Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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vor Alexander nieder und gab ihm das Schwert und schwor, er wolle vergessen, daß sie Freunde gewesen, damit Alexander um so mehr der Herr sein könne.

      O, Monate! O, Jahre! wohin! Die Welt besteht nur noch aus Sterbenden und Todgeweihten. Kein anderes Geschäft mehr als das des Henkers. Statt Wasser fließt Blut in Bächen und Strömen, Blut wälzt sich zum Meer, Blut füllt seine Gestade, Blut regnet vom Himmel, Bluttau liegt auf den Gräsern; die Flammen der brennenden Dörfer und Städte sind von Blut röter gefärbt, Völker, die um ihre letzte Habe kämpfen, taumeln über die Schlachtfelder, mit Leichen statt mit Fruchtsamen werden die Äcker bestreut, das Bittflehen der Könige und Fürsten verhallt im allgemeinen Waffenlärm, die Unterwelt kann die Seelen der Erschlagenen nicht mehr fassen, die Erde hat keinen Platz mehr für die Gräber, Menschenleben werden so billig wie Feigen, und die Raben fangen an, die Aasspeise zu verschmähen. Alexander zieht einher im Dunst des Mordes und der Schlachten, vom Pontus bis zum Indischen Ozean krabbelt das Menschengewürm im Staub, jeder Widerstand gegen ihn wird zur Lächerlichkeit, sein Name erregt Schauder und Bestürzung, er nimmt die Länder in Besitz, unwiderstehlich wie die Pest, und Persiens Großkönig flieht vor ihm bis an das äußerste Ende seines Reiches und empfängt den Tod von der Hand eines Roßknechtes.

      Jeder Tag ist angefüllt bis zum Rand mit Tat. Alexander spürt nicht das Vergehen der Zeit. Wenn sie nicht in Schlaf und Wachen geschieden wäre, in Licht und Finsternis, wenn nicht Sonne und Mond wechselten, so wäre ihm alles wie ein einziger Tag. Die Zeit rollt vor ihm her wie eine rasche Kugel, der er im rasenden Lauf folgen muß. Zum Nachdenken ist keine Frist. Es ist eine unheimliche, atemlose Flucht aus sich selbst. Und Spiel ist es. Spiel mit Dingen und Menschen, Spiel mit dem Zufall; jede Gunst des Augenblicks wird erschöpft und ausgeschöpft; er merkt nicht, daß die Augen um ihn die Freiheit verloren haben und sich mit unaufrichtiger Willfährlichkeit füllen, warum darauf achten? Das Widerstrebende muß fallen. Alles hängt an seinem Mund, wenn er spricht, sein Wesen ist ihnen unfaßbar wie der Sturm, sie fühlen dumpf, daß sie nur noch durch ihn mit der Welt, mit dem Leben, mit der Gottheit, mit der Menschheit zusammenhängen, er ist das dunkle Element, das ihr Schicksal regiert. Darum spielen sie sein Spiel mit, nicht ohne beständig quellende Beängstigung, nicht ohne die Ahnung, daß eines Tages die Stundenglocke schlagen wird; so sind ihre Ergötzungen, ihre Orgien, ihre Späße, ihr Tun und Treiben nicht frei von einer wunderlichen Hast, einer verräterischen Unruhe; sie erschrecken bei jedem Gewitter, bei jedem Sonnenaufgang ist ihnen, als müßten sie sich überzeugen, ob das Gestirn denn wirklich noch aus dem Osten stiege. Halt-und bodenlos sind ihre Reden, ihre Hoffnungen, ihre Handlungen, das ungeheuerliche Glück überrascht sie nicht mehr, auch das Unglück überrascht sie nicht mehr, es sind freischwebende, blinde, zappelnde, nicht mehr sich selbst gehörende Geschöpfe. Dies alles erkennt Alexander in dieser Stunde. Nicht mit ganzer Klarheit, nur düster und verschwommen. Er ruft Hephästions Namen. Hephästion reitet dicht hinter ihm und antwortet. »So lebst du also,« murmelt Alexander, und er tastet nach Hephästions Hand. »Wenn du nur lebst, Hephästion, wenn du nur lebst.«

      Nersar, dem Babylonier, war die Führung eines Teiles der Kamele anvertraut. Von seinen achthundert Tieren waren noch neunzehn übrig. Diese hoben auf einmal alle zusammen die Köpfe und schnupperten mit den Nüstern hoch in der Luft. War es nur der Morgen, den sie rochen? Das vorderste der Tiere stieß einen durchdringenden, weitgellenden Schrei aus, ähnlich dem Schall einer tyrrhenischen Trompete. Die übrigen Tiere, aufs äußerste erregt, stießen einander und liefen endlich mit wilder Eile gegen Westen. Der Babylonier war außer sich. Er brach in die Knie, kreuzte die Arme über der Brust und schrie laut eine Beschwörungsformel, mit der man die bösen Geister vertreibt:

      »Sieben sind sie, sieben sind sie,

       in der Wassertiefe Schooß.

