Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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wesenlos geworden ist und nicht mehr recht als solche gilt. Aber es gibt in dem Bezug keine Erfindung, vielleicht kann überhaupt nichts erfunden werden; was dem Menschengeist zum Bilde wird, muß sich irgendwie und irgendwann einmal zugetragen haben, es ist dann nur durch Mißbrauch und Schematisierung verzerrt, leblos und lügenhaft geworden. Auch Robinsons Geschichte hat sich einmal wirklich begeben, und da die Zahl der Lebensmotive, der mythischen, historischen und romantischen, ziemlich beschränkt ist, nehmen einige wenige die typische Form an und dienen zur Variation, so lange, bis sie verwelken und absterben. Die letzte Reise des Christoph Columbus ist ein solches Stammerlebnis, ein Wurzelmotiv, aus dem vielerlei Dichtung, Sage und freilich auch unreines Fabelgespinst entstanden ist.

      Zwei vertraute Personen nahm der Admiral mit auf die Reise: seinen Bruder Bartolomé, jetzt nicht mehr Adelantado, sondern grollender Anwärter auf einstige Rückberufung, und seinen dreizehnjährigen Sohn Hernando. Unfaßbar, das Leben des eigenen Kindes aufs Spiel zu setzen, denn um das Wagnis mußte er wissen, er kannte die möglichen Schrecken, er kannte den Zustand der Schiffe, was war also der Antrieb? Schwebte ihm eine pädagogische Maßregel vor, Erziehung zum Nachfolger, zum Helden? Es ist bekannt, daß er diesen Sproß einer leidenschaftlichen Beziehung, vielleicht der einzigen in seinem Dasein, sehr geliebt hat, aus gedankenloser Frivolität oder Abhärtungsprinzipien kann sonach der Entschluß nicht hervorgegangen sein. Ich sehe nur einen plausiblen Grund: Er fühlte sich sehr einsam; sehr mißverstanden; er entbehrte aller Menschenwärme, aller Bewunderung, aller Pflege und Hegung, sogar aller Rücksicht; das Wesen, das seinem Herzen am nächsten war, in der kritischsten Epoche seines Lebens im Vorgefühl des Endes um sich zu haben und ihm zugleich ein Exempel von der Größe im Ertragen und Besiegen aller Widrigkeiten, die der Himmel nur schicken kann, zu geben, das mag der Grund für ihn gewesen sein, Sorge und Vernunft hintanzusetzen, wobei ja in der Tiefe seines Bewußtseins immer noch die Überzeugung ruhte, daß Gott ihn zu dem verheißenen Ziel führen und ihm bis dahin nichts zustoßen würde.

      Die Instruktion, die ihm ausgehändigt wurde, enthielt den Befehl, eine oder zwei Personen an Bord zu nehmen, die des Arabischen mächtig waren (wegen der Verständigung bei der Ankunft in Asien), und so schnell wie möglich auf dem geradesten Weg nach Westen vorzudringen; ohne, wie noch einmal betont wurde, auf Española Anker zu werfen. Die Landung erwies sich jedoch als notwendig, da eine Reihe der heftigsten Stürme eines der Schiffe so beschädigt hatte, daß er es in San Domingo gegen ein anderes umtauschen wollte. Als er aber in Sichtweite der Küste kam und in einem außerordentlich höflichen Schreiben an Ovando um die Erlaubnis zum Auswechseln der Karavelle bat, verbot ihm der Gouverneur schroff, die Insel auch nur zu betreten. So konnte er bloß ein Paket Briefe für Spanien abgeben und mußte sich aufs neue der schäumenden See anvertrauen. Er schreibt darüber wie folgt: »Welcher Mann, selbst Hiob nicht ausgenommen, wäre nicht bereit gewesen, aus Verzweiflung zu sterben in der Lage, in der ich mich befand. Ich war in Angst um meine Sicherheit und mehr noch um die meines Bruders und meines Sohnes sowie aller meiner Gefährten. Oh, mir das Land und den Hafen versperren, die ich selber mit Gottes Hilfe und Blut schwitzend für den König gewonnen hatte! Achtzig Tage wurde ich unaufhörlich von einem so gräßlichen Orkan umhergetrieben, daß ich während dieser Zeit weder die Sonne noch die Sterne sah, die Schiffe waren leck, die Segel zerrissen, die Anker, die Taue und ein großer Teil der Vorräte verlorengegangen. In ihrer Verzagtheit taten die Matrosen das Gelübde, in ein Kloster zu gehen, und oft geschah es, daß einer dem andern die Beichte abhörte. Mehrmals stand ich an der Pforte des Todes, ich kommandierte das Schiff von einer kleinen Kammer aus, die ich auf dem Verdeck hatte aufschlagen lassen, mein Bruder befand sich auf dem schlechtesten Schiff, was mir um so mehr Kummer bereitete, als ich ihn gegen seinen Willen mitzufahren beredet hatte, und der Gedanke, daß ich es nach zwanzigjährigem aufreibenden Dienst so weit gebracht hatte, daß ich mein Kind mit mir nehmen mußte, weil ich in Spanien nicht einen Dachziegel mein eigen nennen kann, so daß ich ins Wirtshaus gehen muß, wenn ich essen oder schlafen will und mir dabei oft noch das Geld fehlt, um die Zeche zu bezahlen, dieser Gedanke reißt mir das Herz zwischen den Schultern heraus.« Das Motiv, das er hier für das Mitnehmen des Sohnes angibt, wohl um sich gegen zu erwartende Vorwürfe zu rechtfertigen, hat nicht Hand noch Fuß und ist eine echt Colónsche Übertreibung. Wovon später noch zu reden sein wird. Das hindert jedoch nicht, daß er uns wieder einmal Gelegenheit gibt, die Ekrasitgewalt seiner Manifeste zu bestaunen. Wie Don Quichote ist er in Rede und Schrift unüberwindlich.

