Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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habe seine Angelegenheiten nicht nur vernachlässigt, sondern auch seinen Bevollmächtigten alle erdenklichen Hindernisse in den Weg gelegt. Die Auszahlung der beschlagnahmten Goldstücke ist vorläufig auf keine Weise zu erlangen.

      Die Überfahrt ist stürmisch, schon am zweiten Tag zerbricht ein Windstoß den Hauptmast der Karavelle. Bartolomé muß das Kommando übernehmen, ihn selbst fesseln unerträgliche Schmerzen ans Lager. Als er in San Lucar de Barramede im November 1504 vom Borde des Schiffes getragen wird, ist sein Körper gebrochen, sein Geist fast erloschen.

      Von festlichem Empfang und dergleichen ist natürlich keine Rede. Niemand, der ihn nur begrüßt. Bartolomé ist da, der Getreue, Hernando ist da, das ist alles, auch sie blicken sich vergebens nach Freunden um. Es gibt offenbar für den Admiral des Ozeans keine Freunde mehr in Spanien. Er ist ein armseliger Schiffbrüchiger, dessen Namen bereits viele vergessen haben, dessen Pläne, Hoffnungen, Erlebnisse und Lebensumstände der Nation gleichgültig sind. Er geht nach Sevilla und logiert sich in einer Matrosenherberge ein. Er beginnt Briefe zu schreiben, stundenlang, tagelang, tage-und nächtelang, unermüdlich. Es handelt sich um Rekriminationen, Rückblicke, Feststellungen erlittener Unbill, geschehener Ungerechtigkeit, endlose Klagen, wortreiche Beschwerden. Die meisten Briefe sind an seinen Sohn Diego gerichtet, der sich am Hof in Medina del Campo befindet. Sie sind im Urtext erhalten.

      Diego ist bei den Leuten am Hof beliebt, er kann sich für den Vater verwenden, man erreicht dort nur etwas durch Protektion und geschickte Ränke. Er belehrt ihn, wie er es anstellen soll, empfiehlt sich aufs demütigste seinem alten Gönner, dem früheren Dominikaner de Deza, jetzt Bischof von Palencia. Er rechnet, zählt, kalkuliert, addiert und jammert über die Geldsummen, die man ihm vorenthält und die er besitzen könnte, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre. »Man glaube ja nicht, daß es nur die vierzigtausend Pesos in Gold sind, die noch ausstehen, ich beschwöre es und sag es nur dir allein, daß der Verlust, den ich jährlich erleide, zehn Millionen ausmacht.« Der unverbesserliche Phantast! Er ist um Ophir betrogen, um die aurea chersonnesus, um Krösus’ Reichtum. Er schlägt vor, der König soll ihn für den Verlust entschädigen. »Glaubt man, daß ich lüge, so mögen die Paraleipomenen, das Buch der Könige, Josephus de antiquitatis und andere sagen, was sie davon wissen. Grüße Diego Mendez von mir, hoffentlich werden seine Liebe zur Wahrheit und sein Eifer ebensoviel Gewicht haben wie die Lügen der beiden Porras. Wenn du mir schreibst, so schicke die Briefe an Luis de Soria, der sie mir nachschicken soll, denn wenn ich in der Sänfte reise, muß ich die Platastraße über Salamanca wählen. Unser Herr nehme dich in seinen heiligen Schutz. Dein Oheim Bartolomé leidet sehr an Zahnweh.« Jede Woche schickt er einen Kurier, gibt Aufträge und Anweisungen, entschuldigt sich, daß er wegen seiner Krankheit noch nicht an den Hof kommen kann, als ob man ihn dort sehnsüchtig erwarte. Ungeduld und Mißtrauen machen ihn schwatzhaft und geschäftig. »Es tut not, sich mit unsern Angelegenheiten zu befassen, die Klugheit rät dazu, man richtet Indien zugrunde, es steht an tausend Orten in Flammen, niemand wagt hierzulande, für mich das Wort zu nehmen, ich lebe auf Borg, das wenige Geld, das ich hatte, mußte ich für die Leute verwenden, die mit mir gekommen sind; die armen Menschen nicht ohne Hilfe zu lassen, war Gewissenssache. Du wirst den Herrn Bischof von Palencia von alledem unterrichten und ihm sagen, welches große Vertrauen ich in seine Güte setze, und dasselbe Benehmen gegen den Herrn Kämmerer beobachten.« Dann belehrt er Diego über die Wichtigkeit, daß die Familienmitglieder stets zusammenhalten: »Ich betreibe es, daß dein Oheim und dein Bruder Ihren Hoheiten die Hände küssen dürfen, auf deinen Bruder kannst du zählen, er hat ein gutes Naturell und besitzt schon die Eigenschaften eines gereiften Mannes. Zehn Brüder würden nicht zuviel für dich sein, im Glück wie im Unglück habe ich niemals bessere Freunde gefunden als meine Brüder.« Die Sorge um die Einkünfte überwiegt alles andere. »Ich hinterlasse dir eine Schrift, aus der du ersehen kannst, was mir gehört. Die Abmachungen werden nicht gehalten. Jeder führt nach Belieben Waren aus, die Folge ist, daß die Erhebung des Achtels nichts trägt. Das Achtel gehört mir, ebenso wie das Drittel des dortigen Ertrags und ferner das Zehntel von dem, was die Hoheiten bekommen und was innerhalb der Grenzen meiner Admiralität an Gold und Gütern gewonnen wird. Achte darauf, des Herrn Auge macht das Roß fett.« Wenn er ein paar Tage ohne Nachricht bleibt, wird er gleich aufgeregt und argwöhnisch: »Täglich kommen hier Boten vom Hofe an, alle Welt erhält Briefe, nur ich nicht, das beunruhigt mich sehr.« Er kümmert sich darum, welche Schiffe im Hafen liegen und welche ausfahren; er verlangt, in allen Häfen solle darüber gewacht werden, daß niemand ohne besondere Erlaubnis und Befugnis nach Indien reise, denn er hat Angst, dadurch um seine Anteile gebracht zu werden, als ob man ganz Amerika unter Steueraufsicht für ihn stellen könne. Er hat erfahren, daß das Gold, das er für die Krone an Bord gehabt, »unter einer mißvergnügten Bevölkerung«, wie er sich ausdrückt, in Strohhütten verwahrt wird; das alteriert ihn; man muß Maßregeln treffen, es zu schützen.