       Nicht Männer sind sie, nicht Weiber sind sie,

       sieben sind sie, sieben sind sie,

       luftig und gestaltlos sind sie,

       haben kein Weib und zeugen kein Kind,

       sind Gottes Feinde.

       Böse sind sie, böse sind sie,

       Raben sind sie, sieben sind sie.

       O Geist des Himmels, beschwöre sie!«

      Eine hohle, winselnde Stimme ließ sich neben Nersar vernehmen. Sie bettelte um einen Schluck Kamelwasser. »Erbarme dich eines Sterbenden, ich will dir dreihundert Sklaven schenken, wenn wir nach Susa kommen.« Es war ein vornehmer Makedonier, ein Bruder des Leibwächters Perdikkas.

      Der Babylonier sprang auf. Seine Kehle ließ einen Laut hören, anders als alle Laute seit sechzig Tagen und Nächten. Mit auf und ab schwingenden Armen deutete er hinüber, dorthin, wo die Morgenwolken niedrig über der Erde hingen.

      »Ein Baum! ein Baum!« heulte ein baktrischer Eseltreiber.

      »Sieben Gefäße stell’ ich hin, darunter stell’ ich Kalmus, Zedernholz und Simgar,« stammelte Nersar, der von Freude besessen, sich um sich selber drehte, »sieben Gefäße für dich, Göttin des Lebens, sieben Gefäße.«

      »Wüstentrug,« klagte eine hoffnungslose Stimme.

      Hunderte standen mit bleichen Stirnen und stierten hinüber, ungewiß, was sie glauben durften. Langsam ging eine Anzahl weiter, Schritt für Schritt, Mann neben Mann, kein Auge von dort abgewandt, als fürchteten sie, alles könne sich wieder in Rauch auflösen, wenn sie einmal zu Boden sähen.

      Aber deutlicher tauchte das hügelige Land empor, das grünbewachsene, im Morgenlicht rosig erglühende …

      Die Alexander die Nachricht brachten, schluchzten vor Entzücken. Er teilte die freudige Bewegung nicht. Eine Weile blieb er regungslos stehen. Dann bückte er sich, nahm eine Handvoll des feinen, dünnen, gelblichen Sandes und schaute zu, als es wie Wasser schnell wieder durch die Fugen zwischen den Fingern rann.

       Das Diadem

       Inhaltsverzeichnis

      Es war in Susa zu Anfang des Frühlings. Vor drei Tagen war das Heer aus der hohlen Persis angekommen. Das Gedächtnis jedes einzeln Mannes war noch schwer beladen durch das fürchterliche Strafgericht, das Alexander in Persepolis abgehalten hatte. Statthalter, Richter, Generäle, Steuerverwalter, die meisten, denen er Vertrauen geschenkt, hatten seine lange Abwesenheit in Indien zu schändlichen Erpressungen und Vergewaltigungen benutzt, hatten sich durch Ungerechtigkeit bereichert, gemästet, verhärtet. Alexander hatte die Betrüger, Empörer, Tempelräuber und Städteaussauger zusammentreiben lassen, Griechen, Makedonier und Barbaren, – gleichviel, wer immer es war. Wie eine Furie war er unter sie gefahren, wie eine brennende Peitsche traf sie sein Zorn, und die verbrecherischen Häupter fielen durchs Schwert. Ein Schauder durchzuckte alle Herzen, wer ein Amt besaß, zitterte, hielt Abrechnung mit sich selbst und seinen Taten, als diese grelle Fackel der Rache und Gerechtigkeit im Osten des Reichs emporflammte. Noch zuletzt war die Schändung des Kyrosgrabes zu Pasargadä entdeckt worden. Die goldenen Gefäße, die Weihgeschenke, das Diadem von unermeßlichem Wert waren gestohlen, die wachehaltenden Mager erschlagen und ihre Leichname zerfetzt worden. Man ahnte, daß sich der Übeltäter noch unentdeckt mitten im Heer befand.

      Vom Morgengrauen bis Mitternacht waren die Straßen von einer flutenden Menge erfüllt. Makedonier, Thessaler, Griechen, Thraker, Lyder drängten sich um die Basare und zum Markt der phönikischen Kaufleute, Sterndeuter, Wahrsager, Ärzte, Hetären, Sklaven, Verschnittene, Schauspieler, Sophisten, indische Gaukler, syrische Tänzer, Athleten und Faustkämpfer, – ein unabsehbares Gewühl, in den buntesten Farben zuckend, voll der befremdlichsten Gesichter und der unverständlichsten Laute. In den weiten Toren der Stadtmauer hockten die vornehmen Susianer und unterhielten sich von den bevorstehenden großen Hochzeitsfeierlichkeiten, denn Alexander wollte sich mit der Prinzessin Stateira und seine Freunde mit den edelsten Perserinnen vermählen.

      Oben in der großen Säulenhalle des Palastes lagerte ein Teil der königlichen Edelscharen. Faul und wohlgelaunt waren sie zu Hunderten auf Felle, Mäntel und gestickte Decken hingestreckt,