Der Brief galt natürlich mittelbar der Königin, Donna Juana della Torre übergab ihn auch sogleich ihrer Herrin, und er verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht. Isabella vernahm mit Entrüstung, wie übel man mit ihrem Admiral verfahren war, und der König mußte sich anstandshalber überrascht und unwillig darüber zeigen, daß man seine Befehle »mißverstanden« habe. Das Unangenehmste bei der Sache war das große Aufsehen, das die Ankunft des in Ketten liegenden Vizekönigs und Großadmirals in ganz Spanien und weit darüber hinaus erregte. Aus Prestigegründen war es notwendig, dem beleidigten Mann so rasch wie möglich Genugtuung zu geben. Er wurde eingeladen, ans Hoflager nach Granada zu kommen und erhielt zur Bestreitung der Reisekosten für sich und seine Brüder zweitausend Dukaten.
Sein Erscheinen bei Hofe ist dem Gedächtnis der Zeiten mit Hilfe blümeranter Historiker als eine ebenso rührende wie verlogene Bilderbuchszene vorgemalt worden. Als die Königin den schon im Äußern, durch sein weißes Haupt, die sorgengefurchte Stirn, die edle Haltung, ehrwürdigen Mann erblickte, sei sie in Tränen ausgebrochen. Columbus, der sich in den schweren Kämpfen der Welt behauptet, mit stolzer Verachtung Unbill und Verleumdung ertragen, habe in dieser Stunde die Selbstbeherrschung verloren, sich der Fürstin zu Füßen geworfen und vor Schluchzen lange Zeit kein Wort hervorbringen können. Der König habe ihn dann aufgehoben und mit den huldvollsten Reden ermutigt.
Von alledem ist nicht eine Silbe wahr. Hernando Colón, der die meisten schönfärbenden Legenden über seinen Vater in Umlauf gesetzt hat, weiß von diesem Vorgang nichts, und ein so wirksames Melodram hätte er sich gewiß nicht entgehen lassen, wenn er die geringsten Anhaltspunkte dafür gehabt hätte. Er begnügt sich mit der Bemerkung, der Admiral sei in Granada von den Majestäten mit anscheinender Freundlichkeit empfangen worden, und sie hätten ihm versichert, die Verhaftung und Einkerkerung sei wider ihr Wissen und Wollen geschehen. Alles übrige ist ein läppisches Idyll im Kotzebuestil, auf die großartig-finstere Epopöe aufgeklebt wie ein Öldruck auf ein heroisches Fresko.
So viel ist richtig, daß man seine Klagen und Beschwerden anhörte und ihm Gerechtigkeit versprach. Sein Eigentum sollte ihm zurückerstattet, in seine Ämter und Würden sollte er wieder eingesetzt werden. So wurde gesagt. Und er glaubte es. Er glaubte, daß die Majestäten an dem Tag, an dem sie sich von seiner Redlichkeit und seinen guten Absichten überzeugt hätten, ihn wieder zum Vizekönig machen würden und er im Triumph nach Espanola zurückkehren könne. Eine unheilvoll-naive Täuschung; als er ihrer inne wurde, zerbrach er an ihr. Es war eine geradezu infantile Ahnungslosigkeit von Welt und Leben, die es ihm ermöglichte, seinen Optimismus wie eine wehende Fahne vor sich her zu tragen, während alles von ihm abfiel und, um es platt zu sagen, kein Hund mehr einen Bissen Brot von ihm nahm. Die Königin sah er als segnenden Engel über sich schweben, sich selbst sah er als einen Märtyrer, für dessen Leiden kein irdischer Lohn groß genug war, und seine Entdeckung war in seinen Augen die größte Tat, die je ein sterblicher Mensch vollbracht hatte und vollbringen würde. Ja, er war ein Märtyrer, die Entdeckung war eine Großtat, aber geblendet von seinem Bestimmungsdünkel, berauscht von seinem Einzigkeitswahn verlor er vollends jedes Urteil, jede Fähigkeit zur Vergleichung, jedes geistige Maß und Gewicht.
Die zahlreichen Entdeckungen, die um diese Zeit unter portugiesischer und englischer Flagge gemacht wurden, beunruhigten den König Ferdinand aufs höchste. Seiner unstillbaren Habsucht gesellte sich quälende Eifersucht. Bisher hatte es geschienen, als besitze Spanien allein das Recht zur Auffindung ozeanischer Länder und den Anspruch auf ihre Ausbeutung, nun traten andere Bewerber, andere Nationen in den Vordergrund, begierig, die goldene Welt mit ihm zu teilen. Denn Er war Spanien, Er der Nutznießer und Verwahrer, und wenn andere noch ihren Vorteil fanden, einige große Herren, einiges anonymes Volk, so war es nur, weil er es gnädig zuließ.
Als er acht Jahre zuvor seinen Namen unter die mit dem Genuesen geschlossenen Kapitulationen gesetzt, hatte er nicht geahnt, daß seiner Herrschaft so unermeßliche Gebiete zuwachsen würden, in seiner hochmütigen Unwissenheit hatte er das ganze Unternehmen als eine Spekulation auf die Wundergläubigkeit der Königin betrachtet. Nun, in der Fülle des Besitzes, dünkte ihn, als sei er von Columbus durch die getroffenen Vereinbarungen überlistet und betrogen worden, und jede neue Entdeckung des Admirals, statt seine Erkenntlichkeit zu vermehren, steigerte nur seinen Groll und seine Reue darüber, daß er sich von einem verschlagenen Abenteurer hatte umgarnen und zu einer Torheit, wie es jene Unterschrift war, hatte hinreißen lassen.
