoben sich gegen Columbus und seine Brüder«, sagt der Geschichtsschreiber Herrera. Als Villejo ins Staatsgefängnis kam, um den Admiral zu holen, johlte draußen der Pöbel so wild, daß Colon glaubte, er solle zur Hinrichtung geführt werden. »Villejo«, rief er bang, »wohin wollt ihr mich bringen.« — »Aufs Schiff, Exzellenz«, erwiderte der Offizier. — »Sprecht Ihr die Wahrheit?« — »So wahr Gott lebt«, antwortete Villejo, der ein ehrenhafter Mann und, obschon er im Dienste Fonsecas stand, von der unwürdigen Behandlung, die der Admiral erfuhr, schmerzlich betroffen war. Auch der Kapitän der Karavelle, Andreas Martin, fühlte Erbarmen und begegnete dem Gefangenen mit Achtung und Aufmerksamkeit. Beide wollten ihm während der Seefahrt die Ketten abnehmen, allein er gab es nicht zu. »Ihre Hoheiten befahlen mir schriftlich, mich den Anordnungen Bobadillas zu unterwerfen«, sagte er, »in ihrem Namen hat er mir die Ketten angelegt, ich werde sie tragen bis sie befehlen, daß sie mir wieder abgenommen werden, und ich will sie als Erinnerungszeichen des Lohns für meine Dienste bis an mein Ende aufbewahren.«
Das tat er auch, er bestand auf den Ketten wie auf einem Recht, als müsse er seinem Schicksal etwas damit beweisen. Er trug sie bei der Landung in Cadix, er trug sie auch bei der Ankunft in Sevilla. Las Casas, der Chronist, der um diese Zeit seine Studien in Salamanca beendigt hatte und in seine Vaterstadt Sevilla zurückgekehrt war, hat den Entdecker einer Welt selbst in eisernen Ketten gesehen.
Dieses Ereignis, ungeheuerlich, wie man es auch ansehen mag, war späterhin für die meisten Biographen Anlaß zu romantischer Aufbauschung und theatermäßiger Zuspitzung. Es bedurfte dessen nicht. Die Tatsache steht fest, und sie genügt zu einem trostlosen Urteil über menschliche Einsicht und Erkenntlichkeit. Die Nachwelt will immer gutmachen, was die Mitwelt gesündigt hat, aber der Lebende ist als Opfer gefallen, und ihre Hymnen sind eitel Papier, ihre Ehrenrettungen der heuchlerische Versuch, die immer wieder frische Schuld auf die Schultern toter Vorgänger abzuwälzen.
Columbus habe für seine verbrecherische Schwäche das Los verdient, das ihm geworden, sagen strenge Kritiker; allein eine solche Erscheinung, abgesehen davon, daß sie sozial überhaupt nicht einzuordnen ist, ragt über ihre Zeit in alle Zeit hinaus und fordert daher auch andere moralische Maßstäbe als zeitliche; da ist alles enorm, alles geht über die vergänglichen Begriffe, und jede Formulierung von Eigenschaften kann nur gleichnishaft sein.
Wie es inwendig, in der Seele des Columbus aussah, wissen wir durch die grandiose »carta al ama«, das Schreiben an die Amme des Infanten, die in seinen letzten Jahren eine Art Vertraute von ihm gewesen sein muß. »Sehr ehrwürdige Dame«, beginnt er, »wenn es etwas Neues ist, daß ich mich über die Welt beklage, so ist es etwas sehr Altes, daß die Welt zu verkennen liebt. Mit Grausamkeit hat sie mich zu Boden getreten. Die Hoffnung auf den, der uns alle erschaffen hat, hält mich aufrecht. Gott machte mich zum Boten des neuen Himmels und der neuen Erde, er zeigte mir, wo ich sie finden soll. Ich kam, und noch immer gibt es bis herab zum Allerschlechtesten niemand, der mich nicht zu verleumden sucht. Wenn ich Indien gestohlen und den Mauren geschenkt hätte, könnte mir Spanien nicht größere Feindseligkeit erzeigen.«
Ein starkes Wort; unter der Qual des erlittenen Unrechts wird der kranke alte Mann zum zürnenden Gott. Er schildert, was auf der unseligen Insel vorgegangen ist, während er neue Länder, goldene Gebirge (angeblich für seine geliebte Königin) entdeckte und dazu außerdem das biblische Paradies fand; wie er zurückkam und zwischen den Parteien vermitteln wollte, wie er betrogen wurde; wie jeder sein Vertrauen täuschte; wie übel ihm von denen mitgespielt wurde, die ihm Glück, Ruhm und Reichtum zu danken hatten; wie die Reinheit seiner Absichten verdächtigt wurde. »Ich begreife nicht«, schreibt er, »daß man mich für so dumm hält, daß ich nicht wissen sollte, ich könnte mich nicht, selbst wenn Indien mir gehörte, ohne den Schutz eines Fürsten dort halten. Wenn dem aber so ist, wo hätte ich einen besseren Schutz und eine bessere Stütze finden können als bei dem König und der Königin, die mich aus dem Nichts gezogen haben.«