      Am 26. November stirbt die Königin Isabella in Medina del Campo. Am 13. Dezember schreibt er an Diego: »Man spricht hier viel davon, die Königin habe auf ihrem Totenbett den Wunsch geäußert, daß man mir den Besitz von Indien wiedergeben möge.« Es ist sein eigener Wunschtraum, er glaubt ernstlich, daß Isabella in ihrer letzten Stunde keinen andern Gedanken gehabt hat. Trotzdem muß man den König an seine Pflichten gegen den Admiral erinnern, dem die Verstorbene so wohlgeneigt war. »Ich werde die Herren vom indischen Amt zu bewegen suchen, daß sie den Governador Ovando auffordern, er solle mit dem Gold für seine Hoheit auch meines schicken. Man gestatte ihm hierbei keine Ausflüchte. Die nach meiner Abreise für mich eingegangenen Summen müssen sieben-bis achttausend Pesos betragen ohne die andern Gelder, die mit vorenthalten werden.« Er fürchtet die Verleumder, namentlich alle Personen, die aus Espaoñla zurückkehren, und trifft Anstalten, damit sie ihm beim König nicht schaden. »Camacho und Bernal, zwei Kerle, für die unser Herrgott keine Wunder tut, haben vor, an den Hof zu gehen, wahrscheinlich in böser Absicht. Dieser Bernal war einer der Urheber der Verrätereien gegen mich, er wurde wegen vieler Verbrechen festgenommen und angeklagt, für jedes einzelne hätte er geköpft zu werden verdient. Auf Bitten deines Oheims habe ich ihm unter der Bedingung verziehen, daß er nie mehr gegen mich und meine Verwaltung wühle. Den Pardon hat er verwirkt und kann als ein Gerichteter betrachtet werden. Ich schicke dir die Abschrift des Urteils über ihn. Diego Mendez kennt ihn gut, frag ihn nur. Man sagt, daß er wegen einer Kleinigkeit, um sich zu rächen, zwei Menschen vergiftet hat.«

      In dieser Tonart geht es weiter, bis in den Mai, wo er endlich nach Segovia an den Hof reisen kann. Es ist die Sprache eines cholerischen, zänkischen alten Mannes, den wirkliche und eingebildete Feinde, Übervorteilungen, Ränke und Komplotte bis in den ruhelosen Schlaf seiner Nächte verfolgen.

      Jeder Brief ist folgendermaßen unterzeichnet:

      S. S.A.S. X.M.Y. XPOFERENS

      Über die Bedeutung dieser Buchstaben gibt er niemals Auskunft, obschon er in seinem Testament dem Sohn zur Pflicht macht, die Unterschrift beizubehalten. Es ist offensichtlich eine mystische Spielerei (Sanctus Christus, Sancta Maria, Sanctus Yosephus), bei der es ihm um die geheimnisvolle Zahl Sieben zu tun gewesen ist; seinen griechischen Vornamen Christophorus hat er in den lateinischen Christoferens umgewandelt.

      Es ist von jeher im ungewissen geblieben, ob seine beweglichen Jeremiaden über die Armut, in der er zu leben gezwungen sei, begründet gewesen sind. Einige Historiker behaupten, man könne sie nicht ernst nehmen, keineswegs sei er seiner legitimen Einkünfte beraubt gewesen, der König habe sie nur mit Beschlag belegt, damit die Schulden bezahlt werden könnten; die sein Admiral allenthalben gehabt. Richtig sei, daß er in Sevilla einsam gewohnt habe, aber in einer schlechten Herberge nur in der ersten Zeit, später habe er dann im vornehmsten Stadtteil ein bequemes Quartier bezogen. Nun ist allerdings erwiesen, daß er bei den italienischen Bankfirmen in Spanien ziemlich hohen Kredit hatte. In dem Brief an Diego vom 13. Dezember erwähnt er, daß er dem jungen Hernando hundertfünfzig Dukaten auf die Reise mitgegeben habe und daß ihm aus den fälligen Revenuen viertausend Castellanos (etwa fünfundzwanzigtausend Mark nach heutigem Geld) ausbezahlt worden seien. Von Not und Mangel kann nach alledem schwerlich die Rede sein. Daß er in dem Sevillaner Haus luxuriös oder auch nur behaglich gelebt hat, glaube ich freilich nicht. Aber nicht, weil ihm die Mittel gefehlt haben, sondern weil ein so karger harter Mensch nur in Kargheit und Härte zu existieren vermag. Man kann nicht jahrzehntelang auf elenden Barken in kümmerlichsten