Wie macht man eine solche unverzeihliche Übereilung ungeschehen? Nun, da gibt es Mittel genug. Zunächst kann man den Verdacht konstruieren, der Admiral plane in aller Stille die Gründung einer unabhängigen Regierung; bei seinem verrückten Ehrgeiz ist dergleichen denkbar; die Roldanschen Aufstände liefern Inzichten genug, wenn man sie durch geschickte Juristen sachlich begutachten läßt. Er könnte ferner die Absicht hegen, die entdeckten Länder fremden Monarchen auszuliefern, um sich größere Vorteile zu sichern; auch dafür gibt es Anhaltspunkte. Man braucht nur die leiseste Andeutung einer derartigen Möglichkeit fallen zu lassen, und Dutzende von gefälligen Schranzen sind bereit, den königlichen Argwohn mit einem fertigen Delikt zu bedienen. Aber so weit möchte man ungern gehen, aus gewissen Gründen das Äußerste nicht wagen. Einstweilen ist man durchaus nicht gesonnen, dem machtgierigen Mann, habe er Verdienste oder nicht, sei er schuldig oder nicht, wieder den Oberbefehl und das vizekönigliche Amt zu übergeben.
Dazu kommt vor allem; er ist nicht mehr unentbehrlich. Er war insofern nützlich, als er das neue Indien aufgefunden hat. Hierfür ist er entsprechend, vielleicht sogar über Gebühr belohnt worden und genießt einen, vom Standpunkt des absoluten Herrschers aus gesehen, unstatthaften Ruhm. Wie die Dinge heute liegen, kann jeder gewöhnliche Schiffskapitän leisten, was er leistet. Eine Anzahl tüchtiger Seeleute hat sich unter ihm ausgebildet und auf seinen Reisen Erfahrung gewonnen. Viele belagern das Kolonialamt mit dem Anerbieten, eine Expedition auf eigene Kosten auszurüsten; Pedro Alonzo Niño und Vincento Pinzon haben es getan und der Krone einen erheblichen Teil des Ertrags abgeliefert. Aus welcher Rücksicht sollte man also fürstliche Würden und gefährliche Sonderrechte für Dienste erteilen, zu denen man fähige Leute jeden Tag umsonst haben konnte? Immerhin ist es schwierig, einen Mann mit so gefeiertem Namen ohne Umstände kaltzustellen und zu verabschieden, folglich muß man ihn hinhalten und vertrösten, Untersuchungen beantragen, Termine bestimmen, die Termine verschieben, wie das eben in diesen Fällen üblich ist, damals wie heute. Der König hat jetzt ziemlich freie Hand, Isabella, wie es scheint, will sich in die Kolonialgeschäfte nicht mehr einmengen, sie kränkelt, schwere Schicksalsschläge, der Tod des Sohnes, der drohende Wahnsinn der Tochter haben ihr Gemüt verfinstert und ihren Willen gelähmt.
Dem Admiral wird also gesagt, die Zwistigkeiten auf Española dauern fort, seine Rückkehr werde neuen Hader entfachen und überdies seine persönliche Sicherheit gefährden, man wolle Bobadilla vom Kommando entheben und an dessen Stelle vorläufig einen jüngeren, tatkräftigen Beamten ernennen, der die Mißbräuche abzustellen und die Insel von dem rebellischen Geschmeiß zu säubern vermöge. Er, Colón, solle sich indessen schonen und pflegen; sobald geordnete Zustände eingetreten seien, werde man für die Wiedereinsetzung in seine alten Ämter Sorge tragen.
Damit muß er sich zufriedengeben. Er hört es mit starren Augen an, wieder und immer wieder, der Kanzler sagt es ihm, der Kolonialminister, die Erzbischöfe sagen es, die Kämmerer, die Richter, er muß schweigen und warten und die Demütigungen schlucken. Bobadilla wird wirklich abberufen, sein Nachfolger, Nicolas de Ovando, Kommandant von Lares, Ritter des Ordens von Alcantara, ein Mann mit rotem Haar und rotem Bart, serviler Höfling, bigotter Katholik, gilt als klug, in der Verwaltung erfahren, aber von den überseeischen Verhältnissen hat er nicht die blasse Ahnung, was sich schon nach kurzer Zeit erweist, denn unter seiner Statthalterschaft wird planmäßig vollendet, was Cristobal Colón unwollend begann: die Hinschlachtung des indianischen Volkes. Zudem hat er sich später in der verzweifeltsten Situation, in die Columbus je geriet, wie ein Schuft benommen.
Zu drückender Untätigkeit verdammt, Monat um Monat auf gerechten Spruch harrend, schrieb der Admiral während des Jahres 1501 in Sevilla jenes ›Buch der Weissagungen‹, das ihn völlig in religiösen Mystizismus versunken zeigt. Er entsann sich des einstigen Gelübdes, daß er innerhalb von sieben Jahren von der Entdeckung der Neuen Welt an fünfzigtausend Mann zu Fuß und fünftausend