      Es berührt wie ein Akt göttlicher Nemesis, daß in demselben Orkan, in welchen man den Admiral unerbittlich-rücksichtslos hinaustrieb, auf papierene Befehle pochend, die Flotte unterging, die alle seine españolischen Feinde nach Spanien zurückbringen sollte: den Gouverneur Bobadilla, Franzisco Roldan und seine Mitrebellen, eine Menge jener Schwindler, Erpresser und gierigen Herumtreiber, die die Insel so unsicher gemacht hatten als wäre sie das Verbrecherviertel einer modernen Großstadt. Columbus erfuhr durch ein paar Schiffbrüchige, die er retten konnte, von der Katastrophe. Man kann sich bei seiner Sinnesart den Triumph, die düstere Genugtuung vorstellen, die ihn erfüllten: Der Himmel selbst hatte eingegriffen, ihn zu rächen und seine Widersacher zu verderben. Es war so recht die Nahrung für seinen Auserwähltheits-und Gottesbotenwahn. Im Leben mancher Menschen ereignet sich sonderbarerweise von außen her sehr oft das, was zu ihrem inneren Wesen stimmt, als ob es wirklich in den Sternen stünde.

      Dazu kam, daß nur ein einziges Schiff den Sturm überstand, obwohl es das schlechteste war, nämlich jenes, das das Vermögen des Columbus an Bord hatte, einige tausend Goldstücke, von Bobadilla beschlagnahmt. Aber da es wegen seiner schweren Havarie San Domingo anlaufen mußte, wurde das Gold neuerdings mit Beschlag belegt und die Auszahlung dann auf einem jahrelangen Instanzenweg verzögert. Wahrscheinlich ist Colón erst kurz vor seinem Tode nach vielen Petitionen, Klagen und Prozessen in den Besitz der immerhin ansehnlichen Summe gelangt.

      Bobadilla hatte große Schätze geladen, die nun auf dem Meeresgrund ruhten. Man muß freilich die zeitgenössischen Angaben skeptisch aufnehmen, die Leute waren alle zu prahlerischer Aufbauschung geneigt. Alexander von Humboldt hat berechnet, daß das aus der Neuen Welt nach Europa eingeführte Gold in den Jahren 1492 bis 1500 nicht mehr als sechzehntausend Mark heutiger Währung betragen habe. Der eigentlich große Import, wahrhafte Märchenschätze, begann erst nach der Eroberung Mexikos und Perus.

      Ein Stück gediegenen Goldes soll auf Bobadillas Schiff verfrachtet gewesen sein, von dem in alten spanischen Chroniken immer wieder erzählt wird; es habe achtzehnhundert Castellanos gewogen, heißt es, also ungefähr zweiunddreißig Pfund, und soll von einem indianischen Weib in einem Bach gefunden worden sein. Unter all dem Gold aber, bemerkt ein späterer Geschichtsschreiber, war kein Körnchen, an dem nicht das Blut gemordeter Indios klebte. Und das ist bestimmt keine lügenhafte Aufbauschung.

      Der Admiral erreicht die Küste des amerikanischen Festlandes beim Kap Gracias à Dios. Die Eingeborenen, vielleicht von Priestern gewarnt, widersetzen sich der Landung, er ist gezwungen, weiterzusegeln. Er steuert gegen Süden, ändert die Richtung nach Südwesten, fährt vorsichtig an Nicaragua und Costarica entlang. Ende September wirft er bei einem Dorf Cariai Anker, um die Schiffe auszubessern und der Mannschaft Rast zu gönnen. Wie stets bei der ersten Begegnung mit Europäern, zeigten die Eingeborenen jenes für die Spanier schwer enträtselbare Betragen, das zwischen Furcht und Neugier, Mißtrauen und Staunen, Verehrung und Abwehr, Gastlichkeit und böser Ahnung schwankte. Sie sehen auf wunderbaren Fahrzeugen wunderbare Geschöpfe, die sich friedlich stellen, aber angsteinflößende Gesichter haben. Man schenkt ihnen Dinge, die sie entzücken, durchaus fremdartige, zauberhafte Gegenstände, als Gegengabe bringen sie baumwollene Mäntel und Hemden herbei, auch Schmuck aus geringem Gold, doch siehe da, die merkwürdigen Geschöpfe wollen nichts von ihnen annehmen. Der Admiral hatte es nämlich verboten, da er ihnen zu beweisen wünschte, wie freigebig und uneigennützig er und seine Gefährten seien. Die alte Taktik. Ganz falsch, er verletzt sie dadurch nur, sie glauben sich und ihre Gaben verachtet, da schleppen sie alles, was sie von ihm bekommen haben, auf einen Haufen und lassen es am Strand liegen.

      Das ist nur ein Bild von vielen, ein Beispiel von zahllosen. Das Vertrauen der Wilden geht so weit, daß sie freiwillig zwei junge Mädchen als Geisel an Bord bringen: Taktvoll haben sie begriffen, daß es den Ankömmlingen an Mut fehlt, das Land zu betreten, um sich Wasser und Früchte zu holen, und unaufgefordert stellen sie Bürgschaft. Während die Matrosen ihre Tonnen füllen,