Vorräten von Fischmehl und getrockneten Fischen rissen, vom Hunger überwältigt, die königlichen Siegel ab; als sie die erste Gier gestillt hatten, teilten sie auch andern aus, was sie bewahren sollten, von den gleichfalls hungernden, schreienden Kamelen umdrängt. Der Thessaler Pasas war unter den Frevlern der erste gewesen.
Von unheilvoller Ahnung erfaßt, standen in geringer Entfernung die Befehlshaber. Keiner wagte dazwischenzutreten oder den Vorfall zu melden.
Pasas schrie und tanzte wie ein Besessener. Seine beiden Hände waren mit der weißen, staubähnlichen Speise gefüllt, und er lachte, lachte wie jener Philistion, von dem man erzählt, daß er an unmäßigem Lachen gestorben sei.
Einige Makedonier der Edelscharen kamen hinzu. Sie wollten nicht an der Untat teilnehmen, obwohl der Hunger sie quälte, als ob glühende Eisenkugeln durch ihre Gedärme rollten. Ihre Blicke richteten sich stumpf nach Osten; es war, als sähen sie noch die reichen Städte, die sie dort verlassen. Aber ringsum breitete sich die Wüste aus: dunkelgelb und regungslos.
Die Nacht brach an. Sie kam nicht allmählich, sie kam plötzlich wie der Schrecken. Die Söldner, die sich gesättigt hatten, suchten mit verbrennender Kehle nach Wasser; die salzige Nahrung hatte ihren Durst ins Unerträgliche gesteigert. Sie scherten sich nicht um die hohläugig im heißen Sand keuchenden Kameraden und traten auf die dunklen Körper, die zu erschöpft waren, Gegenwehr zu leisten. Kein Lagerfeuer flammte mehr; nur weit im Rücken des Heeres, bei den phönikischen Kaufleuten, stiegen einige Brände empor, genährt durch die wohlriechenden und kostbaren Nardenwurzeln.
Einer von den Suchenden stieß ein mißtönendes Triumphgeschrei aus. Neben einer aufgewehten Düne hatte er eine Pfütze mit brackigem, stinkendem Wasser entdeckt, lag schon bis zum Gürtel darin und trank nicht nur mit den Lippen, sondern mit dem ganzen Gesicht. Schweratmend warfen sich andere neben ihn und tranken lautlos, bemüht ihren Fund geheim zu halten. Ihre Körper erstarrten vor Wollust.
Aber als hätten sie das Wasser in der Luft gerochen, erfuhren es die nahe lagernden Scharen der Messenier. Mit kraftlos wankenden Beinen stürzten sie herbei und verloren unterwegs Helme und Mützen. Nach wenigen Augenblicken bezeichnete ein Haufen von Gliedmaßen, Rümpfen und Köpfen die Stelle, wo vorher das elende Rinnsal gewesen, und Hunderte von Zuspätkommenden scharrten heulend im Sand.
Keine Schlafesruhe herrschte im weithin verstreuten Lager, sondern die bleierne Stille vollständiger Ermattung. Die Sterne brannten groß und rot, die Milchstraße lief als weißglühendes Band von einem Saum des Himmels zum andern. Da und dort hockten Söldner schlaflos aufrecht und lauschten mit fiebernder Angst auf das ferne Gebrüll wilder Tiere.
Spät nachts schlich ein Fußsoldat zu einem Gepäckswagen, wo Pferde angebunden waren. Mit dem kurzen Schwert durchschnitt er einem der Tiere den Hals; er sank zu gleicher Zeit mit ihm nieder, als es lautlos zusammenstürzte und ließ das herausschießende Blut in seinen verdorrten Rachen strömen.
Als der Morgen kam, lief der Arkader Amissos zu seinem Rottenführer. Ohne zu sprechen, das hohlwangige Gesicht von Freude gebläht, deutete er in die Ferne.
Viele sahen hinüber: Zypressen hoben ihre grünen Leiber über den Rand der Wüste und dahinter war etwas wie ein schimmerndes Dach, auf Säulen gestützt. Einige begannen schon zu jauchzen, da, als hätte ein Sturm es fortgeblasen, war das entzückende Gebild hinweg.
Amissos fiel wie ein Erschlagener auf den Boden; man schaffte ihn auf einen der Transportwagen, auf denen sich Kranke und Verschmachtende befanden. »Mein lieber Amissos,« sagte dort ein weißbärtiger Hauptmann zu ihm, »ist es nicht ein Jammer, geboren zu werden, wenn man so sterben muß? wo sind unsere Täler, unsere Weinberge, unsere süßen Plätzchen vor dem Stadttor, wo man plaudernd aufs Meer blickte?«
»Schweig, alter Hund!« stöhnte ein anderer, der durch den Genuß verdorbener Speisen eine Seuche bekommen hatte. »Siehst du nicht, daß wir in Ruhe sterben wollen? was peinigst du uns noch mit deinem verdammten Plätzchen am Stadttor?«
Und Amissos blickte auf; alle blickten auf und sahen die Wüste: zitronengelb, trocken, leer. In unheimlicher Blässe wölbte sich der Himmel darüber, in der Tiefe von einem rötlichen Ring zitternder Luft eingesäumt. In dem übermäßig in die Breite und Länge gedehnten Zug des Heeres sah man Reiterscharen in unabsehbarer Kette, Roß auf Roß, Mann hinter Mann. Die Pferde ließen den Kopf mit dem schaumtriefenden Maul tief hängen. Bisweilen stürzte eins zusammen wie ein ausgebrannter Holzstoß; die Lücke, die sein Fall verursacht, blieb noch stundenlang sichtbar. Die verglasten Augen von Tier und Mensch fragten kein Wohin mehr. Herz und Gehirn verbrannten ihnen.