Nun verbreitet er sich im einzelnen über die schmachvolle Mißhandlung, die ihm zuteil geworden, und die Person des Bobadilla. Seine Empörung ist wie ein Kraterausbruch. »Sechs Monate lang war ich bereit, Ihren Hoheiten die guten Goldnachrichten zu bringen und aufzuhören, das Gelichter zu regieren, das voll Bosheit und Hochmut die Königin und den König verachtet. Ich hätte die Sache fertiggemacht mit sechzigtausend Maravedis und hätte dafür vier Millionen an Zehnten, aber man hat mich in einen Ruf gebracht, daß, wenn ich Kirchen und Hospitäler bauen ließ, man sagte, es seien Höhlen für Diebe. Ich bin zwei Jahre in Spanien gewesen, habe nichts gefordert, nichts erhalten, weder für mich noch für die, die mit mir gekommen waren, und der Bischof Fonseca hat seinen Sack gefüllt, ohne zu bitten und ohne sich zu mühen. Es wäre eine wahre Guttat, wenn Ihre Hoheiten den Gerüchten steuern möchten, die über mich im Schwange sind. Sie wissen, welche Mühsal ich erduldet, um Ihnen Eigentum und Herrschaft zu sichern, und wie ich für mich keinen Gewinn daraus zog; wenigstens wären mein guter Name und meine Ehre in der Welt wiederhergestellt. Ich beschwöre es, daß ich nicht begreife, warum ich ein Gefangener bin. Bobadillas erste Sorge war, das Gold an sich zu nehmen, das ich gesammelt hatte, und zwar tat er es ohne ein Maß noch Gewicht, und ich war abwesend. Er sagte, er habe die bezahlen wollen, denen es gehöre, aber wie mir versichert wurde, hat er den größten Teil für sich behalten. Ich hatte einige Probestücke dieses Goldes beiseite gelegt, um Ihre Hoheiten damit zu erfreuen und damit Sie die Wichtigkeit des Unternehmens erkennen möchten, es waren Goldkörner dabei, so groß wie Hühner-und Gänseeier. Dieses Gold unterschlug der Schurke, damit Ihre Hoheiten nicht ahnen sollten, welchen Wert meine Entdeckungen haben. Wenn Ihre Hoheiten sich darüber Rechnung ablegen lassen, wird die Wahrheit an den Tag kommen. Man kann nicht verletzter sein als ich es war, daß man einen Mann als Richter gegen mich absandte, der genau wußte, daß er mich bloß zu verleumden hatte, um an meine Stelle zu treten. Man hat mich behandelt wie einen Gouverneur, der in eine zivilisierte Provinz geschickt wird, wo man nach bewährten Gesetzen regieren kann. Ich soll abgeurteilt werden, als wäre ich ein Militär, der mit seiner Armee schlecht operiert hat, während man mit Soldaten dort gar nichts anfangen kann, weil die Menschen verstreut in den Wäldern leben. Ich soll abgeurteilt werden wie ein kleiner Hauptmann, der seit Jahren die Waffen nicht aus der Hand gelegt hat, und konnte doch in Indien, wo es keine Städte gibt und Verträge keine Geltung haben, in keiner Art nach hergebrachten Gewohnheiten verfahren. Der Weg zu Gold und Perlen steht offen, wollte der Himmel, es wäre ebenso gewiß, daß mir kein Leid widerführe, wie es gewiß ist, daß in Erfüllung geht, was ich vor meiner ersten Reise an Ihre Hoheiten schrieb. Ich weiß wohl, daß ich Irrtümer begangen habe, aber ich wollte nie mit Absicht Unrecht tun. Ihre Hoheiten werden das erkennen. Sie werden alles in die Wagschale legen, so wie nach der Heiligen Schrift am Tage des Gerichts das Gute und das Böse abgewogen wird. Als Bobadilla nach San Domingo kam, logierte er sich in meinem Hause ein und nahm alles, was darinnen war. Er mag dessen bedurft haben, aber kein Pirat ist jemals so mit Kaufleuten und ihrem Gut umgegangen. Am peinlichsten ist mir, daß er sich meiner Papiere bemächtigt hat, von denen ich keines wiederbekam, und gerade diejenigen, deren ich am meisten zu meiner Verteidigung bedarf, hält er am ängstlichsten verborgen. Seht also, welch ein gerechter Richter er ist, welch ein ehrenhafter Mann! Aber Gott, unser Herr, bleibt in seiner Macht und Weisheit wie bisher und wird die Undankbaren strafen. Gewiß ist nur so viel, daß fast alle, die nach Indien kommen, der Gnade der Taufe unwürdig sind. Noch nie ist es erhört worden, daß jemand, der ausgeschickt war, eine Untersuchung vorzunehmen, Verräter und Meuterer sammelte und sie als Zeugen gegen den aufrief, der regierte. Bedenkt man alles genau, so muß man sich wundern, daß die Insel Espanola noch nicht vom Meer verschlungen worden ist. Und wäre ich solchem Strafgericht auch nicht entgangen, Ihre Hoheiten müßten anerkennen, daß ich Ihnen unermeßliche Dienste geleistet habe, wie Sie mir Dienste geleistet haben, in Liebe, wie es sein soll, denn wo keine Liebe ist, da hört alles auf.«
Es ist eine Beredsamkeit, der die Jahrhunderte nichts von ihrer elementaren Gewalt zu rauben vermocht haben.
Zwölftes Kapitel.