Das Mittagsgespenst zog umher in der träumenden Öde. Langsam erhob sich Staub wie die Luftbläschen im Wasser; er legte sich in die Poren der Haut und versengte sie. O Konon, wo sind deine Verse, deine unverschämten Scherze, dein feiles Schmeichlerwesen?
Konon, der Literat, befand sich unter dem Troß des Heeres. Ein Dutzend goldne Becher, fünf Halsbänder und einen Purpurmantel brachte er aus Indien mit. Jetzt waren alle Gedichte ohnmächtig und überflüssig, der Purpurmantel hing schmierig und zerfetzt von der Schulter, Gold war so wertlos wie der Geifer, der von den Lippen floß.
Auf den Wagen hockten stumpf in sich vergraben die Weiber. Manche hielt einen Säugling verzweiflungsvoll in den Schoß gepreßt, als wollte sie ihn wieder zurückgeben in die Urnacht des Mutterleibes, wo ihm selbst aus dem erschöpftesten Blute noch Nahrung zufließt. Andere gingen zu Fuß und schleppten größere Kinder an der Hand fort; wenn sie endlich in den brennenden Sand niederstürzten, gellte ihr verzweifelter Hilferuf noch lange in die gleichgültigen Ohren der Weiterziehenden. Lesbische Mädchen, milesische Tänzerinnen, Buhlerinnen aus Ägypten, syrische Dirnen, – da lagen sie in der Sonne verdorrt wie die Weinschläuche, die sie auf ihren Maultieren mitgeführt. Ungeschminkt blieben die Augenbrauen, ungefärbt das Haar, ungesalbt der Leib.
Als die Raststunde kam, hieß es auf einmal, Wasser sei im Lager. Wie ein Wurm, der langausgedehnt im Erdreich gekrochen, sich zur Nacht zusammenrollt, so kamen stundenlang noch die erschöpften Nachzügler durch die Finsternis. Ein Wasseräderlein, schmal wie eine Hand, floß über eine Felsrinne. Tausende, durch keinen Zuruf, keinen Befehl zu bändigen, hatten sich darüber hingestürzt. Tausende leckten winselnd den feuchten Stein. Eine Abteilung Rundschildner zerschlug mit ihren Äxten hölzernes Gerät, Leitern, Sturmböcke, Wagendeichseln; sie machten Feuer damit und schlachteten einige Pferde und einen krank gewordenen Elefanten.
Indessen fiel weit im Norden, in den Gebirgen Gedrosiens ein Wolkenbruch herab. Das Wasser raste durch die Felsentäler ins offenere Land, hinunter in die Wüste. Mitten in der Nacht kam die Flut; der armdicke Bach schwoll an, ehe die Schläfer an seinem Rand sich retten konnten. Männer, Frauen und Kinder, die Tiere, die verglimmenden Feuer, die Waffen, die Zelte, alles wurde fortgeschwemmt. Entsetzliche Schreie mischten sich in das hohle Brausen der Wässer, in ihr Zischen im Sand, Gebete, Verwünschungen, Todesröcheln, Gelächter des Wahnsinns erschallten. Und nach einer Stunde war alles wie vorher, die wilde Woge versickert, und die immer noch eintreffenden Nachzügler standen verschmachtend da. Sie warfen sich hin und befeuchteten Lippen und Zunge an den nassen Kleidern und Leibern der Toten, in den aufgelösten Haaren der Dirnen, am Purpurmantel Konons, der dalag und eine Manuskriptenrolle krampfhaft mit den erstorbenen Händen umschloß; es war ein Lobgedicht auf Hephästion, den Führer der Edelscharen und Freund des Königs.
Es wurde verkündet, daß Alexander den folgenden Tag zum Rasten bestimmt habe; von nun an solle nur in der Nacht marschiert werden.
Alexander lag auf einem niedrigen Ruhebett im Zelt, am Lagerende saß Hephästion, die Knie übereinander geschlagen, den Rumpf weit vorgebeugt. Alexander flüsterte, seine weißen Zähne funkelten feucht durch die Halbdunkelheit bei jeder Bewegung der Lippen. Der Kopf begleitete fast jedes Wort mit einem leidenschaftlichen Nicken. Er richtete sich auf, die etwas schiefe linke Schulter schien wie von einer unsichtbaren Last beladen, er nahm beide Hände Hephästions in die seinen und sprach und sprach und flüsterte und flüsterte. Ein dunkler aufgeregter Singsang von Worten: Beteuerungen, Pläne, Ungeduld mit der Not der Stunde, es war, wie wenn ein Riese lästernd den Boden stampft und zugleich, wie wenn ein Kind stammelnd trotzt. Dabei verriet das